Wer arbeitsfähig ist, soll in der Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns künftig nur noch dann den vollen Bürgergeldsatz erhalten, wenn er auch arbeitet. Wie kommt die Idee in NRW an?
Debatte ums BürgergeldKönnte das Schweriner Modell auch NRWs Bürgergeldbeziehern blühen?
Die Debatte ums Bürgergeld ist so alt wie die Zuwendung selbst. Schon vor einem Jahr forderte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) schärfere Sanktionen für diejenigen Erwerbslosen, die eine Arbeitsstelle ablehnten. Vor zwei Monaten verschärfte die Bundesagentur für Arbeit gemäß Beschlüssen der Bundesregierung dann auch tatsächlich den Druck auf unkooperative Bürgergeld-Empfänger. Wer beispielsweise Termine nicht wahrnehme, werde demnach seither zunächst für die Dauer von bis zu sechs Monaten zu Ein-Euro-Jobs verpflichtet.
Ein-Euro-Jobs sind Arbeiten im öffentlichen Interesse, zum Beispiel könnten Betroffene zur Parkpflege herangezogen werden. Die Bundesregierung hatte als Sanktion zudem beschlossen, dass 30 Prozent Leistungskürzung für drei Monate möglich sein sollen, wenn jemand eine zumutbare Arbeit oder eine Ausbildung grundlos ablehnt. Die Stadt Schwerin geht einen Schritt weiter. Arbeitsfähige Stütze-Bezieher müssen dort nach Willen des Stadtrats nun arbeiten, um das volle Bürgergeld zu erhalten.
Wie viele Menschen in NRW beziehen Bürgergeld?
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Mindestsicherung erhalten in Nordrhein-Westfalen laut statistischem Landesamt IT.NRW etwa zwei Millionen Menschen und damit etwa jeder Neunte. Damit liegt die Zahl im Mittel der vergangenen zwanzig Jahre, es kommt hier aber nur zu leichten Schwankungen. 2016 erreichte sie mit 2,15 Millionen Menschen ihren Höchststand. Der allergrößte Teil der Bedürftigen erhält sogenanntes Bürgergeld, dazu kommt ein kleiner Teil Grundsicherung im Alter, sowie ein Bruchteil an Menschen, die von Regelleistungen für Asylbewerber, bzw. Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen leben.
Den etwa 1,2 Millionen ukrainischen Flüchtlingen (bis Ende 2023 kamen 275.000 davon nach Zahlen von IT.NRW nach NRW) steht sofort Bürgergeld zu – ein Vorteil gegenüber der Regelleistung für Asylbewerber, die etwa 100 Euro niedriger liegt und bestimmte Zuschläge wie zum Beispiel für Schwangere nicht vorsieht. Im vergangenen Jahr sprachen sich die FDP sowie Teile der CDU dafür aus, Ukrainern dieses Privileg zu entziehen.
Wie viele Bürgergeldbezieher gelten als arbeitsfähig, wären also vom Schweriner Modell betroffen?
In Deutschland schätzt man die Zahl der arbeitsfähigen Bürgergeldempfänger, die bislang noch nicht arbeiten, auf etwa 1,6 Millionen Menschen. Für Köln spricht Martina Würker, Geschäftsführerin des Jobcenters von 83.500 erwerbsfähigen Leistungsempfängern über 15 Jahre.
Wer bekommt überhaupt Bürgergeld?
Antragstellende müssen ihre Konten offenlegen, um zu beweisen, dass sie weder Einkommen noch Vermögen genug haben, um ihren Unterhalt selbst zu bestreiten. Im ersten Jahr des Geldbezugs erlaubt das Gesetz 40.000 Euro Vermögen, ab dem zweiten Jahr dürfen es nur noch 15.000 Euro pro erwachsener Person sein. Wer mehr hat, muss das erst einmal aufbrauchen, ehe er Bürgergeld erhält. Auch eigenes Einkommen wird gegengerechnet, dabei kann nicht nur Lohn den Bezug von Bürgergeld ausschließen, auch Unterhaltsansprüche, Wohngeld, Kindergeld, Elterngeld oder Mieteinnahmen werden berücksichtigt.
