In Umfragen dümpelt die SPD in NRW bei 19 Prozent. Der Kölner Jochen Ott, seit einem Jahr Fraktionschef, glaubt trotzdem an einen Machtwechsel.
„Ich kann sicherlich härter austeilen als andere“SPD-Fraktionschef Jochen Ott glaubt an Ampel in NRW
Herr Ott, Sie sind jetzt seit einem Jahr Oppositionsführer. Ist das Profil der SPD in dieser Zeit wieder klarer geworden?
Jochen Ott: Wir haben uns auf Schwerpunkte verständigt und wollen uns auf unsere Kernklientel konzentrieren. Das sind die Menschen, die sich um ihre Kinder oder ihre Eltern kümmern, die arbeiten gehen, sich an die Regeln halten und einfach erwarten, dass der Staat funktioniert. Für diese Menschen ist bezahlbarer Wohnraum oft ein Riesenthema. Sie erleben tagtäglich, dass die Kitas wegen Personalmangels geschlossen sind und an den Schulen der Unterricht ausfällt. Viele haben zudem Angst um ihre Jobs, befürchten, dass sie bei der Wandlung der fossilen zu einer grünen Wirtschaft unter die Räder kommen. Für all diese Probleme muss die SPD Lösungen anbieten. Dabei sind wir auf einem guten Weg.
Die Menschen nehmen Sie als den Gegenspieler von Ministerpräsident Hendrik Wüst wahr. Wie hat sich Ihr Verhältnis entwickelt?
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Wir haben ein professionelles Arbeitsverhältnis, aber Hendrik Wüst meidet den Diskurs, weil er sich derzeit mehr mit seinen bundespolitischen Ambitionen als mit den Problemen in NRW beschäftigt. Aber wenn die CDU ihre Kanzlerkandidatenfrage beantwortet hat, wird Wüst wohl wieder vom Olymp herabsteigen und konkrete inhaltliche Fragen mit der Opposition klären. In Berlin gehen ja fast alle Beobachter davon aus, dass Friedrich Merz Kanzlerkandidat der CDU wird – und Wüst zu schwach ist, sich gegen ihn durchzusetzen.
Wenn die SPD im nächsten Jahr aus der Bundesregierung ausscheiden sollte, verlieren Spitzenpolitiker wie zum Beispiel Bundestagspräsidentin Bärbel Bas ihre Posten. Was bedeutet das für das Feld der potenziellen Spitzenkandidaten?
Im Bund, im Land und in den Kommunen gibt es viele Politiker der NRW-SPD, die geeignete Spitzenkandidaten wären. Bei uns geht es um die Frage, wer am Ende die besten Chancen hat zu gewinnen. Außerdem wird in Berlin niemand arbeitslos, denn Olaf Scholz wird Kanzler bleiben.
Teilen Sie seine Forderung nach einem Mindestlohn von 15 Euro?
Natürlich. Den Familien mit kleinen und mittleren Einkommen ist mit Steuersenkungen nicht geholfen. Ihnen bringt es mehr, wenn die Löhne spürbar steigen und sie mehr Geld im Portemonnaie haben. Alleine durch die Inflation und die Preissteigerungen der letzten Monate ist ja deutlich geworden, wie viele Leute im unteren Einkommensbereich eben nicht mehr in der Lage sind, bis zum Ende des Monats durchzukommen.
Als Experte für Schulpolitik haben Sie sich den Ruf eines harten Debattenredners erworben. Hilft Ihnen das als Oppositionsführer?
Schwarz-Grün mag vielleicht gehofft haben, dass ich über die Stränge schlage, aber da musste ich die Regierungsparteien leider enttäuschen. Ich kann sicherlich härter austeilen als andere, aber die Angriffe sind präzise, und mir geht es stets darum, nicht verletzend zu sein. Eine gesunde Debattenkultur hilft am Ende auch dem demokratischen Prozess.
Sie wollen die Zukunft positiv sehen, als Symbol dafür haben Sie die Farbe Pink zu einem Markenzeichen gemacht, was in den sozialen Medien gut angekommen ist. Dringt die SPD mit Inhalten nicht mehr durch?
Pinkes Denken ist doch ein ganz wichtiger Inhalt. Gerade in Krisenzeiten müssen wir als Demokraten deutlich machen, dass wir an einem besseren Morgen arbeiten. Ich bin stolz drauf, dass die deutsche Fußball-Nationalmannschaft die Symbolik aufgegriffen hat und bei der EM jetzt auch im pinken Trikot spielt. (schmunzelt)
In der Politik wird manchmal der Eindruck vermittelt, alle Menschen könnten ihren Alltag mit Lastenfahrrädern und dem ÖPNV organisieren. Hat die SPD die Verlierer der Öko-Wende aus dem Blick verloren?
Wir müssen die ökologische Wende vorantreiben, aber wir müssen uns auch um die kümmern, die sich teure E-Autos nicht leisten können und in Gegenden wohnen, die nur schlecht oder gar nicht an den ÖPNV angebunden sind. Die fühlen sich von den Ratschlägen der Grünen, auf das Auto zu verzichten, schlicht verhöhnt.
War es ein Fehler, dass die SPD manchmal grüner als die Grünen sein wollte?
