Herr Professor Decker, Hendrik Wüst hat mit der CDU die Wahl gewonnen. Er könnte aber zum unglücklichen Sieger werden.Frank Decker: Es lässt sich nicht ausschließen, dass er am Ende mit leeren Händen dasteht, weil mit der Ampel mindestens ein Regierungsbündnis gegen die CDU gebildet werden kann.
Wie erklären Sie sich den Höhenflug der CDU auf den letzten Metern des Wahlkampfs?
In NRW, stärker noch als in anderen Bundesländern, spielen die klassischen Lager eine große Rolle. Das hängt auch mit der Ausgangsposition zusammen, einer „lager-internen“ Regierung von CDU und FDP. Die Umfragen haben den Wählern sehr frühzeitig signalisiert, dass es für eine Neuauflage nicht reichen würde. In dieser Situation sind viele FDP-Wähler zur CDU umgeschwenkt, haben dort ihr Kreuzchen gemacht.
Sie schreiben dieses Ergebnis also nicht der von der FDP-Ministerin Yvonne Gebauer verantworteten Schulpolitik zu?
Der Ärger über die Schulpolitik hat die FDP mit in die schlechte Ausgangsposition gebracht, dass sie deutliche Stimmenverluste würde hinnehmen müssen und es für amtierende Landesregierung keine Neuauflage mehr geben würde. Aber dass sie von diesem schwachen Niveau noch einmal abgesackt ist, das ist ganz klar dem Lager-Effekt mit taktischem Wahlverhalten der FDP-Klientel zuzuschreiben. Arithmetisch ist das Ganze praktisch ergebnisneutral: Wenn man das Ergebnis von Schwarz-Gelb zusammenzählt, entspricht das ziemlich genau dem Wert, den die Umfragen beiden Parteien gemeinsam prognostiziert haben.
Das Gleiche gilt für das „linke Lager“ von SPD und Grünen.
Genau. Auch hier hat es zwischen den beiden Parteien Verschiebungen gegeben. Die Grünen konnten noch stärker zulegen, als prognostiziert. Leidtragende ist die SPD mit ihrem historisch schlechten Ergebnis. Aber die kann das in diesem Fall besser verschmerzen als die Verliererin im „bürgerlichen Lager“. Denn das schlechte Abschneiden der Liberalen könnte auch für die CDU zum Desaster werden.
Wenn die FDP unter der Fünf-Prozent-Hürde geblieben wäre, wären auch die CDU und ihr Ministerpräsident mit abgewählt gewesen.
Mit Schwarz-Grün könnte sich Wüst halten. Für wie wahrscheinlich halten Sie das?
Wenn die Alternative die Ampel ist, könnten die Grünen dazu tendieren, dem Zweierbündnis den Vorzug zu geben, denn Dreierbündnisse sind politisch komplizierter und damit womöglich weniger stabil. Allerdings gibt es bei den Grünen gegen erhebliche Widerstände. Und auch wenn die Grünen-Spitzenkandidatin Mona Neubaur im Wahlkampf Signale in Richtung der CDU ausgesandt und mit einem persönlich guten Verhältnis zu Wüst gespielt hat, wird sie ihre Basis kaum von dieser Option überzeugen können. Übrigens auch mit Blick auf die bundespolitischen Weiterungen.
Sie meinen die Kräfteverhältnisse im Bundesrat?
Ja, die Ampel in Berlin würde durch sechs zusätzliche Stimmen in der Ländervertretung gestärkt.
Bündnisse sind auch eine Frage des Preises. Was hätte Wüst zu bieten, das die Grünen auf seine Seite ziehen könnte?
Die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre könnte ein gewichtiges Argument für die Grünen sein. In der ganz jungen Wählerschaft sind die Grünen sehr stark, weswegen die Partei ein hohes Interesse an einer entsprechenden Wahlrechtsreform hat. Erreichen könnte sie diese paradoxerweise aber nur mit der CDU. Denn wenn Rot-Grün so etwas in Angriff nähme, stünde die CDU in der Opposition dagegen. Und ohne die Stimmen der Union wird es keine Wahl ab 16 Jahre im Land geben. Hier könnten die Grünen die Union also fordern. Aber man darf nicht vergessen, dass die programmatischen Übereinstimmungen der Grünen mit der SPD insgesamt stärker sind.
Woran denken Sie?
Die grüne Wohnungspolitik zum Beispiel dürfte mit der CDU nicht umzusetzen sein, weil sie sonst ihr Profil verlieren würde. Insgesamt hätten die Grünen es im Fall der SPD mit einem schwächeren Partner zu tun, gegenüber dem sie dementsprechend kraftvoll auftreten könnten.
Wie sehen Sie die Option eines emanzipatorischen Akts der Landes-Grünen, die mit einem schwarz-grünen Bündnis in Düsseldorf etwas ganz Neues ausprobieren könnten?
Die Grünen haben ihre Flexibilität und Unabhängigkeit andernorts ja durchaus schon unter Beweis gestellt. Denken Sie an Hessen oder Baden-Württemberg, wo sie mit der Union regieren. Aber dort stand die rot-grüne Alternative auch gar nicht zur Debatte. Die Grünen wären jedenfalls nicht gut beraten, wenn sie Schwarz-Grün gleich ausschließen würden. Dass als erstes der eine Wahlsieger mit dem anderen redet, liegt auf der Hand. Das weist übrigens auch auf ein Samthandschuh-Problem im derzeitigen Kräfteverhältnis der Parteien hin.
Nämlich?
Die strategische Lage ist für die Grünen ausgesprochen komfortabel. Sie sind ja schon im Wahlkampf kaum attackiert worden, weil jede der anderen Parteien sich ausrechnen konnte, dass sie es ohne die Grünen nicht in die Regierung schaffen werden.
Frank Decker ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bonn und wissenschaftlicher Leiter der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik.