Mit einer gemeinsamen Bundesratsinitiative fordern Nordrhein-Westfalen, Bayern, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt vom Bund ein Soforthilfeprogramm für Krankenhäuser in Geldnot. NRW-Gesundheitsminister Laumann erklärt, worum es geht.
Milliarden für Kliniken in FinanznotNRW startet Initiative zur Krankenhausrettung – Bund soll helfen
Das Minusloch wird immer tiefer. Wer in diesen Tagen die Homepage der Krankenhausgesellschaft NRW besucht, der kann einer Defizit-Uhr zusehen, die sekündlich weiter in die Miesen rutscht. Minus 2.334.386.622 Euro stehen da um 10.44 Uhr, aber schon einen Augenblick später ist der Betrag weiter gewachsen. Pro Stunde verlieren die Krankenhäuser in NRW 194.408 Euro, so hat es die Krankenhausgesellschaft NRW berechnet.
Die Gründe für die prekäre Situation sind in der Pandemie sowie der Inflation durch steigende Energiekosten zu suchen. Auch die hohen Tarifabschlüsse belasten die Kliniken. Denn sowohl die dort zum Teil verhandelten Lohnsprünge von zehn Prozent als auch die erhöhten Kosten für Lebensmittel und Energie werden durch das Fallpauschalensystem nicht ausreichend refinanziert, klagen die Häuser in der bundesweiten Initiative „Alarmstufe Rot: Krankenhäuser in Gefahr“.
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) springt den Kliniken nun zur Seite. Gemeinsam mit dem Präsidenten der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Ingo Morell, hat Laumann am Dienstag in Düsseldorf eine Bundesratsinitiative vorgestellt, welche die Finanzierung der Krankenhäuser auch in Zeiten der Inflation sichern soll. NRW will die Initiative gemeinsam mit Bayern, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein einreichen. Die Kernforderung der Initiative ist, dass der Bund in einem ersten Schritt über ein Nothilfeprogramm in Höhe von fünf Milliarden Euro die Krankenhauslandschaft kurzfristig stabilisiert. Die nächste Sitzung des Bundesrates ist am kommenden Freitag.
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Wie ernst ist die Lage?
Nach einer Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) konnten schon im Herbst 2022 rund 96 Prozent der Krankenhäuser die gestiegenen Kosten nicht mehr aus den laufenden Einnahmen bezahlen. Mittlerweile ist fast ein Drittel der Krankenhäuser insolvenzgefährdet. Noch im Dezember 2022 hatte das DKI nur für ein Fünftel der bundesweit rund 1.900 Krankenhäuser eine so düstere Prognose erstellt.
Das Defizit der Kliniken wächst allein in NRW nach Berechnungen der Krankenhausgesellschaft um fast 4,7 Millionen Euro pro Tag und rund 140 Millionen Euro im Monat. Die erhöhten Ausgaben können im Fallpauschalensystem nicht flexibel refinanziert werden. Die jährlichen Preisanpassungen für die Krankenhausbehandlung sind im Voraus festgelegt und können mit den Kassen nicht beliebig nach oben verhandelt werden, weil sie gedeckelt sind – im laufenden Jahr auf 4,32 Prozent. 2022 waren es 2,32 Prozent.
Was fordern Morell und Laumann?
Genau diese nicht ausreichenden Fallpauschalen sollen nach Meinung von NRW-Gesundheitsminister Laumann und DKG-Chef Morell nun den tatsächlichen Kosten angepasst und rückwirkend für 2022 und 2023 um vier Prozent erhöht werden. Zudem müsste die Refinanzierung der Tarifsteigerungen von 2024 an sichergestellt werden. Kliniken, so fordert die Initiative, sollen also so viel Geld mehr erhalten, dass sie die höheren Löhne auch ohne Verluste bezahlen können. Allein für NRW sind demnach für die vergangenen zwei Jahre 690 Millionen als Ausgleich nötig. All diese Übergangsregeln müssten zudem verstetigt und zusätzlich ein kurzfristiges Nothilfeprogramm in Höhe von bundesweit fünf Milliarden Euro für bedrohten Krankenhäuser aufgelegt werden.
