„Ich schlag dich kaputt“Wie „Pumpgun“ Bilal und sein Clan die Behörden terrorisieren
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Drogenhandel, Erpressung, Gewaltattacken: Auch in NRW hat sich eine kriminelle Parallelgesellschaft etabliert.
Viele Namen haben in der Unterwelt bundesweit großes Gewicht bekommen.
Auf den Spuren der familiären, meist arabischstämmigen Gangster-Syndikate.
Essen/Düsseldorf – Bilal H. rastete aus: „Schlampe“, herrschte er die Mitarbeiterin des Ordnungsamtes in der Essener City laut Polizeiprotokoll an. Während der bullige Mann auf die Frau zustürmte und zum Faustschlag ausholte, schob er noch zahlreiche schlimmere Beschimpfungen hinterher. In letzter Sekunde stellten sich Kollegen der städtischen Mitarbeiterin dazwischen, um den tobenden Angreifer zu bremsen: Bilal H., vielfach vorbestraft, Mitglied des berühmt-berüchtigten Al-Zein-Clans.
Der verängstigten und zitternden Frau brüllte er den Ermittlungen zufolge noch einige Flüche hinterher: „Verpiss dich, wenn ich dich hier noch mal treffe, schlag ich dich kaputt.“ Einem Polizisten in Zivil, der zufällig vor Ort war, ging der Berufsverbrecher noch an den Kragen, weil der die Szene per Handy gefilmt hatte. Bilal H., Spitzname „Pumpgun Bilal“, weil er seinen Vater einmal mit einer derartigen Waffe bedroht hat, ließ keinen Zweifel daran, wer seiner Meinung nach in dem Viertel das Sagen hat: der Clan.
Der Grund für den Ausraster: Die Mitarbeiter des Ordnungsamtes hatten eine Spielhalle in der Essener Innenstadt kontrolliert und dabei H. mit seinem kleinen Sohn angetroffen. Kinder dürfen nicht in die Räume, sagte die Frau vom Amt – und die Situation eskalierte.
In öffentlicher Hauptverantwortung vor Gericht verantworten musste H. sich deshalb aber nicht. Denn bei der Essener Justiz ist der wuchtige Schläger gefürchtet. In einem Vermerk plädierte ein Amtsrichter dafür, die Anklagen in der Spielhallen-Sache und weiteren Fällen von Beleidigung, des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, Bedrohung und vorsätzlicher Körperverletzung nicht zu verhandeln.
Zu hoch erschien ihm das Sicherheits-Risiko durch Tumulte seitens des Angeklagten und seiner Familie im Gerichtssaal. Im Falle eines Prozesses seien wohl ein Dutzend Justizwachtmeister nebst Polizeiaufgebot nötig, „um eventuelle bedrohliche Situationen zum Nachteil der geladenen Zeugen, der Vertreterin der Staatsanwaltschaft oder auch des Gerichts zu unterbinden.“ Schließlich wurde gegen Bilal H. ein Strafbefehl über siebeneinhalb Monate auf Bewährung verhängt.
In einer anderen Sache hatte er zuvor eine Geldbuße von 1800 Euro erhalten, die er aber jahrelang schuldig blieb. Offiziell lebt er von Hartz-IV-Einkünften. Tatsächlich aber soll er sich nach der Einschätzung von Ermittlern durch Straftaten finanzieren, etwa durch Diebstahl und Hehlerei. Sein Vorstrafenregister enthält zudem noch zahlreiche weitere Einträge von Jugend an: unerlaubter Waffenbesitz, Körperverletzung, Nötigung und Beleidigung.
14.225 Straftaten in NRW
Miri, Omeirat, Remmo, Abou Chaker, El Kadi, Serhan, Nemr und Tamr, El Kurdi: Die Namen haben bundesweit in der Unterwelt großes Gewicht bekommen. Bei weitem nicht jeder Angehörige geht illegalen Geschäften nach. Der Arm der kriminellen Familienzweige reicht jedoch von der Spree, über die Weser bis an die Ruhr und den Main. Das weit verzweigte Sippen-Netz verläuft vom südlichen Schweden über Deutschland, Belgien, Niederlande bis in die Türkei und den Libanon.