Welche Rolle spielen andere Sozialleistungen wie beispielsweise das Wohngeld?
Wer arbeitet und alle verfügbaren Sozialleistungen in Anspruch nimmt, also zum Beispiel Wohngeld und Kinderzuschlag, hat laut einer Studie des Münchner Ifo-Instituts mehr Geld zur Verfügung als jemand, der nicht arbeitet und nur Sozialleistungen bekommt. Ein alleinstehender Bürgergeldempfänger beispielsweise hat nach Abzug der vom Staat übernommenen Kosten für Wohnung und Heizung monatlich 536 Euro zur Verfügung. Schon bei einem Bruttoverdienst von nur 1000 Euro im Monat bleiben nach Abzug aller Steuern und Sozialabgaben und bei Hinzurechnung aller staatlichen Leistungen für Geringverdiener bei einem mittleren Mietniveau dagegen 891 Euro zum Ausgeben übrig.
Wie steht das Arbeitsministerium in NRW zu der Schweriner Idee?
NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) spricht sich grundsätzlich für eine Reform und mehr Strenge aus: „Es muss klar sein, dass Personen, die arbeiten können, Sozialleistungen nur dann erhalten, wenn sie auch arbeiten gehen“, sagte er dieser Zeitung. Nur wenn das System darauf angelegt sei, Menschen schnell wieder in Arbeit zu bringen, werde es von der Bevölkerung akzeptiert. Bürgergeldempfänger haben laut Laumann eine „Bringschuld“ gegenüber dem Staat.
Der Minister betont aber auch, dass man unterscheiden müsse und alleinerziehende Mütter oder kranke Menschen, die dem Arbeitsmarkt nicht in vollem Umfang zur Verfügung stehen könnten, nicht bestrafen dürfe. Laumann setzt für NRW auf eine Vermittlungsoffensive in den kommunalen Jobcentern. Denn: „Auch die Jobcenter müssen dranbleiben. Die Leistungsberechtigten sollen spüren, dass wir es auch ernst meinen und mit ihnen verbindlich einen Weg in Arbeit finden wollen.“
Was sagen NRWs Politiker?
Aus dem Büro der Kölner Oberbürgermeisterin heißt es, man habe den Schweriner Beschluss zur Kenntnis genommen und werde das noch zu erstellende Konzept verfolgen. Ein Sprecher schreibt auf Anfrage: „Uns ist aber die Abstimmung mit anderen Großstädten in NRW über den Städtetag NRW wichtig und wir wollen hier auf der Grundlage unserer bisherigen Erfahrungen eine gemeinsame Position erarbeiten und aus dieser heraus ggf. weitere Vorschläge unterbreiten oder entwickeln.“
Karl Alexander Mandl, Kölner CDU-Parteichef, findet es grundsätzlich gut, in Richtung der Schweriner Idee zu denken. „Transferleistungen müssen Bedürftigen vorbehalten sein. Dann können wir sie uns auch gut leisten. Diese Bedürftigkeit wird derzeit aber zu wenig nachgehalten“, sagte Mandl im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. In diesem Zusammenhang müsse zudem klar sein, dass es auch eine „Erwartungshaltung der Gesellschaft“ an den Einzelnen gebe. „Wer Bürgergeld bezieht und arbeiten kann, muss arbeiten.“ Dies sei eine Frage der Gerechtigkeit. Angesichts der hohen Sozialausgaben für die Kommunen sei es geboten, Bedürftigkeit strenger zu prüfen und Bürgergeldempfänger nach Möglichkeit in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Für Mandl steht dies nach eigener Aussage auf seiner Agenda.