Laumann sieht die Gefahr, dass die geplante Krankenhausreform für viele Kliniken zu spät kommt. „Vielleicht ist der eine oder andere sogar ganz froh, dass es durch Krankenhausinsolvenzen eine Marktbereinigung gibt. Das ist aber zu kurz gedacht”, so Laumann. Mit Insolvenzen dürfe man keine Krankenhauspolitik machen: „Dadurch verspielt man als Regierung nicht nur Vertrauen. Eine solche ‚Marktbereinigung‘ kann auch böse enden, weil ungesteuert Strukturen wegbrechen, die wir unbedingt brauchen. Damit gefährdet man die Versorgungssicherheit.” Dies wolle man durch die Initiative verhindern.
Was hat die Bundesregierung bislang getan, um zu helfen?
Im Herbst 2022 versprach die Regierung einen Hilfsfonds von sechs Milliarden Euro. 1,5 Milliarden wurden pauschal als Hilfe für indirekte Energiekostensteigerungen verteilt. Weitere 4,5 Milliarden Euro für direkte Energiekostensteigerungen sollten beantragt werden können. Viele Kliniken klagten über ein zu komplexes Verfahren, die Bundesregierung will nun 2,5 Milliarden pauschal auszahlen.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der vor einem knappen Jahr ausführliche Vorschläge für eine Krankenhausreform vorgelegt hat, die unter anderem eine Abkehr vom Fallpauschalen-Prinzip und eine stärkere Spezialisierung der Kliniken vorsehen, ist zuversichtlich, dass er seine Pläne zum Erfolg führen wird. Auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ schreibt er: „Wir wollen Patienten helfen, mit dem Klinikatlas im nächsten Jahr die für sie beste Klinik zu finden. Zusätzlich wollen wir den Krankenhäusern mit dem Gesetz im kommenden Jahr noch einmal 6 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, um Klinikschließungen zu vermeiden.“ Zu Rufen nach weiterer Entlastung macht der Minister keine Angaben.
Was sagt die Ärztekammer Nordrhein?
Die Ärztekammer Nordrhein unterstützt die Bundesratsinitiative. Präsident Rudolf Henke sagte gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Wir stehen vor einer großen Krankenhausreform, die aber, wenn sie nächstes Jahr in Kraft treten sollte, ihre Effekte frühestens Anfang 2026, in vielen Bundesländern auch erst später, entfalten wird. Denn Umbauprozesse wie Fusionen, geplante Konzentrationen, die Neubauten erfordern, Spezialisierung in den Häusern und auch der Umzug von Beschäftigten lassen sich nicht über Nacht und auch nicht ohne finanzielle Mittel bewerkstelligen.“
Henke räumt ein, dass es in einigen Regionen eine Überversorgung gebe, die im Rahmen der Reform zurückgefahren werden müsse. In der Zeit des Übergangs müssten Kliniken dennoch zunächst finanziell stabilisiert werden. Schließlich gelte es zu vermeiden, dass in strukturschwachen Regionen Kliniken unkontrolliert wegbrächen. Gerade in ländlichen Bereichen sei die Versorgungssicherheit dann gefährdet. Kinderintensivstationen suche man in einigen Gebieten heute schon vergeblich.
Was droht, falls der Hilferuf der Kliniken kein Gehör findet?
60 Prozent der Krankenhäuser sind laut DKG schon jetzt nicht mehr in der Lage, aus den eigenen Einnahmen das Weihnachtsgeld zu bezahlen. „Für sehr viele Krankenhäuser bringt der Blick auf das Jahr 2024 eine wirtschaftlich düstere Perspektive. Ohne die nachhaltige Finanzierung der inflationsbedingten Mehrkosten und der für 2024 beschlossenen Tariferhöhungen werden noch viel mehr Klinikträger vor existenziellen Problemen stehen“, sagt DKG-Chef Ingo Morell.