Auch die Ruhrschiene ist mittlerweile Clan-Land. Das Düsseldorfer Landeskriminalamt (LKA) zählt 100 Sippen in NRW. Aufgelistet wurden 6449 Tatverdächtige aus dem Milieu, die bis 2018 binnen zwei Jahren 14.225 Straftaten begangen haben sollen. Das Register umfasst Schutzgelderpressung, Einbruch, Raubüberfall, Drogen- und Waffenhandel, Betrug mit Gebrauchtwagen oder bei Kfz-Versicherungen, gewerbsmäßige Steuerhinterziehung, Geldwäsche, Zigarettenschmuggel, Produktpiraterie bis hin zum Handel mit gefälschten Viagra-Pillen.
Die vier Hauptclans
Al-Zein
Die Großfamilie ist eine der mächtigsten in Berlin und im Ruhrgebiet, besonders in Essen. Zu dem Clan zählen etwa 5000 Mitglieder. Ihr Oberhaupt ist Mahmoud Al-Zein, selbst ernannter „Pate von Berlin“.
Omeirat
Die Familie ist hauptsächlich im Ruhrgebiet aktiv. Sie stammt aus den kurdischen Gebieten der Türkei und ist in den 1980er-Jahren über den Libanon schließlich nach Deutschland eingereist.
Miri
Ramadan A., Anführer des Clans mit Schwerpunkt in Bremen, wurde im Herbst 2018 in Sachsen festgenommen. Die Familie soll mit Marihuana und Kokain in Bochumer Shisha-Bars handeln.
Remmo
Die Familie Remmo machte mit spektakulären Verbrechen Schlagzeilen. Rivalen wurden ermordet, eine riesige Goldmünze aus einem Museum gestohlen. Zu dem Clan zählen 500 Mitglieder in Berlin und Essen.
Jung, gewalttätig, skrupellos, ohne Respekt vor der Staatsmacht: Das ist der Prototyp eines Clanmitglieds. Bilal H. ist einer von ihnen. Von einem Wettbüro-Betreiber soll er im Jahr 2014 150.000 Euro gefordert haben. Zudem sollte der Bedrohte zwei Zockerbuden der Familie übergeben und 10.000 Euro monatliches Schutzgeld bezahlen, andernfalls sei er ein toter Mann.
Wettbüro-Besitzer erpresst
So zumindest legen es Vermerke nahe, die dieser Zeitung vorliegen. „Ich sag dir offen, dass du unser Gast bist hier in Essen und ohne uns hier diese Geschäfte nicht machen kannst“, soll ein anderer Schläger aus dem El-Zein-Clan gedroht haben. Als er sich geweigert habe zu zahlen, so der Wettbürobetreiber, hätten die Einschüchterungsversuche zugenommen: Am Telefon habe Bilal H. deutlich gemacht, dass er aufpassen müsse. Er, Bilal, habe schon im Gefängnis gesessen und er habe auch kein Problem damit, nochmals wegen ihm in den Knast zu wandern, drohte er laut Aussage des Geschäftsmannes. Am Abend soll es einen weiteren Drohanruf einer El-Zein-Größe gegeben haben. Ali H. saß zu jener Zeit im offenen Vollzug in Castrop-Rauxel. Das soll ihn aber nicht davon abgehalten haben, sich das Handy eines Knastkumpels auszuleihen, um den Wettbürobesitzer weiter unter Druck zu setzen.
Jahrelang versuchte die Essener Staatsanwaltschaft Bilal H. und seine Verwandten, die die Vorwürfe stets bestritten, wegen Erpressung zu belangen. Letztlich aber wurden die Angeklagten wegen Ermittlungsfehlern und aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Der Bundesgerichtshof verwarf 2018 die Revision der Ankläger.