Wir vergessen oft, dass es für viele Menschen alternativlos ist, mit dem Auto zu fahren. Die dürfen wir doch nicht moralisch verurteilen. Die Kosten für das Autofahren müssen in einem verträglichen Rahmen bleiben. Die Möglichkeiten, irgendwo Geld einzusparen, um höhere Spritkosten bezahlen zu können, sind bei vielen Menschen längst ausgereizt. Die meisten Menschen halten mehr Klimaschutz für wichtig, aber wenn das einseitig zulasten der Geringverdiener geht, wird die Unterstützung schwinden.
Mögliche Klüngeleien bei der Besetzung eines Top-Postens in der Justiz werden jetzt von einem Untersuchungsausschuss aufgearbeitet. Wird Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) die Aufklärung politisch überstehen?
Es geht ja nicht nur um Justizminister Limbach – sondern um den Verdacht, dass CDU und Grüne einen abgekarteten Deal zur Besetzung von wichtigen Positionen in der Justiz getroffen haben. Die Justiz ist eine wichtige Säule im Rahmen der Gewaltenteilung. Da kann die Politik nicht einfach sagen, du darfst den Posten besetzen, wenn wir einen anderen bekommen. Die bisher erfolgte Aufklärung bestärkt mich in meinem Störgefühl, dass es Vorfestlegungen gegeben hat. Die CDU fürchtet den U-Ausschuss auch deshalb, weil bei den Besetzungsgesprächen auch Nathanael Liminski als Chef der Staatskanzlei beteiligt war. Sollte sich der Klüngel-Verdacht bewahrheiten, müssen am Ende auch personelle Konsequenzen gezogen werden.
Schwarz-Grün brechen die Einnahmen weg, viele Projekte können wohl nicht umgesetzt werden. Nützt das der SPD?
Nein. Das wäre die falsche Rechnung. Es geht doch darum, dass die Menschen Sicherheit brauchen. Aber diese Sicherheiten sind nicht mehr gegeben, wenn die Landesregierung in Aussicht gestellte Maßnahmen für die Familien in NRW nicht mehr finanzieren kann. Dann kommt es zu Unsicherheiten - und die wirken destabilisierend.
Was meinen Sie konkret?
Die Erfahrungen aus Weimar zeigen, dass man in Krisenzeiten nicht sparen darf. Anstatt jetzt durch die Hintertür eine Haushaltssperre zu verhängen, sollte der Ministerpräsident lieber seinen CDU-Kollegen Boris Rhein und Kai Wegner folgen, die neue Regeln für die Einhaltung der Schuldenbremse aufstellen wollen. In NRW brauchen wir zum Beispiel dringend ein Sondervermögen für das Bildungssystem, mit dem wir ein Programm „Gute Schule 2030“ finanzieren. Auch durch eine Neuregelung der Erbschaftssteuer könnte das Land enorme Einnahmen erzielen, wenn die Bereitschaft bestünde, das Thema anzupacken. Aber Schwarz-Grün predigt lieber den Verzicht und drückt sich aus Kostengründen davor, das angekündigte Gesetz zur Implementierung des Offenen Ganztags auf den Weg zu bringen.
Was passiert, wenn das OGS-Gesetz nicht kommt?
Das OGS-Gesetz soll eine qualitativ hochwertige Bildung und Betreuung für alle Kinder in NRW sicherstellen. Wenn das Land das nicht garantiert, werden wir noch mehr hochqualifizierte Arbeitskräfte verlieren, weil sie sich als Eltern um ihre Kinder kümmern. Und was das für Kinder aus ärmeren Familien bedeuten würde, liegt auch auf der Hand. Was in NRW fehlt, ist eine Bildungspolitik aus einem Guss. Am besten wäre, die Zuständigkeit für den Kita- und Schulbereich in eine Hand zu legen. Die ständigen Querelen zwischen dem Familien- und dem Schulministerium lähmen die dringend benötigten Fortschritte in der frühkindlichen Bildung – die Familien müssen das ausbaden.
SPD und FDP waren sich in NRW über Jahre spinnefeind. Wie hat sich in der Opposition das Verhältnis zu FDP entwickelt – halten Sie eine Ampel in NRW für möglich?
Ja. Die Grünen werden auch irgendwann merken, dass sie mit ihrem Minimalanspruch, geräuschlos mit der CDU zu regieren, ihre Glaubwürdigkeit verspielen. Es wird sich nicht auszahlen, wenn die Grünen sich an der Seite einer Union einmauern, die sie als Mehrheitsbeschaffer für eine konservative und unsoziale Politik einspannt.
Könnte die NRW-SPD von einem Sieg von Olaf Scholz bei der Bundestagswahl profitieren, oder wäre es nicht einfacher, sich gegen eine von Friedrich Merz geführte Bundesregierung abzugrenzen?
Viele Menschen erwarten von Spitzenpolitikern, dass sie Emotionen zeigen und Typen sind, mit denen man auch gerne mal ein Bier trinken würde. Olaf Scholz ist zwar Hamburger und kein Rheinländer, aber er hat das Herz an der richtigen Stelle. Merz wirkt dagegen zu konservativ, auch christdemokratische Frauen von heute können mit ihm nicht viel anfangen und halten ihn daher für nicht wählbar. Scholz wirkt nicht nur kompetenter, sondern auch menschlich sympathischer. Deswegen wird er die Nase vorn haben. Und Ihre Frage stellt sich nicht.