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Geheimes DokumentMit diesem Fragebogen bewertet der Vatikan Bischofskandidaten

Lesezeit 5 Minuten
Bischof Schatten

Wie stellt der Vatikan sich einen idealen Bischof vor?

Köln – Gesetzt den Fall, Köln bekäme einen neuen Bischof: Wie sollte er nach dem Willen Roms beschaffen sein? Die Frage ist weder abwegig noch despektierlich. Zwar gibt es im Erzbistum einen Oberhirten in Amt und Würden. Aber bekanntlich hat Kardinal Rainer Woelki im Februar seinen Rücktritt angeboten. Ob der Papst ihn annehmen wird, hat er hart an der Grenze der vorgesehenen Dreimonatsfrist noch nicht kundgetan. Ungeachtet dessen versucht der der Vatikan ganz eigenständig, sich ein Bild von denen zu machen, die eines schönen Tages Stab und Mitra übernehmen könnten.Dazu verschickt der Apostolische Nuntius, der Botschafter des Papstes mit Sitz in Berlin, einen „Fragebogen zur Bewertung von Kandidaten für das Bischofsamt“ an einen nicht näher definierten Personenkreis. Das vierseitige Papier, das Sie in diesem Text in voller Länge finden, gibt interessante Aufschlüsse über die Kriterien, an denen die Kirchenzentrale in Rom die Eignung ihrer potenziellen Führungskräfte misst.

Strengste Geheimhaltung

Na fein, könnte man denken, endlich so etwas wie eine professionelle Personalentwicklung in der katholischen Kirche! Wenn da nur nicht die Umstände wären: Alles, was mit dem Fragebogen zu tun hat, unterliegt nämlich strengster Geheimhaltung. Wer ihn erhält, darf es keinem sagen und mit niemandem darüber reden – nicht heute, nicht morgen und in alle Ewigkeit. Man darf das Papier weder kopieren noch aufbewahren und unter gar keinen Umständen weitergeben.

Der Fragebogen kommt in einem neutralen Briefumschlag. Darin befindet sich ein weiterer, auf dem neben dem Siegel der Nuntiatur die Worte „sub secreto pontificio“ stehen. Zusätzlich ist der Innenumschlag mit den in Rot gestempelten Hinweisen „vertraulich“ und „nur persönlich zu öffnen“ versehen.

Mahnung vom päpstlichen Nuntius

Wie Nuntius Nikola Eterovic in einem förmlichen Begleitbrief erläutert, unterliegt der gesamte Vorgang „für immer dem päpstlichen Geheimnis“, eben dem genannten „secretum pontificium“. Dieses sei „sub gravi“ zu beachten, was im Kirchenlatein so viel bedeutet wie „aufs Strengste“ oder „unbedingt“. Eine Missachtung stelle „durch seine kirchliche Bedeutung einen schweren Fehler dar, wegen der Folgen, die sich für die Kirche und für die Person selbst ergeben.“

Was Seine Exzellenz, der päpstliche Nuntius, damit sagen will: Wenn herauskommt, über wen ich mich erkundige, was ich wissen will und was mir dazu geschrieben wird, dann stehen alle Beteiligten ganz schön belämmert da.

Kandidaten im Karriere-Visier

Unter dem Gesichtspunkt der Persönlichkeitsrechte hat der Gedanke durchaus seine Berechtigung. Welcher Bischof in spe kann schon wollen, dass über ihn allerhand Beurteilungen kursieren und mehr oder weniger öffentlich diskutiert werden – zumal dann, wenn der Betreffende selbst noch nicht einmal weiß, dass er von höherer Stelle ins Karriere-Visier genommen wird?

Was übrigens keineswegs eine nur hypothetische Überlegung ist. Tatsächlich wird von Geistlichen berichtet, die aus allen Wolken fielen, als man ihnen – wider sämtliche Auflagen – von der Existenz des Fragebogens zu ihrer Person berichtete. Und die fortan alles unternahmen, um nur ja nicht Bischof werden zu müssen.

Insgesamt 63 Fragen

Freilich wäre auch das Gegenteil denkbar: ein Schaulaufen anhand des päpstlichen Eignungsrasters. Ob das der Grund ist für die Geheimnistuerei um die insgesamt 63 Fragen „zur Person“, zu „menschlichen Qualitäten“, „intellektuellen, seelsorgerlichen und geistlichen Eigenschaften“, zu Bildung, Rechtgläubigkeit, Disziplin oder Führungsqualitäten – das sei dahingestellt.

Schon die zweite Frage allerdings stimmt nachdenklich: Da geht es um „die Verhältnisse der Familie aus zivilrechtlicher, religiöser und vor allem gesundheitlicher Sicht im Hinblick auf mögliche Erbkrankheiten“. Dass nach so etwas an prominenter Stelle auch nur gefragt wird, das sollte wohl wirklich unter der Decke bleiben.

Fragen zum Umgang mit Missbrauchsfällen

Worauf Fragen nach der Haltung des Kandidaten zur Priesterweihe der Frau, zur Ehe oder zur katholischen Sexualethik zielen, dürfte klar sein. Ein falsches Wort zu diesen Themen – und aus ist’s mit dem Bischofsamt. So war es jedenfalls noch unter Papst Benedikt XVI.

Dass heutzutage auch nach dem Umgang mit Missbrauchsfällen gefragt wird, liegt nahe. In Verhalten und Sprache soll es weder „Doppeldeutigkeiten“ geben noch Verhaltensweisen, „die zu einem Ärgernis oder Skandal führen oder führen könnten“. Eine weitere ergänzende Frage, ob der Kandidat „Ordensschwestern mit Respekt und Wertschätzung behandelt“, dürfte sich im Kontext des „moralischen Verhaltens“ auf das Problem einer neuerdings stark diskutierten eigenen Form geistlichen und oft genug auch körperlichen Missbrauchs beziehen.

Beachtung des Zölibats

Weiterhin ist natürlich die „überzeugte und loyale Zugehörigkeit zur Lehre und zum Lehramt der der Kirche“ von großem Interesse, ebenso die Beachtung des Zölibats, aber auch die Marienverehrung und die Beichte. Gerade letzteres allerdings führt augenscheinlich auf ein kniffliges Problem: Wer außer dem Beichtvater sollte darüber Auskunft geben können? Und würde der Beichtvater gefragt, dann dürfte er dazu nichts sagen.

Die zahlreichen, detaillierten Erkundigungen zu „Temperament und Charakter“ lassen das Wunschbild eines Superbischofs entstehen, dessen Extraklasse es locker mit einer himmlischen Heerschar von Engeln und Heiligen aufnehmen könnte: aufopferungsvoll, selbstlos, begeisternd, aber auch nüchtern, demütig und gehorsam, wortgewaltig und empathisch, barmherzig, wohltätig, dankbar, ausdauernd und „mutig im Ertragen von Widersprüchen“, stressresistent, ökumenisch sensibel und missionarisch, vielseitigst interessiert, führungsstark, durchsetzungsfähig, verbindlich, vertrauenswürdig.

„Ein lebendiges Abbild Christi“

Höhepunkt ist hier die zwölfte in der Reihe der 63 Fragen: „Ist er (der Kandidat) in der Lage, jedem Menschen nahe zu sein, ein lebendiges Abbild Christi, und als Vater, Bruder und Freund zu handeln?“ Ja, wer ist dazu schon in der Lage?

Abschließend geht es um die Tauglichkeit auf den diversen Stufen der katholischen Hierarchie: „Könnte der Kandidat Ihrer Meinung nach eine Diözese leiten (in einem städtischen oder ländlichen Kontext, in einer kleinen, mittleren oder großen Diözese), oder wäre er besser in der Lage, als Weihbischof mitzuarbeiten?“

Auskünfte nach dem Schneeballsystem

In Art eines Schneeballsystems erbittet der Nuntius in einer Nachbemerkung die Angabe weiterer Zielpersonen – „Priester, Ordensleute, Laien“ –, die „über ein gutes Urteilsvermögen, Gelassenheit und Diskretion verfügen und den Kandidaten gut kennen“. Mit Sinn fürs Praktische sollen neben Name und Titel gleich auch Wohnanschrift und Telefonnummer mitgeliefert werden.

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Nach der Lektüre der geballten vier Seiten drängen sich zwei allerletzte Fragen auf:

1. Wie um alles in der Welt konnten bestimmte Bischöfe auf Basis dieser Stellenbeschreibung bloß in ihr Amt gelangen?

2. Wieso um Gottes willen interessiert den Vatikan bei all diesen Fragen nur eine einzige nicht: Wünschen die Gläubigen sich den Kandidaten als ihren künftigen Bischof?