Der 37-jährige Araber gehört zu den großen Problemfällen an der Ruhr. H. gilt als eine der führenden Figuren im libanesischen Al-Zein-Clan der Reviermetropole. Sein Vater ist eines der Oberhäupter der Großfamilie mit geschätzt 5000 Mitgliedern, die in Berlin und an der Ruhr Hunderte Strafakten füllt. „Die Heimat ist der Clan“, erläutert Essens Polizeipräsident Frank Richter. „Der deutsche Staat mit seiner Werteordnung wird verachtet. Er gilt als schwach.“
Versagen der Politik
NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) moniert, dass die Politik tatenlos zugesehen habe, wie sich „in den vergangenen 30 Jahren kriminelle Strukturen“ verfestigt hätten. „Es hat sich eine Parallelgesellschaft entwickelt“, konstatiert der Minister.
Machogehabe, Protzen mit dicken Schlitten, mangelnder Respekt vor der Ordnungsmacht, gepaart mit archaischen Wertebegriffen, an deren Spitze die Familie steht: Ein einfaches Gut-und-Böse-Denken beherrscht den abgeschotteten Clan-Orbit, der das schnelle Geld durch Straftaten verspricht. Wer sich „gerademacht“ auf der Straße, genießt Ehre und Ruhm. Gefängnisaufenthalte gelten als Auszeichnung.
Bei Clans wie den Al-Zeins handelt es sich um sogenannte Mhallamiye-Kurden, die in den 1920er Jahren vor den Repressalien des Atatürk-Regimes aus der Türkei in den Libanon flüchteten. Vor dem Bürgerkrieg in Beirut flohen die Sippen in den 1980er Jahren nach Deutschland. Viele von ihnen wurden Staatenlose. Zwar geduldet, mangels Arbeitserlaubnis durften sie hierzulande allerdings nicht jobben. „Also nutzten sie ihre Clanstrukturen, um illegal Geld zu erwirtschaften“, erläutert Daniel Kretzschmar, Berliner Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK). Zu spät habe man erkannt, dass nur ein hoher Personaleinsatz die Entwicklung stoppen könne. Auch deshalb, weil der Nachwuchs mancher Familien von klein auf „angelernt“ werde, die „Gangsterphilosophie“ zu verinnerlichen.
So wie Clan-Spross Bilal H., der im syrischen Deir-Zor auf die Welt gekommen sein will. Ein Umstand, der dazu führt, dass er trotz seiner Straftaten immer wieder aufs Neue eine Duldung erhält. Die Ermittler verorten seinen Geburtsort indes in der libanesischen Hauptstadt Beirut. Beweisen können sie es nicht.
Null-Toleranz-Strategie
Seit seinem Amtsantritt 2017 forciert NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) eine „Null-Toleranz-Strategie“ mit zahlreichen Razzien in Clan-eigenen Shisha-Bars, Spielhallen, Imbissbuden, Lokalen bis hin zu Gewerbebetrieben oder Mietshäusern, die sich im Besitz der Groß-Sippen befinden. Reul will über „die Politik der Hundert Nadelstiche“ die Lufthoheit im Ruhrgebiet zurückgewinnen. „Es ist eine Mammutaufgabe, den Clans das Handwerk zu legen“, bekennt der Minister.
Dabei geht es vor allem um Gruppen wie die Al-Zeins. Die Großfamilie spielt an der Ruhr und an der Spree eine gewichtige Rolle. Mahmoud Al-Zein, einst der Pate von Berlin, im Jahr 2005 verurteilt wegen Drogenhandels zu vier Jahren und drei Monaten Haft, soll heute in Duisburg leben. Im Herbst feierte „El Presidente“ die pompöse Hochzeit seiner Tochter in Mülheim/Ruhr. So groß die Gästeschar, so intensiv fielen die polizeilichen Kontrollen aus. Zahlreiche andere Bosse sollen anwesend gewesen sein.
