Ein Sondervermögen in Höhe von zehn Milliarden Euro soll die Probleme von Schulen in NRW dauerhaft lösen, sagt Jochen Ott im Interview.
SPD-Fraktionschef Jochen Ott fordert„Lehrer in Brennpunkten sollen 500 Euro Zulage bekommen“
Herr Ott, Sie nehmen am Bildungskongress des Städtetages NRW teil, fordern einen „Bildungspakt für 2030“. Warum für 2030 – und nicht für sofort?
Jochen Ott: Wir können die massiven Probleme nicht bis nächste Woche lösen. Aber wir müssen uns jetzt mal auf den Weg machen. 2030 ist ein realistischer Zielhorizont, um Lehrerversorgung, Lehrerausbildung und die Schulausstattung in den Griff zu bekommen. Auch die Standards im offenen Ganztag müssen endlich geklärt werden. Wir brauchen daher auch kurzfristigere Maßnahmen. Derzeit werden in NRW Woche für Woche rund 180.000 Unterrichtsstunden allein aufgrund nicht besetzter Stellen nicht gegeben. Wenn wir das ändern wollen, brauchen wir eine kontinuierliche Strategie und eine auskömmliche Bildungsfinanzierung.
In der Landeskasse herrscht aber Ebbe…
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Das ist das Problem. Investitionen in den Schulbereich dürfen nicht von der Haushaltslage des Landes und der Kommunen abhängen. Wir brauchen jetzt ein Sondervermögen „Schule“ in Höhe von zehn Milliarden Euro für die kommenden zehn Jahre über den Landeshaushalt hinaus. Das wäre ohne zusätzliche Kredite finanzierbar, wenn wir zum Beispiel eine gerechtere Erbschaftsbesteuerung von Milliardenvermögen einführen und die Einnahmen für die Bildung verwenden würden. Mit dem Geld könnte auch die Digitalisierung vorangetrieben werden. Ziel muss sein, dass allen Lehrern und Schülern digitale Endgeräte kostenlos zur Verfügung gestellt werden können.
Tablets für alle machen noch keinen guten digitalen Unterricht…
Es fehlt bislang ein digitales Gesamtkonzept. Wie weit die Digitalisierung an den Schulen jeweils fortgeschritten ist, hängt oft vom Zufall und individuellen Einsatz ab. Das kann nicht unser Anspruch sein.
Die schwarz-grüne Landesregierung setzt bei der Bekämpfung des Lehrermangels darauf, mehr Quereinsteiger einzustellen.
Quereinsteiger leisten großartige Arbeit, manchmal ist ein ausgebildeter Gärtner ein besserer Biolehrer als der studierte Biologe. Aber wir haben zu wenig Quereinsteiger, um den akuten Lehrermangel beheben zu können. Es wäre besser, kurzfristig ein Anreizsystem für Lehrer zu schaffen, um Mehrarbeit attraktiver zu machen. Wir schlagen die Errichtung eines modernen Lehrerarbeitszeitkontos für Lehrer unter 50 vor, auf dem jede zusätzlich erbrachte Unterrichtsstunde nach einer Zeit von zehn Jahren doppelt gutgeschrieben wird.
Aber viele Pädagogen klagen schon jetzt über zu viel Stress und Überlastung. Glauben Sie, der Vorschlag, noch mehr zu arbeiten, käme gut an?
Die Überlastung entsteht aber nicht durch die Anzahl der gegebenen Stunden, sondern durch überbordende Bürokratie und zahlreiche Herausforderungen, mit denen die Lehrer von der Landesregierung im Stich gelassen werden. Wir müssen die Lehrpläne massiv entschlacken und den Schulen mehr pädagogische Freiheit geben, damit sie auch die Zeit haben, auf gesellschaftliche Entwicklungen eingehen zu können. Gewalt und sexualisierte Gewalt, mentale Belastungen, Rassismus, Antisemitismus – das sind Themen, die im Alltag junger Menschen viel Raum einnehmen, in der Schule aber kaum eine Rolle spielen. Unser Bildungssystem muss darauf reagieren, das lässt sich aber nicht mit einem althergebrachten vollgestopften Curriculum bewerkstelligen. Mehr Kompetenzförderung ist nötig, weniger Fachdogmatik. Geben wir Lehrern und Schulen deshalb mehr organisatorische und pädagogische Selbstständigkeit.
Viele Schüler sprechen kein Wort Deutsch, wenn sie eingeschult werden. Ergibt es Sinn, an den Grundschulen Englisch zu unterrichten?
Die Grundschulen sollten selbst darüber entscheiden, ob sie Englisch anbieten. Unsere Idee ist es, ein „Chancenjahr“ als Vorschule für die Kinder anzubieten, bei denen ein grundlegender Förderbedarf vor der Einschulung festgestellt wird. Dabei können Schulen, Sonderpädagogen und Kita-Erzieher eng zusammenarbeiten.
Der Lehrermangel trifft die sozialen Brennpunkte besonders hart. Wegen des hohen Problemdrucks wollen dort nur wenige gerne freiwillig arbeiten…
Ja, das Problem lässt sich nicht einfach so beiseite wischen. Gerade an Schulen mit Kindern, die einen besonders hohen Förderbedarf haben, brauchen wir aber unsere besten Lehrer. Ich bin dafür, dass wir Lehrern, die dort eingesetzt werden, eine besondere Leistungsvergütung zahlen. Sie müssen spürbar mehr Geld bekommen. Die Zulage könnte sich im Bereich von 500 Euro bewegen.
Oft werden Abiturienten durch den Numerus Clausus davon abhalten, auf Lehramt zu studieren. Muss man den NC abschaffen?
Das Land muss sich die Fachaufsicht über die Lehrerausbildung zurückholen. Wir schlagen daher einen verbindlichen Landesentwicklungsplan vor, um zusätzliche Studienplätze zu schaffen. Wenn es genug Platz an den Unis gibt, benötigen wir auch nicht länger einen NC.
Schulpolitik gilt als Thema, mit denen man Wahlen verlieren, aber nicht gewinnen kann…
Parteitaktik spielt für uns bei dem Thema keine Rolle. Neue Umfragen zeigen, dass das Thema Bildung für die Menschen im Land eine zentrale Rolle spielt, weil viele die Probleme täglich erleben. Das Vertrauen der Menschen in die Bildungspolitik des Landes kippt. Deswegen brauchen wir jetzt den Mut, uns über die Parteigrenzen hinweg auf einen neuen Ansatz zu verständigen. Ein „New Deal“ in der Bildungspolitik ist möglich, weil es dabei nicht um Ideologie, sondern praxisgerechte Vorschläge geht.