Auch wenn es genug offene Pflege- und Arztstellen gibt, also auch bei Klinikschließungen keine erhöhte Arbeitslosigkeit unter Ärzten und Pflegenden zu erwarten ist, macht sich der Chef der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke, Sorgen um die Beschäftigten, deren Zahl sich durch längere Anfahrtswege und damit unattraktivere Arbeitsbedingungen möglicherweise noch verringern könnte. „Es macht beispielsweise für die Pflegekraft mit Schulkindern einen erheblichen Unterschied, ob sich von jetzt auf gleich ihre Fahrzeit zum Arbeitsort um 30 Minuten pro Strecke verlängert.“
Sandra Postel, Präsidentin der Pflegekammer Nordrhein-Westfalen, unterstützt die Initiative und macht sich in erster Linie nicht um die Pflegenden Sorgen: „Auch wenn durch den Fachkräftemangel die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt für die Pflegefachpersonen gut sind, geht es insbesondere darum, die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung sicherzustellen.“ Christian Deindl, Stellvertretender Vorsitzender des Aktionsbündnis Patientensicherheit, begrüßt den Vorstoß, weil er glaubt, ein Rettungspaket nütze der Patientensicherheit. „Patientensicherheit ist parteienübergreifend ein hohes gesellschaftliche Gut, das es bei allen gesundheitspolitischen Entscheidungen auf Bundes- und Länderebene sowie in den Bund-Länder -Verhandlungen zu bewahren und zu fördern gilt.“
Wie ist die Meinung der Krankenkassen, auf die bei einer rückwirkenden Erhöhung der Pauschalen ja höhere Kosten zukämen?
Aus Sicht der Ersatzkassen sei es nachvollziehbar, dass die Politik versuche, ungesteuerte Insolvenzen von Krankenhäusern zu verhindern, schreibt der Verband der Ersatzkassen NRW. Nicht nachvollziehbar sei jedoch die Absicht, in Schieflage geratene Krankenhäuser mit Geld der Krankenversicherten über die Krankenkassen zu finanzieren. „Es besteht die Gefahr, dass mit erneuten Hilfszahlungen veraltete Krankenhausstrukturen nur weiter verstetigt werden.“
Zunächst müsse man die Strukturen durch eine reformierte Krankenhausplanung anpassen, um anschließend tragfähige Versorgungsstrukturen mit ausreichend Finanzmitteln auszustatten. „Erst Strukturreformen, dann Finanzmittel! Die schwierige Lage der Krankenhäuser ist nicht zuletzt auch auf die unzureichende Investitionsfinanzierung der Länder zurückzuführen.“ Krankenhäuser müssten derzeit Investitionen aus Mitteln finanzieren, die für die Versorgung der Patienten vorgesehen waren. Dies habe zur heute schlechten Situation vieler Krankenhäuser entscheidend beigetragen.
Wie sieht es in anderen Bundesländern aus?
Ebenso düster. In Bayern beispielsweise müssen einige Kommunen wegen der hohen Klinikkosten in die Haushaltssicherung gehen. Das bedeutet: Investitionen beispielsweise für Schulen oder Kindertagesstätten fielen erstmal dem Rotstift zum Opfer.
Was sagt die Opposition?
Lisa-Kristin Kapteinat von der SPD stimmt Laumann in er Bewertung der Lage zu. Allerdings fordert sie das Land NRW auf, selbst aktiv zu werden, der Bund habe bereits mehrere Finanzpakete auf den Weg gebracht. Zudem litten viele Kliniken unter den sinkenden Behandlungszahlen. Laut einem Bericht der Landesregierung lagen diese 2022 zwölf Prozent unter Vor-Corona-Niveau. „Der Bund kann nicht auf Dauer Strukturen finanzieren, die reformiert werden müssen. Hier hat Karl Lauterbach mit der geplanten Krankenhausreform den Schritt in die richtige Richtung gewagt.“
Thorsten Klute (SPD) wird bei Schuldzuweisungen noch deutlicher und fordert die Landesregierung auf, ein Investitionspaket in Höhe von zwei Milliarden Euro aufzulegen. Man habe ein Investitionsdefizit von mittlerweile knapp 16 Milliarden Euro ansteigen lassen. Mindestens 1,85 Milliarden Euro jährlich seien Experten zu Folge für die Krankenhäuser nötigt. „Nicht einmal die Hälfte der Mittel (765 Mio. Euro) wird in NRW bereitgestellt. Mit einer Erhöhung des Investitionsmittelansatzes könnten die Krankenhäuser kurzfristig mehr Geld erhalten und müssen keine eigenen Mittel in dringend notwendige Investitionen stecken, für die das Land eigentlich aufkommen müsste.“