Berlin/Düsseldorf – Eigentlich sollte Ende August Deadline sein: Bis dahin wollten die Gesundheitsminister von Bund und Ländern allen Kindern und Jugendlichen ein Impfangebot machen. Nun steht der mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer kurz vor der Zulassung für 12- bis 15-Jährige: Am Freitag will die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) ihre Entscheidung bekannt geben, doch die Stiko will scheinbar keine allgemeine Empfehlung aussprechen.
In NRW hat die Impfkampagne derweil Fahrt aufgenommen: Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sprach am Mittwoch von einer „Erfolgsgeschichte“, zehn Millionen Impfdosen seien bisher verabreicht worden. 43 Prozent der Über-16-Jährigen hätten ihre Erstimpfung bekommen, bei den Über-60-Jährigen seien es mehr als 80 Prozent.
Die Ständige Impfkommission (Stiko) dämpft nun Hoffnungen auf eine schnelle Empfehlung des Biontech-Impfstoffes für Kinder und Jugendliche: Momentan wisse man kaum etwas über die Nebenwirkungen von Corona-Impfungen, erklärte ein Stiko-Mitglied am Dienstag im Sender RBB. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ tendiert das Gremium dazu, den Impfstoff nur für Kinder und Jugendliche mit Vorerkrankungen zu empfehlen. Mitglieder des NRW-Kabinetts und Kinderärzte reagierten auf diese Nachricht am Mittwoch.
Was würde eine eingeschränkte Impfempfehlung bedeuten?
Impfstoffe für Kinder und Jugendliche müssen besonders hohen Sicherheitsstandards entsprechen – gerade, weil eine Corona-Infektion für diese Altersgruppe längst nicht so gefährlich ist wie für ältere Menschen. „Die Corona-Impfstoffe sind auch bei Kindern und Jugendlichen hochwirksam“, sagt Axel Gerschlauer, Mediziner und Pressesprecher des Bundesverbands der Kinder- und Jugendärzte. Zu den Nebenwirkungen bei Kindern und Jugendlichen gebe es scheinbar nicht genug Zahlen.
Er hält es für gut möglich, dass die Stiko ihre Empfehlung bei einer besseren Datenlage noch ändert, wie es auch bei Astrazeneca geschehen ist. Zudem können sich im Falle einer EMA-Zulassung Eltern auch dann dafür entscheiden, ihre Kinder impfen zu lassen, wenn es keine Empfehlung der Impfkommission gibt.
Wie reagierten Bund und Land auf die Andeutung der Stiko?
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will auch ohne Stiko-Empfehlung Kindern und Jugendlichen bis Ende des Sommers ein Impfangebot machen. Eltern und ihre Kinder sollten gemeinsam mit ihren Ärzten eine individuelle Entscheidung treffen, sagte Spahn am Mittwoch im Sender ntv. Schließlich, so Spahn, sei das Biontech-Präparat für die Altersgruppe bei einer positiven EMA-Enscheidung ein regulär zugelassener Impfstoff. Die Impfung solle jedoch nicht Voraussetzung für die Teilnahme am Präsenzunterricht in der Schule sein.
Laschet äußerte sich deutlich zurückhaltender: „NRW wird sich nach der Empfehlung der Ständigen Impfkommission richten“, sagte der Ministerpräsident. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) äußerte sich ähnlich. „Wir werden sehen, wie die EMA entscheidet und was sie in den Beipackzettel schreibt“, sagt Laumann bei einer Pressekonferenz. Anschließend werde man die Stiko-Empfehlung abwarten. „Wenn wir das wissen, werden wir die Entscheidung treffen, wie wir am Ende damit umgehen.“ Das sei in erster Linie eine medizinische Frage, keine politische. „Wir werden auf jeden Fall organisatorisch gut vorbereitet sein“, so Laumann.
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Familienminister Joachim Stamp sagte: „Wir werden keine Massenimpfungen von Kindern durchführen, um eine Herdenimmunität herzustellen.“ Der FDP-Politiker kündigte an, es werde eine „ganz genaue Abwägung geben, was für Kinder und Jugendliche das Beste ist“.
Was empfehlen Kinder- und Jugendärzte in NRW?
„Wir brauchen dringend ein Impfangebot für Kinder und Jugendliche“, forderte Axel Gerschlauer vom Landesverband NRW der Kinder- und Jugendärzte. Er könne es sehr gut nachvollziehen, wenn die Stiko die Impfung vorerst nur für Kinder mit beispielsweise Trisomie21, Lungenerkrankungen und Herzerkrankungen empfehle. „Die Impfung der gesunden Kinder und Jugendlichen ist aus meiner Sicht aus Individualschutzgründen zweitrangig.“
Schließlich hätten sie nur ein niedriges Risiko, im Falle einer Corona-Infektion schwer zu erkranken. Dennoch wünscht er sich auch für diese Altersgruppe ein Impfangebot. Gerschlauer rät, der Stiko-Empfehlung zu folgen: Natürlich gebe es darüber hinaus Einzelfallentscheidungen. Ähnlich äußert sich Jörg Dötsch, Professor für Kinder- und Jugendmedizin an der Uniklinik Köln. Er empfiehlt Eltern, sich im Falle einer EMA-Zulassung beim Kinderarzt beraten zu lassen.
Wie sollten Eltern nun vorgehen?
Bereits jetzt, sagt Gerschlauer, liefen in seiner Praxis die Telefone heiß. „Die Leute fragen, ob sie ihre Kinder schon auf Impflisten setzen können“, sagt er. Sinnvoll beraten könne er Eltern jedoch erst, wenn die EMA über eine Zulassung entschieden habe und die Stiko über eine Empfehlung. „Liebe Eltern: Wartet noch zwei Wochen und ruft dann erst bei einem Kinder- und Jugendarzt an“, appelliert Gerschlauer.
Wer zahlt die Impfung?
„Wenn die EMA den Impfstoff für Kinder zwischen 12 und 15 Jahren zulässt, dann ist es automatisch Leistung der Krankenkassen, das Impfen zu bezahlen“, sagt NRW-Gesundheitsminister Laumann. Den Impfstoff selbst bezahle auch hier die Bundesregierung. Sollte die EMA den Impfstoff zulassen, können Eltern ihre Kinder ab 12 Jahren also kostenlos impfen lassen – unabhängig von der Stiko-Empfehlung.
Wird der Vorrat an Impfstoff in der nächsten Zeit ausreichen – sowohl für Erwachsene als auch für Kinder und Jugendliche?
Laschet stimmt die Bevölkerung darauf ein, dass „in den nächsten Wochen sehr viel Geduld“ notwendig sein werde. Es würden in nächster Zeit deutlich mehr Zweit- als Erstimpfungen vorgenommen. Die beabsichtigte Aufhebung der Impfpriorisierung ändere daran nichts. „Der Impfstoff ist immer noch eine Mangelware“, sagte Laschet auch mit Blick auf den Andrang auf die Arztpraxen.
Sollte der Impfstoff für 12- bis 15-Jährige zugelassen werden, so Gesundheitsminister Laumann, habe diese Altersgruppe denselben Anspruch auf eine Impfung wie die Über-16-Jährigen. „Da nimmt niemand jemandem etwas weg“, sagt Laumann. „Sondern der Kreis derjenigen, die ein Anrecht haben sich impfen zu lassen, wird breiter.“ (mit afp)