- Herbert Reul will mit verstärkten Razzien und einer Task-Force die ausufernde Clan-Kriminalität in NRW bekämpfen.
- Im großen Interview spricht der NRW-Innenminister unter anderem über Politikversagen und Pläne, wie er an den harten Kern der Clans herankommen will.
- Reul spricht außerdem über neue Gruppierungen aus dem Flüchtlingsspektrum, die den eingesessenen arabisch-kurdischen Großfamilien Konkurrenz machen.
Köln – Jahrzehntelang wurde das Problem ignoriert. Mit verstärkten Razzien und einer Task-Force will NRW-Innenminister Herbert Reul jetzt die ausufernde Clan-Kriminalität bekämpfen. Höchste Zeit, denn die Gefahr wird immer größer.
Herr Reul, laut dem polizeilichen Lagebild gibt es gut 100 Clans in NRW. Deren Mitglieder haben in den vergangenen drei Jahren 14.225 Straftaten begangen, wobei die Behörden von 6449 tatverdächtigen Personen sprechen. Die Dunkelziffer soll noch höher liegen. Das vermittelt den Eindruck, als hätte sich eine kriminelle Klein-Armee formiert, die unkontrollierbar ist.
Zunächst sei gesagt: Das ist keine einzelne Bande mehr, das ist Mafia in einer anderen Art. Ich glaube aber schon, dass man dieses Phänomen in den Griff bekommt. Es geht Schritt für Schritt voran. Unsere Razzien, die wir seit einiger Zeit verstärkt durchführen, werden das Problem zwar nicht alleine lösen. Aber sie führen zu Unruhe in der Szene. Diese Leute merken, so einfach geht es nicht mehr. Und wir erhalten immer mehr Hintergrundinformationen für die langfristige Aufarbeitung, die dann in die Arbeit unserer neu gegründeten Task-Force einfließt.
Zuletzt waren Sie häufig bei Groß-Razzien vor allem gegen die arabisch-kurdischen Clans zugegen. Kritiker sprechen in diesem Zusammenhang von medienwirksamen Showauftritten, die letztlich nichts bringen.
Das ist Humbug. Die Razzien sind Nadelstiche, die auf die Dauer eine Wirkung haben und ein Teil der Lösung sein werden. Wir wollen stören, die Täter nicht mehr in Ruhe lassen. Die können sich nicht mehr sicher sein. Der ein oder andere wird erwischt. Oder die Behörden schließen beispielsweise eine Shisha-Bar, die einem Clan zugeordnet wird. Der jahrzehntelange Missstand nach dem Motto, „wir machen, was wir wollen“, ist jedenfalls vorbei. Wir erobern uns die Straße zurück. Bei der letzten Großrazzia im Ruhrgebiet im Januar hatten wir 14 Festnahmen, 100 Strafanzeigen, 500 Ordnungswidrigkeiten, 430 Verwarngelder und zwei Fahrzeuge, mehrere Kilogramm unversteuerter Tabak sowie Bargeld wurden sichergestellt. Gar nicht so schlecht für einen Showauftritt, oder?
Und damit wäre das Problem jetzt gelöst?
Natürlich glauben wir nicht, dass das reicht. Wir müssen kontinuierlich dranbleiben. Zeigen, dass der Staat sich kümmert.
Der harte Kern in NRW scheinen ja 300 Personen zu sein, die für rund ein Drittel der Straftaten verantwortlich gemacht werden. Kommt man jetzt auch an diese Klientel heran?
Das ist das Ziel, aber das wird Zeit und Geduld kosten. Wir versuchen Systeme zu entwickeln, wie man noch systematischer bei den Ermittlungen vorgehen kann. Wir brauchen Modelle, die Einzelfälle mit dem Gesamtbild verknüpfen. Oft haben wir bei der Aufklärung jedoch das Problem, dass eine Vernetzung auf Datenschutz-Bedenken trifft. Da brauchen wir eine Lösung.
Was genau meinen Sie: Datenschutz wird zum Täterschutz?
So würde ich es nicht sagen. Aber wir müssen den Spielraum, den uns das Datenschutzrecht lässt, einfach besser nutzen. Da geht es insbesondere darum, Informationen, die in unterschiedlichen Behörden zu den einzelnen Clan-Mitgliedern vorliegen, besser miteinander zu verbinden. Etwa die Daten des Sozialamtes mit denen des Job-Centers, der Kfz-Zulassungsstelle, des Zolls oder des Jungendamtes. Vieles davon ist schon nach geltender Rechtslage möglich. Wir müssen diese rechtlichen Möglichkeiten einfach stärker ausschöpfen.
Der „Bund Deutscher Kriminalbeamter“ (BDK) schlägt vor, die Kinder aus den Clan-Familien zu nehmen, wenn diese nachweislich ein krimineller Familienbetrieb sind.
Eines steht fest. Wir müssen uns um Kinder aus diesen kriminellen Strukturen kümmern. Diese aber aus den Familien einfach rauszunehmen, birgt enorme rechtliche Hürden. Das wäre ein drastischer Eingriff und schwer durchsetzbar. Aber wir müssen Angebote für den Ausstieg machen. Beispielweise für Jugendliche oder Frauen. Für jene Menschen, die sich eine andere Zukunft für ihre Kinder wünschen. Eine andere Perspektive, als womöglich in einem Bandenkrieg zu sterben. Unsere Botschaft muss sein: Bei uns könnt ihr auch auf legalem Wege zu Wohlstand und Anerkennung kommen.
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In einigen Ruhrgebietsstädten sind die Clans und deren Parallelstrukturen seit Langem etabliert. Hat die Politik an dieser Stelle versagt ?
Man hat das Problem einfach nicht wahrhaben wollen. Politiker reagieren oft erst dann, wenn das Wasser bis zum Hals steht. Liegen lassen, bis die Hütte brennt! Und dann gab es auch eine Phase, in der man in NRW nicht die Bereitschaft zeigte, das Problem beim Namen zu nennen. Da fürchtete man, ganze Volksgruppen würden stigmatisiert, wenn von kriminellen Clans die Rede ist.
Derzeit arbeiten die NRW-Behörden an einem Clan-Lagebild. Werden Sie darin konkret benennen, um welche Familien es geht?
Das ist eine gute Frage. Wir denken derzeit nämlich tatsächlich darüber nach, wie wir das hinbekommen, ohne Menschen zu diskriminieren oder in Sippenhaft zu nehmen. Ich denke aber, die Leute sollen wissen, mit wem sie es zu tun haben. Die Geheimniskrämerei vergangener Tage hilft uns nicht weiter.
Nach unseren Recherchen gibt es neue Gruppierungen aus dem Flüchtlingsspektrum, die den eingesessenen arabisch-kurdischen Großfamilien Konkurrenz machen. Stimmt das?
Ja. Wir haben Anzeichen dafür, dass sich Großfamilien aus dem irakisch-palästinensisch-syrischen Bereich formieren, die versuchen, die bisherigen Platzhirsche zu verdrängen. Wir bemerken das insbesondere im Bereich des illegalen Rauschgifthandels. Da geht es beispielsweise um Leute, die bisher zu den Fußtruppen der etablierten Clans gehörten, und die sich jetzt sozusagen selbständig gemacht haben. Diese Leute wollen keine Handlanger mehr sein. Unter diesen neuen Clans befinden sich auch junge Männer mit Kriegserfahrung aus den Konflikten in Syrien und im Irak. Wenn man von der italienischen Mafia spricht, dann arbeitet die ja gerne im Verborgenen. Die Clans sind da schon deutlich weniger lichtscheu. Und die neuen Gruppierungen sind vermutlich noch gewaltbereiter. Etliche von ihnen waren an der Kriegsfront. Wir reden hier nicht über Messdiener.
Das heißt, man muss fürchten, dass dann noch schneller zur Waffe gegriffen wird.
Ich will hier jetzt keine Panik verbreiten. Aber diese Entwicklung besorgt uns schon. Deshalb haben wir das sehr genau im Blick.
Wie sollen die Sicherheitsbehörden auf diese Entwicklung denn reagieren?
Es war höchste Zeit, dass wir mit den Maßnahmen wie verstärkte Razzien begonnen haben. Und da müssen wir noch konsequenter dranbleiben, als es bisher der Fall war.
Schauen Sie sich eigentlich auch die TV-Clan-Serien an ?
Ja, zumindest eine. „4 Blocks“, die Serie spielt in Berlin. Die hat mir mein Referent über die Weihnachtsfeiertage ausgeliehen. Und dann habe ich sie auch geguckt.
Sind die Darstellungen von Gewalt und Kontakten in die Polizei und Politik realistisch?
Ich sehe in NRW kein Indiz dafür, dass bei uns der Staat schon unterwandert wäre. Aber wir haben es bei der Clankriminalität auch im richtigen Leben mit einer hohen Gewaltbereitschaft zu tun. Und deshalb müssen wir diese Entwicklung dringend stoppen.
Seit der Reform des Paragrafen zur Vermögensabschöpfung im Juli 2017 setzen auch die Strafverfolger in NRW zunehmend darauf, die kriminellen Familien-Syndikate dort zu treffen, wo es besonders wehtut: am Portemonnaie. Die Gesetzesnovelle erweiterte die Befugnisse der Strafverfolger, Vermögen schon dann zu beschlagnahmen, wenn die Herkunft des Geldes unklar ist. Reicht das aus?
Erstmal ist das doch super. Ich würde mir nur wünschen, wir würden es noch häufiger machen.
Zuletzt musste beschlagnahmtes Vermögen aber wieder zurückgegeben werden, weil die kriminelle Herkunft letztlich nicht nachgewiesen werden konnte. Müsste es nicht eine Umkehr der Beweislast geben, wie dies in Italien bei der Mafia angewendet wird?
Ein interessantes Instrument, aber zu unserem Rechtssystem passt das leider nicht. Sollte sich allerdings die Vermögensabschöpfung hierzulande nicht bewähren, müssen wir über etwas Neues nachdenken.
Meist operieren die Clans außer in NRW auch in Berlin, Bremen, Niedersachsen oder an der Mainschiene: Wie wichtig ist der Informationsaustausch zwischen den Ländern?
Die Zusammenarbeit ist elementar. Aber die ist sicher auch noch ausbaufähig. In Berlin ist der rot-rot-grüne regierte Senat noch nicht so weit wie wir hier in NRW.
Herr Reul, ein Ausblick, wie lange wird das Clan-Phänomen die Polizei noch beschäftigen?
Prognosen sind schwierig. Dieser Kampf braucht Ausdauer. Ich glaube nicht, dass das Problem am Ende meiner Amtszeit erledigt ist. Super wäre, wenn wir demnächst mal wieder einen der Hintermänner der Clans an der Angel hätten. Ähnlich wie der Schlag gegen die Leverkusener Großfamilie, die offenbar von Betrügereien im großen Stil lebte. Jahrelang haben die Chefs der Familie den deutschen Staat verhöhnt. Jetzt ist aber Schluss damit! Diesen Burschen muss klar sein: Bei uns gilt nicht das Gesetz der Familie, sondern das Gesetz des Staates. So muss es weiter gehen, damit wir die Lufthoheit in allen Ecken der Städte wiedergewinnen.