Der Vorwurf ideologischen Handelns gilt in der Politik als besonders schwerwiegend. Unser Kolumnist Erik Flügge ist anderer Meinung - und stimmt ein Lob auf Ideologien und Ideologen an.
Kolumne über MeinungsvielfaltLob der Ideologie
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat mal wieder das Ende aller Corona-Maßnahmen gefordert. Anlass dieses Mal war ein Interview mit Christian Drosten im Berliner „Tagesspiegel“, in dem der Virologe sagte, die Pandemie sei vorbei, aber es brauche weiterhin einige Schutzmaßnahmen. Für Buschmann ein Anlass, aus seiner Sicht klarzustellen, dass ein Ende der Pandemie auch ein Ende aller Maßnahmen bedeuten müsse.
Ideologie bedeutet zunächst einmal nur „Weltanschauung“
Seither wird Buschmann unter Verweis auf Drostens einschränkende Worte pure Ideologie vorgehalten. Der Vorwurf der Ideologie trifft immer hart. Die große Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich eine unideologische Politik, die sich allein pragmatisch an den Fakten orientiert. Dabei sollte man es sich allerdings nicht zu einfach machen. Denn ideologisches Handeln ist nicht immer verwerflich, sondern manchmal für uns alle höchst wertvoll.
Ideologie heißt im Kern erstmal nur „Ideenlehre“ oder – in gängigere Sprache übersetzt – Weltanschauung. Jeder Mensch hat eine Weltanschauung, davon kann man sich nicht frei machen. Diese Weltanschauung definiert mit, was man richtig findet und was nicht. Es ist mitnichten so, dass es immer eine eindeutig richtige Position basierend auf den Fakten gibt, sondern in den allermeisten Fällen muss man zwischen konkurrierenden Gütern abwägen.
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Wir brauchen konkurrierende Ideologien für gute Kompromisse
Im Falle von Corona zum Beispiel zwischen Gesundheitsrisiken und Freiheitsrisiken. Beides sind wichtige Werte, und es gibt Menschen, die entwickeln aus einem der beiden ihre Ideologie. Buschmann zweifelsohne aus dem Wert der Freiheit, andere Menschen aus dem Wert der Gesundheit.
Beides kann ins Extrem pervertieren: Wer die eigene Freiheit über alles stellt, schadet allen anderen – außer sich selbst. Wer Gesundheit über alles stellt, wird überängstlich und unfrei. Beide Extreme sind nicht wünschenswert. Dennoch brauchen wir beide konkurrierenden Ideologien, damit in der Mitte gute Kompromisse entstehen.
Es war und ist eine wertvolle Rolle der FDP, dass sie zu jedwedem Zeitpunkt in der Corona-Pandemie auf die Freiheit gepocht und jede Maßnahme kritisch in Frage gestellt hat. Das war immer ideologisch, aber eben auch notwendig, damit wir uns nicht zu weit in Richtung einer Gesellschaft der Ängstlichkeit entwickeln.
Ohne Öko-Ideologen wäre der Kölner Grüngürtel heute eine Autobahn
Genau gleich verhält es sich auch mit den Öko-Ideologen. Sie versuchen, jedes neue Bauprojekt zu verhindern. Egal ob Straße oder Wohnquartier, immer wird dagegen protestiert. Auch wenn alle Gründe für eine Bebauung sprechen, kann man sich sicher sein, dass ein Öko-Ideologe trotzdem dagegen klagt.
Diese Leute nerven und dennoch brauchen wir sie. Denn „gute Gründe“ finden sich für jedes Bauprojekt. So oft, bis am Ende jede grüne Wiese zubetoniert ist. Gäbe es solche Ideologen nicht, der Kölner Grüngürtel als grüne Lunge unserer Stadt wäre heute wortwörtlich eine Autobahn.
Wir brauchen Ideologie in der Politik: konkurrierende Weltanschauungen, die dazu beitragen, dass unterschiedliche Perspektiven jederzeit stark gemacht werden.