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Fragen und AntwortenPflegeversicherung in Schieflage – Was Familien jetzt wissen müssen

Lesezeit 4 Minuten
ARCHIV - 13.11.2007, Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Ein Pfleger hält in einem Pflegeheim die Hand einer Bewohnerin. (zu dpa: «Ministerium: Pflegeversicherung nicht pleite») Foto: Oliver Berg/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Der Beitrag zur gesetzlichen Pflegeversicherung muss aller Voraussicht nach steigen.

Die gesetzliche Pflegeversicherung gibt mehr Geld aus als sie einnimmt. Woran liegt das? Was will die Bundesregierung dagegen unternehmen? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Die gesetzliche Pflegeversicherung befindet sich in einer finanziellen Krise. Die Ausgaben steigen deutlich schneller als die Einnahmen. Ohne Gegensteuern rutscht die Versicherung nach Informationen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) Anfang 2025 in die Zahlungsunfähigkeit. Die RND-Berichterstattung vom Montag führte dazu, dass sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Montagnachmittag vor der Presse äußern wollte. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was plant die Bundesregierung nun?

Lauterbach ließ zunächst in Reaktion auf die RND-Berichterstattung erklären, die Pflegeversicherung habe sowohl kurzfristig wie auch strukturell Schwierigkeiten. Eine Sprecherin betonte zugleich: „Die Pflegeversicherung ist nicht pleite.“ Das hatte das RND aber auch nie berichtet. Stattdessen wurde die Einschätzung der Regierung zitiert, die Versicherung sei im Februar 2025 zahlungsunfähig, wenn es zum Jahreswechsel 2024/25 keine Beitragserhöhung gebe. Das Gesundheitsministerium erklärte, der Minister werde „in Kürze ein Finanzkonzept vorlegen, um sowohl kurz- wie langfristig die Pflegeversicherung wieder auf stabilere Füße zu stellen.“ Details wurden zunächst nicht genannt.

Auch die Größenordnung des erforderlichen Beitragsanstiegs wurde offen gelassen. Nach Informationen des RND liegt Erhöhungsbedarf zum Jahreswechsel 2024/25 zwischen 0,25 und 0,3 Prozent. Der Spitzenverband der Krankenkassen sprach am Montag von einer notwendigen Beitragsanhebung zum 1. Januar 2025 von „mindestens 0,25 Prozent“. Der Verband erklärte, die Finanzentwicklung habe sich noch einmal verschärft, weil sich die Ausgaben dynamischer entwickelten, als noch vor Monaten erwartet. Damit werde das Defizit am Jahresende bei knapp 1,8 Milliarden Euro liegen.

Was sagt die Opposition zu der aktuellen Entwicklung?

Der gesundheitspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Tino Sorge, warf Lauterbach vor, für die aktuelle Situation der Pflege verantwortlich zu sein. „Die Bundesregierung fährt die Pflegeversicherung seit bald drei Jahren durch Nichtstun mit Ansage gegen die Wand“, sagte er dem RND. Jetzt räche sich, dass die Ampel dem Thema Pflege keine echte Priorität geschenkt habe. „Es drohen weitere Beitragssprünge für die Versicherten, die Stabilitätsgrenze von 40 Prozent ist längst Makulatur geworden. Viel schlimmer noch, ein Kollaps der Pflegeversicherung droht Realität zu werden“, warnte der CDU-Politiker. Nun laufe der Regierung jedoch die Zeit davon. „Wir brauchen einen Finanzierungsmix für die Pflegeversicherung, der neben Steuermitteln, öffentlicher und betrieblicher Vorsorge auch Elemente der Eigenvorsorge beinhaltet“, forderte der Gesundheitsexperte.

Warum ist die finanzielle Lage so katastrophal?

Dafür gibt die Regierung mehrere Gründe an. Zum einen argumentiert sie mit der Zahl der Pflegebedürftigen, die stärker steige als angenommen. Tatsächlich gab es im Jahr 2023 einen überdurchschnittlichen Zuwachs um 361.000 Pflegebedürftige. Das längerfristige Mittel liegt dagegen bei einem Plus von rund 326.000. Die Ursache ist bisher noch unklar. Lauterbach führt den Anstieg unter anderem darauf zurück, dass erstmals zwei Generationen pflegebedürftig seien: Die Babyboomer und deren Eltern. Der renommierte Pflegeforscher Heinz Rothgang von der Universität Bremen hält das für nicht plausibel. Zwar könne es einige Babyboomer geben, die bereits pflegebedürftig seien. Eine relevante Größenordnung von Pflegebedürftigen gebe es in dieser Altersgruppe aber nicht, hatte der Wissenschaftler dem RND gesagt.

Nach seiner Auffassung könnte Long Covid und psychologische Spätfolgen der Corona-Pandemie zu einer höheren Zahl von Pflegefällen geführt haben. Ein weiterer Grund für die Finanzprobleme sind die Entlastungen für Heimbewohner, die teurer sind als eingeplant. Um die hohen Eigenanteile zu reduzieren, bekommen Pflegebedürftige im Heim je nach Länge des Aufenthaltes Zuschläge zwischen 15 und 75 Prozent der Pflegekosten. Da die Eigenanteile unter anderem wegen der (politisch gewollten) Lohnzuwächse der Beschäftigten stark steigen, wachsen auch die Ausgaben für die Zuschüsse kräftig. Die Eigenanteile ohne Zuschüsse haben mittlerweile bundesweit im Schnitt einen Wert von monatlich 3123 Euro erreicht.

Welche Alternativen gibt es zur gesetzlichen Pflegeversicherung?

Im Fall von abhängig Beschäftigten kommt es auf das Einkommen an. Wer im Jahr weniger als 69.300 Euro (Wert für 2024) verdient, ist automatisch gesetzlich kranken- und pflegeversichert. Wer ein höheres Einkommen hat, kann sich auch privat absichern, wobei der Leistungsumfang im Fall der Pflegeversicherung in beiden Systemen identisch ist. Auch Selbstständige haben ein uneingeschränktes Wahlrecht.

Grundsätzlich folgt die Pflege- immer der Krankenversicherung. Zusätzlich besteht für alle Personen die Möglichkeit, eine private Pflegezusatzversicherung abzuschließen. Sie wird in viele unterschiedlichen Formen angeboten. Unter bestimmten Bedingungen gibt es dafür sogar eine staatliche Förderung von 60 Euro im Jahr, bezeichnet als „Pflege-Bahr - benannt nach dem früheren Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP).