Zweieinhalb Jahre haben sich Klimaaktivisten auf die Räumung Lützeraths vorbereitet. Dass in wenigen Tagen die Blockade gebrochen sein könnte, entzündet die Debatte über die Form des Protests.
Großdemo am TagebauLützerath verblasst trotz großer Proteste und entzündet neue Debatte
Es ist ein langer Tross, der sich entlang der Landstraße 12 bei Keyenberg windet. Es regnet, der Wind peitscht über die Felder. Musik wummert aus einem Lkw. Eminem, Ärzte und der Demoklassiker „Wind of Change“ von den Scorpions. Mittendrin stapft Thomas aus Braunschweig. Mit ihm haben sich Zehntausende Menschen an diesem Samstagmorgen auf den Weg gemacht, um am Rande des Tagebaus Garzweiler II gegen die Räumung und für den Erhalt des Dorfes Lützerath zu demonstrieren. Der Kundgebungsplatz wurde auf einem Acker errichtet. Der Matsch ist so tief, dass Schuhe darin stecken bleiben.
Lützerath: Tausende bei Großdemonstration gegen Tagebau-Erweiterung
Thomas, 40, ist Mitglied der „Letzten Generation“ und aus Braunschweig angereist. Im März vergangenen Jahres besuchte er erstmals eine Veranstaltung des Aktionsbündnisses. Im April klebte er bereits das erste Mal auf einer Straße. Inzwischen laufen gegen ihn vier Strafverfahren. Er ist überzeugt: „Das Symbol 1,5-Grad wird hier erhalten oder fallen.“
Die Menschenmassen schwemmen in alle Richtungen. Einige Hundert haben sich direkt zur Grabungskante begeben, um einen Blick zu erhaschen in das riesige Loch, das der Energiekonzern hier gegraben hat, um Braunkohle abzubauen. Gleich dahinter: Lützerath, wo sich zur selben Zeit die letzten verbliebenen Baumhaus-Bewohner gegen die Räumung der Polizei wehren und zwei Menschen in einem Tunnel ausharren. Auf der Bühne performt Klima-Rapper Conny.
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Es spricht Peter Donatus, Aktivist aus Nigeria, der inzwischen in Köln lebt. Er redet vom „Klimaverbrecher“ RWE und davon, dass man das Unternehmen vor Gericht bringen müsse. Die Menge jubelt. Er spricht auch von den Grünen, die hier keine einzige Fahne in den Wind halten. „Ihr habt uns verraten. Jetzt werden wir euch bekämpfen.“ Die Menge jubelt wieder.
Demo in Lützerath: Greta Thunberg und der Marsch der Frustrierten
Kurz nach halb drei dann kommt Greta Thunberg, gehüllt in eine blaue Daunenjacke, der Wind weht beinahe ihre Mütze vom Kopf. Auf den Auftritt der schwedischen Protestikone haben hier die meisten gewartet. Er dauert nur wenige Minuten. Sie prangert das kapitalistische System an, das Profit über Menschenwohl stelle. Und fordert, den CO2-Ausstoß zu stoppen. Sie schließt mit der Hauptparole dieser Tage: „Lützi lebt“
Doch eigentlich ist Lützi schon so gut wie weg. Am Mittwoch hatte die Räumung begonnen, schon am Freitag war der Ort so gut wie leer. Häuser, auf deren Dächern kürzlich noch vermummte Menschen in Maleranzügen saßen, hat RWE bereits abgerissen. Lützerath verblasst, verschwindet Stück für Stück, bis es demnächst, so der Plan, im großen Loch verschwindet. Für die Braunkohle.
Lützerath: Zweieinhalb Jahre vorbereiteter Widerstand in wenigen Tagen gebrochen?
Die Großdemo ist auch ein Marsch der Frustrierten. Die Rasanz der Räumung hat viele in der Bewegung nachdenklich gemacht. Die meisten Aktivisten hatten sich einem friedlichen Protest verschrieben. Bis auf wenige Zwischenfälle war das Vorhaben auch eingehalten worden. Das bestätigt auch die Polizei. Zweieinhalb Jahre hatten sich die Aktivisten auf diesen Augenblick vorbereitet. Innerhalb weniger Tage war ihr physischer Widerstand gebrochen. Einer nach dem anderen wurde wegtragen, aus Lock-ons gemeißelt, aus Baumhäusern und selbst gezimmerten Hütten gezerrt. Manche fragen sich: Ist das noch der richtige Weg?
Die Debatten über die Protestformen seien bereits im Gange, sagt Florian Özcan, einer der Sprecher von „Lützerath lebt“. „Wir müssen uns schon fragen, ob friedlicher Protest in einer Demokratie noch das ist, was etwas bringt“. Er ist wütend, enttäuscht, aufgebracht. „Wir haben uns hier mit unseren Körpern der Kohleförderung in den Weg gestellt, um zu zeigen, wie wichtig es ist, dass die Kohle im Boden bleibt, um die Klimaziele zu erreichen“, sagt er. „Dieser Protest hat nichts gebracht.“
Gewalttäter unter Klimaschützern müssen Sanktionen aus eigenen Reihen fürchten
Die Aktionsbündnisse, die am Protest in Lützerath beteiligt sind, haben sich Gewaltfreiheit als Aktionskonsens auf die Fahnen geschrieben. Als Maximum wurde der zivile Ungehorsam festgelegt. Also festketten, kleben, den Arm einbetonieren, sich wegtragen lassen. Wer ausschert und doch mal einen Stein schmeißt oder einen Molotovcocktail muss in den eigenen Reihen keine Sanktionen fürchten. „Jeder entscheidet und rechtfertigt sein Handeln für sich selbst“, sagt Alma, die aus Frankreich kommt und am Freitag aus einem Baumhaus geholt wurde. „Wir haben keine Anführer. Und auch keine roten Linien.“ Aktionsanarchie also.
Die Bewegung selbst spricht von unterschiedlichen Aktionsleveln. In den Bündnissen kann da jeder Interessierte das richtige für sich finden. Die Gemäßigten bei Fridays for Future, die etwas Radikaleren in unterschiedlichen Abstufungen bei „Ende Gelände“, „Letzte Generation“ oder „Extinction Rebellion“.
Aktivisten wandern auf schmalem Grat: Es geht ums große Ganze
Es ist ein schmaler Grad, auf dem die Aktivisten wandern. Sobald ein Stein fliegt, werden sie zu Klimaterroristen erklärt, zu linksextremen Krawallmachern. Dann wird bisweilen auch die Politik in ihrer Rhetorik radikal, spricht wie CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt von einer „Klima-RAF“, die daraus hervorgehen könnte. Die Kriminalisierung durch hohe politische Ebenen aber führt in der Bewegung zu noch mehr Verdrossenheit und der Bestätigung, dass es richtig ist, sich von dem Parteiensystem abzuwenden.
Was die Aktivisten immer betonen, ist, dass es ihnen um das große Ganze geht: Ausstieg aus der fossilen Energiegewinnung, Einhaltung des 1,5-Grad-Ziel, Klimagerechtigkeit, Erhalt der Zivilisation, Kampf gegen Kapitalismus, Verschwendung, Ausbeutung, Rassismus, Sexismus, den. Sie bezeichnen es als kleingeistig, sich im Kontext dieser Herausforderungen und globalen Bedrohungen an geworfenen Steinen abzuarbeiten, statt den Fokus auf die vielen Probleme zu legen.
Dass Kritiker ihnen moralische Arroganz vorwerfen, schert sie nicht. So lange ihren Forderungen nicht nachgekommen wird, wollen sie sich wehren. Je träger politische Lösungen angeboten werden, desto schärfer wird sich der Protest ausgestalten. „Lützerath war nicht der erste Kampf, es wird auch nicht der letzte sein“, sagt eine Aktivistin. Wie diese Kämpfe künftig geführt werden, bleibt abzuwarten.
Aber auch der Kampf um den Weiler am Rand des großen Lochs ist noch nicht zu Ende. Auf der Bühne steht David Dresen von der regionalen, Initiative „Alle Dörfer bleiben“, ein bürgerliches Bündnis. Den Zehntausenden Demonstranten ruft er plötzlich zu: „Geht nach Lützerath rein. Lasst euch nicht aufhalten. Macht alles, was ihr für richtig haltet.“ Einige verstehen das als Aufruf zur Stürmung.
Kurz darauf versammeln sich Hunderte Demonstranten vor dem Zaun, den RWE um den Ort gezogen hat. Gepanzerte Polizisten beziehen Stellung. Die Lage wirkt bedrohlich. Es wird geschoben und auch geschrien. Die Polizei setzt Wasserwerfer, Pfefferspray und Schlagstöcke ein. Die Aktivsten sprechen später von „Polizeigewalt“ und beklagen Verletzte. Mit der Dunkelheit beruhigt sich die Lage etwas. Doch die Debatte über künftigen Protest brodelt. (mit mab)
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