Die Clans teilen den Einfluss untereinander auf. „Beinahe turnusmäßig treffen sich die Oberhäupter der wichtigsten Familien in Düsseldorf, um ihre Geschäfte zu besprechen und ihre Territorien abzustecken“, berichtet ein hochrangiger Ermittler dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Geraten rivalisierende Familien aneinander, vermittelt eine Art Friedensrichter.
Das TV-Magazin Kontraste sprach kürzlich mit Jamal El-Zein. Der Mann gilt als die moralische Instanz für Tausende Clan-Mitglieder. Seinen Worten zufolge hilft er dort, wo die hiesige Ordnungsmacht scheitert. „Weil wir die Angelegenheiten regeln können, die der Staat nicht lösen kann. Wenn ein, zwei Leichen auf den Boden fallen, klären wir das innerhalb von zwei Wochen!“ Ohne sein Wirken, brüstete sich der selbst ernannte Friedensstifter, würde es weitaus brutaler zugehen: „Dann hätte es in Essen schon 50 Tote gegeben.“
Spektakuläre Kriminalfälle in Berlin
Im Ruhrpott ist die Al-Zein-Sippe eine Macht. Wenn es mit der Polizei Ärger gibt, werden per Handytelefonkette umgehend einige Dutzende Clanbrüder herbeigerufen. Schnell entsteht ein Mob, der die Ordnungshüter beschimpft oder einzuschüchtern versucht. „Wir wissen, wo du wohnst“, klebte ein Zettel auf dem Zivilwagen eines Polizeibeamten in Essen. Massiv werden Gerichtszeugen durch Sippenangehörige eingeschüchtert. Mit dem Erfolg, dass sich etliche an ihre belastenden Aussagen bei der Polizei vor dem Richter nicht mehr erinnern können.
Nach Angaben der Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik geht in der Hauptstadt jede vierte Tat im Bereich Organisierter Kriminalität (OK) auf das Konto arabischer Clans. Ähnlich aktiv scheinen die NRW-Ableger zu sein, die längst ihre Operationsfelder weit über das Ruhrgebiet hinausgeschoben haben.
Gepanschten Tabak verkauft
„Dabei wird alles zu Geld gemacht, was geht“, erläutert ein leitender Strafverfolger. Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft ermittelt gegen eine 15-köpfige Familie, die im großen Stil gestohlene Autos aus etlichen EU-Staaten in illegalen Werkstätten ausgeschlachtet haben sollen.
Im vergangenen Jahr hoben die Essener Zollfahnder eine illegale Wasserpfeifentabak-Fabrik im Kreis Mettmann aus. Gut 2,3 Tonnen Ware soll die Gang laut Ermittlungen verschoben haben. Die Tabakpanscher soll das örtliche Oberhaupt der Al-Zein-Familie in Langenfeld gelenkt haben. Pro Kilo sparte der Clan 40 Euro Tabaksteuer. „Da kommen Gewinnspannen von 200 Prozent zusammen, mehr als bei einem Kilo Koks“, erläutert ein hochrangiger Fahnder.
Bilal H. indes kann auf das Wohlwollen seines Bewährungshelfers zählen. Trotz aller Rückfälle stellte der ihm im Herbst 2016 ein positives Zeugnis aus. Sicher, da gebe es noch drei offene Strafverfahren, so der Tenor, aber ansonsten „zeigt sich der Klient offen und zur Zusammenarbeit bereit“.
Ende 2017 stürmten Schläger der Al-Zein-Familie nach Ermittlungen der Strafverfolger die Essener Teestube „Café Olympia“. „Pumpgun Bilal“ soll mitgemischt haben, heißt es aus Justizkreisen. Bei dem Angriff ging es um 5000 Euro und den Auftritt eines irakischen Künstlers. Der Betreiber der Teestube wurde mit einem Totschläger niedergestreckt.