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Kommentar

Kommentar zu NRW
Ein Jahr Schwarz-Grün – eine gut geölte Machtmaschine

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Lesezeit 4 Minuten
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU, r),und seine Stellvertreterin Mona Neubaur (Grüne), Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie sehen einander lächelnd an.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU, r),und seine Stellvertreterin Mona Neubaur (Grüne), Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie

Seit einem Jahr regiert Schwarz-Grün. Die augenscheinliche Harmonie sollte nicht über Schwächen und drohende Schwierigkeiten hinwegtäuschen.

Ein Jahr Schwarz-Grün in Nordrhein-Westfalen: Der bevorstehende Jahrestag des Amtsantritts von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und seinem Kabinett bietet Gelegenheit für eine Bilanz. Was hat sich getan im Land? Wie funktioniert die Koalition von Christdemokraten und Grünen? Und ist das Bündnis – eine Premiere im bevölkerungsreichsten Bundesland – womöglich eine Blaupause für Berlin – angesichts des irrlichternden Ampel-Geflackers?

Der Eindruck drängt sich auf. Schließlich arbeitet die Düsseldorfer Koalition auf den ersten Blick ohne vergleichbare Reibungsverluste. Vorwärts geht es vor allem beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Hier hat Schwarz-Grün die Bremse gelöst. Von Januar bis April 2023 wurden doppelt so viele Solaranlagen gebaut wie im gesamten Vorjahr. Durch den Wegfall der bisherigen Abstandsregeln bekommt auch die Windkraft einen Schub.

Bei der Lösung zentraler Probleme des Landes NRW geht es nicht voran

Jedoch: Jenseits des schönen schwarz-grünen Scheins hat sich die Lebensrealität der Bürger kaum merklich verändert. Auch nach dem Regierungswechsel in Düsseldorf vor einem Jahr geht es bei der Lösung zentraler Probleme kaum voran. Nach wie vor gibt es zu wenig Kita-Plätze und Ärzte, zudem mangelt es an günstigem Wohnraum. Selbst die peinlichen Probleme beim Zentralabitur hat Schwarz-Grün von der Vorgängerregierung übernommen.

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Carsten  Fiedler

Carsten Fiedler

Carsten Fiedler, Jahrgang 1969, ist Chefredakteur des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Geschäftsführender Chefredakteur des Newsrooms der Kölner Stadt-Anzeiger Medien. Begonnen hat Fiedlers Karriere in der...

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Bei drängenden Problemen hat Wüst es sich zur Gewohnheit gemacht, mit großer Geste nach Berlin zu zeigen. Aber den Bürgerinnen und Bürgern ist es egal, ob Flüchtlingsunterkünfte vom Bund oder vom Land bezahlt werden, sie erwarten Lösungen. Eine Koalition der Ankündigungen reicht da nicht. Im Gegenteil: Nicht erfüllte Erwartungen schlagen am Ende negativ zu Buche.

Dass Wüst als Strahlemann regieren kann, liegt an der Geschmeidigkeit der Grünen

Beispiel: der Kohleausstieg und seine Folgen. Die Transformation des Braunkohlereviers wurde zwar kürzlich publikumswirksam im „Reviervertrag“ beschworen, aber konkrete Ideen, welche Jobs die RWE-Kumpel denn künftig übernehmen könnten, sind Mangelware. Das Ausstiegsdatum 2030 ist zudem extrem ambitioniert und nach Ansicht mancher Beteiligter kaum zu halten. Deshalb hat die IHK Köln auch die Unterschrift unter den Vertrag verweigert.

Dass Wüst bislang als Strahlemann regieren und sich als Kraftzentrum einer gut geölten Machtmaschine präsentieren kann, liegt vor allem an der Geschmeidigkeit der Grünen, die sehr bestrebt darin wirken, den Kurs der gemeinsamen Regierung nicht zu konterkarieren. Auf dem Weg zur „ersten klimaneutralen Industrieregion Europas“, die NRW laut Koalitionsvertrag werden soll, ist die grüne Vize-Ministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin Mona Neubaur bislang überraschend pragmatisch und unideologisch unterwegs.

Hendrik Wüst gibt sich als Grünenversteher

Für die Pflege des Koalitionsfriedens kommt es Wüst zupass, dass die Grünen-Fraktion jung und überwiegend mit politischen Neueinsteigern besetzt ist. Der Regierungschef gibt sich als Grünenversteher, und die Grünen nehmen ihm das sogar ab.

Ob es bei dieser Harmonie bleibt, wird sich – wie sollte es anders sein – vor allem am Geld entscheiden. Die Steuerprognosen für das neue Haushaltsjahr fallen nicht gut aus, und schon jetzt sind viele Wunschprojekte vor allem der Grünen aufgrund von Energiekrise und Inflation auf Eis gelegt. Das Murren in der Ökopartei wird größer werden, wenn die finanziellen Spielräume noch weiter schwinden. Die Verteilungskämpfe zwischen den Ministerien werden zunehmen, der Ton wird rauer werden.

Wüst wird dann beweisen müssen, wie weit seine Führungsqualitäten reichen – und ob er sich damit auch für noch höhere Ämter empfehlen kann. Durchsetzungsstark ist er. Aus eigenen Fehlern hat er gelernt. Und: Er hat den Willen zur Macht. Gut möglich, dass Wüst in der Union zum starken Mann und Hoffnungsträger wird. Binnen kurzem ist er zu einem der beliebtesten Politiker bundesweit aufgestiegen. Die eigenen Leute handeln ihn als potenziellen Kanzlerkandidaten – und für die Variante eines schwarz-grünen Bündnisses in Berlin wäre er sogar besser geeignet als CDU-Chef Friedrich Merz mit seinem Kurs der Konfrontation.

Ob Schwarz-Grün auf Bundesebene allerdings der gesellschaftlichen Polarisierung und dem damit verbundenen Aufwind der AfD mit ihrem Allzeithoch in den Umfragen entgegen wirken könnte, ist zu bezweifeln. Schließlich ist es vor allem der grüne Gestus der Bevormundung, der die Menschen gegen die Ampel aufbringt. Für eine Übertragung des Düsseldorfer Modells nach Berlin hätte ein Kanzler Wüst mit Profil und Stil seines Koalitionspartners mindestens so viel Arbeit wie mit der Ausrichtung der eigenen Partei.