Stephan Keller, Düsseldorfs Oberbürgermeister, geht eine allgemeine Arbeitspflicht für alle Bürgergeldempfänger zu weit. Wichtig sei aber, dass das Bürgergeld auf mögliche Fehlanreize überprüft wird, teilt Keller auf Anfrage mit. „Was Geflüchtete betrifft, habe ich bereits mehrfach betont, dass ich eine generelle Arbeitserlaubnis für alle ab dem ersten Tag fordere. Nur so können Transferleistungen schrittweise zurückgefahren werden.“ Der CDU-Politiker bezeichnet es als „absurd“, dass Arbeitskräfte fehlten, aber immer noch eine Erlaubnis zum Arbeiten erteilen werden müsse. Zudem sei die Arbeiserlaubnis „völlig unverständlich an die Art der Unterkunft geknüpft.“ Keller sagt, man erlerne Sprache am besten durch Sprechen. „Vor allem am Arbeitsplatz. Das ist gelebte Integration.“
Josefine Paul, Ministerin für Flucht und Integration in NRW, hält eine schnelle Integration in Arbeit oder Ausbildung für wünschenswert. „Die Menschen, die zu uns kommen, wollen sich in den meisten Fällen hier eine Perspektive aufbauen und am Arbeitsmarkt teilhaben. Daher ist es der Landesregierung ein wichtiges Anliegen, Menschen in Arbeit zu bringen“, schreibt die Ministerin auf Anfrage. Mit Blick auf den Fachkräftemangel müsse man auch für Geflüchtete und Arbeitgeber „bürokratische Hürden“ abbauen und Abschlüsse schneller anerkennen.
Wie ist die Meinung der Bevölkerung zum Bürgergeld?
Grundsätzlich besteht nach Meinung einer Mehrheit Reformbedarf. Im repräsentativen Deutschlandtrend von „Infratest dimap“ sprachen sich vor etwa einem Jahr zwei Drittel der Befragten für Einsparungen beim Bürgergeld aus.
Was sagt das Jobcenter Köln?
Die Zahl der Bürgergeldempfänger in Köln sinkt leicht, sagt Martina Würker vom Jobcenter. Von den 115.000 Personen, die von Bürgergeld leben, sind gut 30.000 Kinder unter 15 Jahren. Eine weitere größere Gruppe sind mit 15.000 die jungen Erwachsenen unter 25 Jahren. „Wir haben also viele Kinder und viele junge Menschen, die im Jobcenter betreut werden. Das ist übrigens für uns ein wichtiges Motiv, die Menschen aus dem Bürgergeld rauszubringen. Die prekäre Lebenssituation vererbt sich nämlich“, sagt Würker.
Die meisten Leistungsbezieher sind aber im Alter zwischen 35 und 55 Jahren. Nach eigenen Angaben vermittelt das Jobcenter Köln jedes Jahr etwa ein Fünftel aller Bürgergeldempfänger in Arbeit. Sehr erfolgreich sei man beispielsweise bei den Syrern gewesen, die seit 2015 vermehrt ins Land kamen. „Viele von ihnen sind heute im Arbeitsmarkt integriert. Das hat allerdings etwa fünf Jahre gedauert“ sagt Würker. Das NRW-Ministerium für Integration und Flüchtlinge meldet auf Anfrage, die Erwerbstätigenquoten der 2013 bis 2019 Geflüchteten habe „fünf bis sieben Jahre nach ihrem Zuzug – ein Großteil von ihnen kam aus Syrien – bei 63 Prozent“ gelegen. „Acht Jahre nach dem Zuzug liegt sie bei 68 Prozent.“
Sanktionen gegen Leistungsbezieher, die beispielsweise ihre Termine verbummelten, gebe es nach Auskunft von Würker in Köln nur selten. „Wir können nicht willkürlich Leistungen kürzen, wir müssen den rechtsstaatlichen Weg gehen“, sagt die Fachfrau. „Der bedeutet, dass wir zunächst schriftlich mahnen müssen. Meist reagieren die Betroffenen darauf und entschuldigen sich beispielsweise mit Krankheit. Das ist ausreichend, um Sanktionen zu verhindern.“