Hendrik Wüst hat die Westküste der USA besucht. Der Plan: Amerikanische Unternehmen von NRW begeistern. Kann das gelingen?
NRW-MinisterpräsidentWie Wüst in Amerika versucht, den Wohlstand seiner Heimat zu retten
Am Ende seiner Reise in die USA steht Hendrik Wüst mit leeren Händen da. Und er hatte das auch nicht unbedingt anders erwartet. Er würde keine weiteren Milliarden-Investitionen von Tech-Konzernen ankündigen können, seinen Gesprächspartnern keine Versprechen abringen und den Menschen im Rheinischen Revier nicht die Sorge nehmen. Jene Sorge, die sich darum dreht, dass mit dem Kohleabbau in wenigen Jahren die Arbeitsplätze verschwinden und der Wohlstand gleich mit.
Hendrik Wüst: Im Rücken das Hollywood-Zeichen
Es sei ihm wichtig, die Verbindung zum Bündnispartner „zu pflegen, auszubauen, zu vertiefen“, sagt Wüst am Dienstag in Los Angeles, in seinem Rücken das Hollywood-Zeichen. Erst Presse-Statements mit Kulisse, dann fünf Minuten Sightseeing. „Da muss man auch mal vor Ort sein“, fährt Wüst fort. „Und das Signal senden, dass die Verbindungen stark sind, unabhängig vom Wahlausgang.“
Wüst wird das im Gespräch mit Firmen und Wissenschaftlern erledigen, politische Gespräche sind zu Beginn nicht geplant. Beim Besuch der Stanford University nahe San Francisco ergibt sich am Mittwoch kurzfristig immerhin ein Treffen ganz nach dem Geschmack eines Staatsmanns. Die ehemalige Außenministerin der USA, die Republikanerin Condoleezza Rice, die an der liberalen Universität die Denkfabrik Hoover Institution leitet, empfängt den Ministerpräsidenten. Sie teilt mit Wüst ihre Einschätzung der Weltlage und jener der USA vor den Präsidentschaftswahlen. Inhalte des Gesprächs dringen nicht nach außen.
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Was Hendrik Wüst aus den Vereinigten Staaten von Amerika außerdem mitbringt, ist die gleiche Hoffnung, die er schon auf dem Hinflug vor einer Woche im Gepäck hatte. Es ist die Hoffnung, das Rheinische Revier und ganz NRW zu einer Digital- und Quantenregion transformieren zu können, in der die Menschen der Kohle keine Träne mehr nachweinen, sondern Künstliche Intelligenz umarmen. Im Frühjahr bekam diese Hoffnung Auftrieb: Microsoft verkündete, in Bedburg und Bergheim im Rhein-Erft-Kreis gewaltige Rechenzentren zu errichten. Der Großteil einer Gesamtinvestition von 3,2 Milliarden Euro wird in den kommenden Jahren nach NRW fließen.
Flüssige Kohle für den Microsoft-Vize
Zum Abschluss der Woche an der Westküste steht der Ministerpräsident am Freitag neben Microsoft-Außenminister Brad Smith in der Firmenzentrale in Redmond, Washington. Dem Vize-Vorstandschef hat Hendrik Wüst eine Glaskugel mitgebracht, in der flüssige Kohle eingefasst ist. Als der CDU-Politiker in seinem Statement in deutscher Sprache sagt, dass sich NRW „von Kohle zu KI“ bewegen möchte, nickt Smith und lächelt. Auch wenn er nicht Deutsch spricht, so kennt er die Parole bereits. Sie ist Wüsts Litanei, der Slogan, hinter dem er ein Land zu versammeln versucht.
Und mit „Von Kohle zu KI“ geht Wüst in den USA hausieren: bei Google, Microsoft, dem Softwarehersteller OpenAI, der mit dem Sprachmodell Chat GPT die rollende KI-Lawine ausgelöst hat. Der Ministerpräsident wirbt an allen Ecken und Enden dafür, nach NRW zu kommen, sich im Dunstkreis von Microsoft anzusiedeln, Partnerschaften mit den Unis an Rhein und Ruhr zu vertiefen, zu helfen bei seiner Vision: „Was das Silicon Valley für die USA ist, wollen wir für Europa sein“ – ein Motor für technologische Innovationen, der Arbeitsplätze liefert und Wohlstand, ja, auch ein Sehnsuchtsort zeitgenössischer Glücksritter.
Wüsts stete Hoffnung, die ihn die Reise hat antreten lassen, besteht folgerichtig auch darin, dass seine Parolen verfangen. Und er sagt seine Werbesprüche auf, wohin er auch kommt: Im Jet Propulsion Laboratory, in dem, finanziert von der Nasa, die Raumsonde gebaut wird, die unter der Eiskruste des Jupiter-Monds Europa Wasservorkommen aufspüren soll. In der Filmvilla Aurora vor Produzenten und Promis. An der Stanford University im Gespräch mit deutschen Studierenden. Beim Waffenhersteller Northrop Grumman vor Rüstungsmanagern.
Ob Wüsts Taktik aufgeht?
Ob die Taktik verfängt, sich das viele Reden schließlich lohnt? Ist eine Woche an der sonnigen Westküste gut investierte Zeit, wo doch die Heimat mit so vielen Problemen kämpft – das Geld ist knapp, Energie so teuer, dass die Industrie mit Abwanderung droht, die Zahl der Verbrechen steigt, die Kommunen ächzen beim Versuch, alle Flüchtenden unterzubringen?
Einer, der nicht nur über NRW spricht, sondern dort auch Geld verdienen möchte, versucht Zuversicht verbreiten: „Absolut, ich hoffe, dass sogar unsere Wettbewerber erwägen, uns zu folgen bei dem, was wir tun“, sagt Microsoft-Vize Brad Smith, als der „Kölner Stadt-Anzeiger“ ihn fragt, wie optimistisch er hinsichtlich weiterer Ansiedlungen ist. Die Investition seines Unternehmens sei gut begründet, führt der Topmanager aus: „Die gute Nachricht ist, dass andere Menschen aufhorchen, wenn ein Unternehmen wie Microsoft sich in dieser Weise öffentlich bekennt. Es gibt einen Grund für Optimismus und wir werden sehen, was die Zukunft bringt. Aber ich erzähle gerne und jeden Tag der Woche anderen amerikanischen Unternehmen, warum auch sie in NRW investieren sollten.“
Das ist ein Bekenntnis zum neuen Standort, so deutlich wie erwartbar. Schließlich setzt auch Microsoft darauf, dass die Wette Rheinisches Revier aufgeht. Wohin sonst mit all der Rechenleistung aus Bedburg und Bergheim?
Einer, an den sich die Firmen wenden, wenn sie nach Nordrhein-Westfalen wollen, ist Felix Neugart, Geschäftsführer von NRW Global Business, der Außenwirtschaftsförderung des Landes: „Die Microsoft-Ansiedlung ist ein wichtiges Signal für den Wirtschafts- und Transformationsstandort NRW“, sagt Neugart. „Wir merken, dass das allgemeine Interesse seit der Ankündigung von Microsoft zugenommen hat.“
„Wir werden mit Microsoft vor Ort im Rheinischen Revier in den Austausch gehen“, sagt derweil Prof. Astrid Lambrecht. Das wiederum ist nicht bloß Hoffnung, sondern gesichert. Kurz zuvor hat Lambrecht, Vorstandsvorsitzende des Forschungszentrums Jülich, Gelegenheit erhalten, Microsoft-Vize Smith vom neuen Quantencomputer „Jupiter“ zu erzählen, der in Jülich in Betrieb genommen wird. Er wird der schnellste Rechner Europas sein, einer der schnellsten weltweit. Eine „große KI-Maschine“, nennt Lambrecht ihr Ass im Ärmel. Das habe nicht nur Brad Smith aufhorchen lassen, sondern Tage zuvor in San Francisco auch den Google-Manager Jens Redmer, verantwortlich für die Produktentwicklung in Deutschland. Redmer, der bei Google an der Front der Entwicklung Künstlicher Intelligenz arbeitet, sei beeindruckt gewesen.
Die Verkehrsanbindung ist ein Problem
Die Spitzenphysikerin Lambrecht sieht aber noch ganz andere Hürden in NRW: „Außer der politischen Unterstützung wäre mir die Anbindung des Forschungszentrums an den öffentlichen Nahverkehr ganz wichtig“, sagt sie. „Das wird zeitnah eine Frage der Attraktivität. Und das wird alle betreffen, die sich ansiedeln wollen.“
Ob amerikanische Unternehmen aktuell überhaupt in großer Zahl in Europa investieren wollen, ist zweifelhaft. Der Inflation Reduction Act von Joe Biden bietet gerade den Tech-Konzernen große Anreize, lieber in den Vereinigten Staaten zu wachsen als im Ausland. Im Angesicht der globalen Krisen der vergangenen Jahre, die auch viele Amerikaner in ärgste wirtschaftliche Bedrängnis gebracht haben, kommt eine große Unsicherheit hinzu. „Im öffentlichen Diskurs in den USA wird zunehmend die Perspektive vertreten, dass Freihandel und Globalisierung wirtschaftliche Probleme zur Folge gehabt haben“, sagt Axel Dittmann, Gesandter der Deutschen Botschaft, der zum Start der Reise aus der Hauptstadt Washington D.C. nach Los Angeles zugeschaltet wird. Andrea Sasse, Generalkonsulin der Bundesrepublik in Los Angeles, hält immerhin fest: „Es ist Tatsache, dass Deutschland weiterhin einen guten Ruf genießt.“
Ministerpräsident Hendrik Wüst jedenfalls scheint am Freitag nach einer langen Reise vor lauter Chancen für sein NRW überwältigt. Er steht neben Microsoft-Mann Brad Smith, spricht über Künstliche Intelligenz und gibt bedeutungsschwanger zu Protokoll: „Die Chancen zu nutzen ist eine riesige Chance in dieser Zeit und aus dieser Chance erwächst auch, das ist meine Überzeugung, die Verpflichtung, diese Chancen zu nutzen.“