Das NRW-Entlastungspaket frisst die Geldreserven des Landes auf. Viele Öko-Projekte werden sich so nicht umsetzen lassen. Auch der Streit um das Braunkohledorfs Lützerath verhagelt den Grünen die Stimmung.
Katzenjammer und Wähler-KritikGrüne Öko-Projekte fallen NRW-Entlastungspaket zum Opfer
Die Programmänderung wurde kurzfristig per Mail übermittelt. Zur Klausur der Grünen Landtagsfraktion, die diese Woche in Köln stattfand, kam ein Überraschungsgast. NRW-Finanzminister Marcus Optendrenk war gebeten worden, die Einzelheiten des NRW-Rettungspakets zu erklären. Neben den Details hatte der CDU-Politiker eine klare Botschaft für die Grünen mit im Gepäck: Die Ausgaben zur Bewältigung der Krise sind hoch, der Gestaltungsspielraum für Projekte damit klein. Für viele Grüne eine ernüchternde Erkenntnis.
Öko-Projekte werden nicht umgesetzt
Die Hoffnung, dass die Regierungsbeteiligung ihrer Partei durch die Umsetzung ökologischer Projekte deutlich sichtbar wird, droht zu zerplatzen. Die Euphorie nach dem Wahltriumph im Mai ist vielerorts einer Katerstimmung gewichen. „Vor allem das Entlastungspaket III des Bundes engt die Haushaltsspielräume des Landes NRW zusätzlich ein“, sagt Simon Rock, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion. Insbesondere die vorgesehene Senkung der Einkommensteuer zum Abbau der kalten Progression belastet den zukünftigen Landeshaushalt jedes Jahres in Milliardenhöhe.
Die Fachpolitiker in der Fraktion warnen davor, sich den finanziellen Zwängen zu ergeben. „Maßkrisen zum Erhalt unserer Lebensgrundlagen durch Klimaschutz und große natürliche Begrenzung der Biodiversität, die soziale Sicherung und schnelle Transformation zur klimaneutralen Kreislaufwirtschaft sind dabei die Herausforderungen und dürfen nicht auf der Strecke bleiben“, sagt Volkhard Wille aus Kleve. Und Umweltexperte Norwich Rüße betont, der Umbau der Tierhaltung oder die Umsetzung von Hochwasserschutzmaßnahmen duldeten keinen Aufschub: „Diese gilt es daher trotz knapper werdender Finanzmittel ausreichend zu finanzieren.“
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Grüne debattieren beim kleinen Parteitag in Siegburg
Der Umgang mit den leeren Kassen wird auch beim kleinen Parteitag der NRW-Grünen, der am Wochenende in Siegburg stattfindet, eine zentrale Rolle spielen. Dort stelle die Grüne Jugend einen Antrag zur Abstimmung. Die Forderung: Für das Jahr 2023 soll die Störung der wirtschaftlichen Lage festgestellt und die Schuldenbremse ausgesetzt werden. „Denn in der Krise zu sparen kann nicht die richtige Antwort sein“, sagt die Vorsitzende Nicola Dichant. Die Umsetzung der schwarz-grünen Projekte kann nur mit einem „deutlich größeren Spielraum“ umgesetzt werden.
Nicht nur die Unterfinanzierung grüner Ziele, sondern auch die Kritik an der Aufgabe des Braunkohledorfs Lützerath belastet die Ökopartei. „Mit der Entscheidung, Lützerath an RWE zu opfern, haben die NRW-Grünen die Klimaschutzbewegung vor den Kopf gestoßen“, sagte Dirk Jansen, Geschäftsführer des BUND in NRW. Die Entscheidungsträger hätten sich damit von ihrer eigenen Basis entfremdet und viele Wechselwähler enttäuscht, die geglaubt hätten, das Land würde durch die Regierungsbeteiligung der Grünen einen ökologischen Schub bekommen. „Aber daraus ist noch nichts geworden, denn jetzt wird dem Krisenmanagement alles untergeordnet“, so Jansen. Die schnellere Genehmigung von Windrädern wurde nach wie vor von der CDU ausgebremst.
