Angela Merkel ist seit 2021 nicht mehr Bundeskanzlerin. Aber in der NRW-CDU wird sie immer noch als Star verehrt.
Merz war nicht daKultstatus – NRW-CDU feiert Angela Merkel bei Neujahrsempfang
Es ist ein bisschen wie in den alten Zeiten. Als die Frau im lilafarbenen Sakko den Saal betritt, stehen die Gäste, auf, jubeln und spenden großen Beifall. Die Hauptrednerin kommt mit Personenschutz, sie winkt den Gästen beim Einzug freundlich lächelnd zu, sowas verlernt man nicht. Angela Merkel genießt das Bad in der Menge. Dann nimmt die frühere Bundeskanzlerin neben NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst in der ersten Reihe Platz.
Der Neujahrsempfang der NRW-CDU findet in diesem Jahr in der „Airport Station“ am Düsseldorfer Flughafen statt, mit Blick auf die Landebahn. Klar, dass Generalsekretär Paul Ziemiak die Steilvorlage nicht liegen lässt. „Schalten Sie Ihre Handys aus und genießen Sie den Flug mit Union Air“, ruft er den 1300 Gästen bei der Begrüßung zu. Merkel sei eine „herausragende Kapitänin“. Der Saal lacht amüsiert.
Neujahrsempfang der NRW-CDU ohne Merz
Friedrich Merz ist nicht dabei. Der Mann, der de facto der aktuelle Kapitän der CDU Deutschlands ist, muss an diesem Morgen am Treffen der EVP-Spitzten in Berlin teilnehmen. So kommt es nicht zum Aufeinandertreffen der langjährigen Antipoden Merz und Merkel, das kritisch beäugt worden wäre. Kein Knatsch im Cockpit. Keine unerwarteten Turbulenzen.
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Dass Merkel – und nicht Merz - zum Neujahrsemfang der NRW-CDU eingeladen wurde, hatte manchen in der NRW-CDU überrascht. Wüst hatte lange offengelassen, ob er selbst als Kanzlerkandidat antreten würde. Ist der Merkel-Auftritt ein Affront gegen Merz? „Absoluter Quatsch“, heißt es. Der Termin sei langfristig geplant gewesen, lange, bevor man von der vorgezogenen Neuwahl gewusst habe.
Die frühere Kanzlerin und der Ministerpräsident von NRW hatten in der Coronazeit eng zusammengearbeitet. Damals war Merkel Regierungschefin, Wüst hatte – frisch im Amt – den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz übernommen. Im vergangenen Jahr hatte er Merkel in der Kölner Flora den Staatspreis von NRW verliehen.
Merkels Auftritt ist aber mehr als politisches „Payback“. Sie fühlt sich mit NRW besonders verbunden. Hier wurde der Grundstein für ihre Karriere gelegt. Nachdem sie von Helmut Kohl zur Frauenministern berufen worden war, hatte sie im Bonner Ortsteil Bad Godesberg eine 70-Quadratmeter-Parterrewohnung bezogen. Sie erinnert sich gerne an diese Zeit, in der sie in ihrer Freizeit mit ihrem Mann Wanderausflüge ins Siebengebirge unternahm.
Angela Merkel hat in der NRW-CDU Kultstatus
Vor vier Jahren war Merkel bei der Bundestagswahl nicht mehr angetreten. Aber in der NRW-CDU hat sie immer noch Kultstatus, wird wie ein Star verehrt. Sie ist ein Zugpferd, noch nie kamen mehr Gäste zu einem Neujahrsempfang als in diesem Jahr. Vor dem Auftritt weiß in der Spitze der NRW-CDU niemand, worüber sie reden wird, Absprachen gibt es nicht. „Ich freue mich einfach total, dass sie hier ist“, sagt NRW-Innenminister Herbert Reul kurz, bevor das Programm beginnt.
Passend zum Titel der Merkel-Autobiografie „Freiheit“ trägt der Kölner Jugendchor Sankt Stephan den Song „Freedom“ der US-Sängerin Beyoncé vor, anschließend – angeblich in Anspielung auf Merkels Vorliebe für farbenfrohe Outfits – „Du hast den Farbfilm vergessen“ von Nina Hagen. Der Saal klatsch mit. Dann tritt Merkel ans Mikrofon, erntet den ersten Lacher, als sie fragt. „Weiß von den Jugendlichen im Chor eigentlich noch jemand, was ein Farbfilm ist?“
„So eine schöne Begrüßung hatte ich lange nicht mehr“, sagt Merkel nach dem langen Anfangsapplaus. Sie wünsche allen Kandidaten einen erfolgreichen Wahlkampf und hoffe darauf, dass Friedrich Merz „das nötige Mandat“ bekomme, um Bundeskanzler zu werden, sagt sie pflichtgemäß. Lobreden auf den Spitzenkandidaten hört man erwartungsgemäß nicht. Der Sauerländer wird in ihrem Vortrag nur zweimal namentlich erwähnt.
Angela Merkel in Düsseldorf: Sind auf USA im Kampf gegen Putin angewiesen
Merkel wirkt gelöst, sie ist nicht im Wahlkampfmodus. Aber die Gäste lauschen ihren Ausführungen mit Spannung. Der Saal ist völlig still, als Merkel über die Herausforderungen der Gegenwart spricht. Deutschland sei auf die Allianz mit den Amerikanern angewiesen, um Russland zu stoppen, Trump hin oder her, sagt Merkel: „Nur mit den USA und innerhalb der Nato können wir erreichen, dass Putin den Krieg nicht gewinnt und die Ukraine als selbstständiger Staat bestehen bleibt.“
Das Scheitern der Ampel-Koalition in solch schwierigen Zeiten habe die Notwendigkeit eines Regierungswechsels in Deutschland besonders deutlich gemacht, sagt Merkel. Sie warnt davor, dass Meinungsmonopole in den sozialen Netzwerken durch Fakenews die Demokratie zersetzen könnten. „Wahrheit muss Wahrheit bleiben und Lüge Lüge“, so Merkel. Die Menschen müssten die Demokratie verteidigen. „Sonst schaffen wir das nicht“, erklärt sie in Anspielung an ihr vielzitiertes Zitat zur Aufnahme von Flüchtlingen.
Werbung für Merz zu machen, bleibt beim Neujahrsempfang Wüst überlassen. Deutschland brauche einen Kanzler, der dem neuen US-Präsidenten auf Augenhöhe begegnen könne. Merz sei dafür der richtige Politiker: „Deutschland braucht jetzt einen Kanzler, der dafür sorgt, dass Deutschland seiner Verantwortung in Europa und der Welt auch gerecht wird“, sagt Wüst. „Nur Friedrich Merz kann das.“ Da klatscht auch Merkel.