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Katholische KircheDer Kampf mit der Verantwortung für den Missbrauch

Lesezeit 4 Minuten
Bischofskonferenz Woelki

Erzbischof Nikola Eterovic (v.l.n.r.), Georg Bätzing und Kardinal Rainer Maria Woelki in Fulda

  1. Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) hat beschlossen, Missbrauchs-Opfern Ausgleichszahlungen von bis zu 50.000 Euro zu gewähren.
  2. In Köln ist eine Studie zum Missbrauch noch immer nicht veröffentlicht. Der heutige Erzbischof von Hamburg, Stefan Heße, wehrt sich dagegen.
  3. Als ehemaliger Kölner Personalchef hat Heße offenkundig Angst, alleine an den Pranger gestellt zu werden. Indirekt belastet er auch Kardinal Rainer Woelki.

Von Amts wegen waren sie einander so nah, wie es nur ging: Als Generalvikar des Kölner Erzbischofs war Stefan Heße das „Alter Ego“ von Kardinal Rainer Woelki. Von ihren Positionen her haben sie sich weit voneinander entfernt, seit Heße 2015 Erzbischof von Hamburg wurde. Bestes Beispiel: Heße unterstützt die Reformanstrengungen des „Synodalen Wegs“ unter anderem für eine erneuerte Sexualmoral. Woelki ist der oberste Skeptiker. Auch persönlich, so beschreibt es ein Bischof, der die beiden jetzt auf der Vollversammlung der Bischofskonferenz in Fulda erlebt hat, ist das Verhältnis wohl „schwierig geworden“.

Das hat auch mit der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals zu tun. Woelki hat eine Untersuchung zum Verhalten der Bistumsleitung in Auftrag gegeben. Mit der erklärten Absicht, erstmals auch schonungslos die Namen von Mitwissern und Vertuschern auf der Führungsebene zu nennen, wollte Woelki einen neuen Maßstab für Transparenz setzen. Jetzt hat Heße, der unter Woelkis Vorgänger Joachim Meisner von 2006 bis 2012 Personalchef war, in einem Interview öffentlich gemacht, dass er sich im März juristisch gegen die Vorlage der Kölner Studie gewandt hatte.

Die Autoren, Anwälte einer Münchner Kanzlei, machen Heße als Hauptverantwortlichen für durchgängige Verfahrensmängel und „fehlende Opferfürsorge“ aus. Heße bestreitet nicht nur den Befund vehement. Er kreidet es dem Bistum und den Anwälten auch an, dass ihr Gutachten seine Sicht der Dinge nicht darstelle. Eine Verletzung rechtsstaatlicher Standards, so Heße.

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Unter dem Eindruck des Einspruchs auch anderer ehemaliger und aktiver Funktionäre stoppte Woelki die Publikation des Gutachtens. Es liegt bis heute auf Eis. Die als Grund angeführten „erheblichen Zweifel an der Rechtssicherheit“ und „äußerungsrechtlichen Bedenken“ gegen die Darstellung mit Namensnennung sind demnach seit dem „Aufschub“ nicht ausgeräumt. „Das Ziel der Veröffentlichung bleibt bestehen und steht nicht zur Diskussion. Es ist der explizite Wunsch des Erzbischofs, dass Verantwortliche benannt werden können“, so Bistumssprecher Christoph Heckeley.

Heße hat Angst, an den Pranger gestellt zu werden

Dass Heße die Sorge umtreiben könnte, von seinem früheren Chef als Einzelner an den Pranger gestellt zu werden, geht aus seinem Interview zwar nicht explizit, sehr wohl aber zwischen den Zeilen hervor. Er benennt mehrfach Personen und Gremien, die über alle Missbrauchsfälle im Bilde gewesen seien: als Erst- und Letztverantwortlichen natürlich Kardinal Meisner, dann aber auch Heßes Vorgänger als Generalvikar, der heutige Weihbischof Dominikus Schwaderlapp, und die „Personalkonferenz“. In ihr sitzen unter anderem die Weihbischöfe. Einer von ihnen von 2003 bis 2011: Rainer Woelki. Sie alle hätten ihren Rat „an den Erzbischof geben“ können, betont Heße. Was die „schwierigen Entscheidungen“ betrifft, „lief es am Ende im Miteinander, und dafür bin ich dankbar“. Man wird diese Passage als kaum verhohlene Kampfansage Heßes in Woelkis Richtung lesen müssen: Was immer ihr mir anhängen wollt – ihr hängt mit drin!

Rückenwind für Offenlegung der Studie aus Fulda

Rückenwind für Woelkis Strategie der Offenlegung kam am Donnerstag aus Fulda. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Georg Bätzing, sprach sich für eine klare Benennung von Verantwortlichen durch die Bistümer aus. Er könne aus eigener Erfahrung in Limburg sagen, dass dies einen „reinigenden Prozess“ im Sinne der Opfer ermögliche.

Die Opferperspektive machen die Bischöfe auch für ihre Entscheidung geltend, als „Anerkennung des Leids“ künftig bundeseinheitlich bis zu 50 000 Euro zu zahlen, orientiert an der oberen Grenze in Schmerzensgeld-Urteilen staatlicher Gerichte. Die Vergabe – auch an jene, die bereits einen symbolischen Betrag von meist 5000 Euro erhalten haben – soll auf Antrag durch eine kirchenunabhängige Kommission erfolgen. Nur neue Antragsteller sollen sich einer „niedrigschwelligen“ Plausibilitätsprüfung unterziehen müssen.

Opfervereinigung ist unzufrieden

Der Betroffenen-Vertretung „Eckiger Tisch“ geht das nicht weit genug. Sie verlangt Entschädigungen von bis zu 400 000 Euro. Es gehe nicht nur, wie vor staatlichen Gerichten, um den Ausgleich für aktuelle Taten, sondern „für jahrzehntelange systematische Vertuschung und Verdunkelung von Verbrechen“ und deren Folgen. Die Bischofskonferenz beruft sich dagegen auf den vom deutschen Recht gesetzten Finanzrahmen. Zudem würde der „Einstieg in ein Schadenssystem“ mit Zahlungen in sechsstelliger Höhe ein deutlich strengeres Beweisverfahren verlangen, das den Opfern „nicht zugemutet“ werden solle und das viele gar nicht antreten könnten, etwa wenn die des Missbrauchs beschuldigten Priester nicht mehr leben.

In Köln kam es in dieser Frage auch zu Spannungen mit dem von Woelki eingesetzten Betroffenenbeirat. Das Gremium beklagt, dass es einen Forderungskatalog, in dem auch die höheren Entschädigungssummen genannt sind, nicht – wie bislang üblich – über die Info-Kanäle des Bistums verbreiten durfte. Bistumssprecher Heckeley versicherte, in Fulda habe Woelki die Position des Beirats „in die Beratung eingebracht“. In einem Brief an Woelki schreibt der Beirat, was nicht nur aus seiner Sicht auf dem Spiel steht: „Die im Herbst 2019 propagierte Maxime, die Kirche in Deutschland übernehme Verantwortung für die lebenslangen Folgen des klerikalen Missbrauchs, bleibt unerfüllt.“