Der BUND hat für den Samstag zu einer Demo in Lützerath aufgerufen. „Da werden viele Klimaschützer ihrem Ärger über die Regierungsgrünen Luft machen. Der Katzenjammer der Grünen im Landtag über die begrenzten Mittel hilft der Umwelt nicht weiter, und der Partei erst recht nicht“, sagt Jansen. Man muss aufpassen, alte Fehler nicht zu wiederholen. „2017 waren die Grünen nach einem Höhenflug fast an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert, weil eigen Kernthemen einer geräuschlosen Regierungsbeteiligung aufgegeben wurden.“ Im Regierungshandeln der Grünen sei nichts Wegweisendes zu. „Das Führungspersonal der Grünen gibt sich betont staatstragend, und viele sind beleidigt, danach werden sie gefragt, was aus den Wahlkampfversprechen geworden ist.“
Aufgabe von Lützerath sorgt bei Grünen für Kritik
An der Grünen Basis stehen viele der Entscheidung, Lützerath einem vorgezogenen Kohleausstieg zu Opfern, kritisch gegenüber. Sie beklagen, die Verhandlungen mit RWE seien im Hinterzimmer geführt worden. Eine Personalie nährt das Misstrauen in der Führung: Titus Rebhann, langjähriger Büroleiter von NRW-Umwelt- und Verkehrsminister Oliver Krischer, wechselt im März 2023 zum Energiekonzern und soll dort die Hauptstadtrepräsentanz von RWE leiten.
Die Kölner Grünen haben sich unterdessen mit den Klimaschützern solidarisch erklärt. Man sollte sich eingestehen, „dass nicht alles an der getroffenen Vereinbarung ein Erfolg ist“, sagt der Vorsitzende Stefan Wolters. Der Druck der Aktivistinnen und Aktivisten auf der Straße sei „unerlässlich“, um die Klimakrise aufzuhalten, ergänzt Kreiskassierer Willi Hartz.
Mona Neubaur hatte den Bürgerinitiativen, die um Lützerath kämpften, allerdings auch im Wahlkampf keine falschen Hoffnungen gemacht. Sie verteidigt die Lützerath-Entscheidung. „Wir arbeiten Tag und Nacht daran, die Klimaneutralität in NRW auch in diesen Zeiten zu schaffen“, sagte sie kürzlich beim Branchentreffen zur E-Mobilität in der Flora in Köln. Europa muss alle erneuerbaren Ressourcen zusammenschalten.
Neubaur verteidigt Kohle-Kurs der Grünen
Als Partei in der Regierungsverantwortung sollte es den Grünen darum gehen, die enger werdenden Spielräume pragmatisch zu nutzen, um die Bürgerinnen und Bürger zielgenau entlasten zu können. „Das ist aufgetretenermaßen schwierig, aber es ist machbar“, so Neubaur. Die Herausforderung bestehe darin, „die langen Linien nicht aus den Augen zu verlieren und den Kompass für ambitionierten Klimaschutz trotzdem zu halten“. In unruhigen Zeiten gelte es, „Verantwortung zu übernehmen und auch schwierige Entscheidung zu treffen“.
Zur Gelassenheit von Neubaur trägt wohl auch bei, dass es bis zur nächsten Wahl noch fünf Jahre dauert. Der Finanzexperte Simon Rock bestätigt, dass die Grünen vom Entlastungspaket der Landesregierung profitieren können. Unter dem Schwerpunkt Krisenvorsorge seien auch „Investitionen in Klimaschutz und Erneuerbare Energien“ möglich, frohlockt der Landtagsabgeordnete. Das könnte allerdings verfassungswidrig sein. Denn die Milliarden waren eigentlich für Corona bereitgestellt worden.