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Gewalttaten nehmen zu„Irgendwann ist das Maß voll und man explodiert“ – Wie Kölner Rassismus erleben

Lesezeit 8 Minuten
Lorenz Burkhardt, Helene Batemona-Abeke und Sergen Canoglu (v. l.)

Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat mit drei Menschen aus Köln und der Region über ihre Erfahrungen mit Rassismus gesprochen.

Anlässlich des Internationalen Tags gegen Rassismus haben wir mit drei Menschen über ihre Erfahrungen mit Rassismus gesprochen.

Sharpeville, Südafrika, 21. März 1960: Tausende Schwarze demonstrieren gegen die diskriminierenden Passgesetze der Apartheid. Die Menschen sind unbewaffnet, die Demonstration überwiegend friedlich. Als die Polizei überraschend das Feuer auf sie eröffnet, sterben 69 Menschen. 51 Männer, acht Frauen, zehn Kinder. Über 180 weitere werden verletzt.

Das „Massaker von Sharpeville“ markierte einen Wendepunkt im Kampf gegen die rassistische Apartheid. Sechs Jahre später erklärten die Vereinten Nationen den 21. März zum „Internationalen Tag gegen Rassismus“.

Auch noch im Jahr 2024 ist der Tag von Relevanz. Nicht nur um in Deutschland daran zu gedenken, was rund 13.000 Kilometer entfernt vor über 60 Jahren in Sharpeville geschah. Sondern dass Rassismus, Antisemitismus, Diskriminierung und Hass auch hierzulande Probleme sind.

Durch eine Correctiv-Recherche wurden erst kürzlich Pläne zur „Remigration“ bekannt, die Rechtsextreme gemeinsam mit der AfD schmieden. Die Partei bekommt aus Teilen der Bevölkerung viel Zuspruch, wie Sonntagsfragen immer wieder zeigen. Auch wenn sie inzwischen wieder Verluste verzeichnen muss – bei den anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen wird die Alternative für Deutschland vermutlich weitere Wahlerfolge erzielen.

Nur ein Teil des Rassismus-Problems lässt sich in Zahlen ausdrücken

Diverse Statistiken zeigen, wie groß der Rassismus in Deutschland ist: 10.038 fremdenfeindliche Straftaten hat das Bundesinnenministerium für das Jahr 2022 gezählt. Die Definition „fremdenfeindlich“ ist zwar an sich irreführend, da darunter auch Angriffe auf in Deutschland geborene Menschen mit Einwanderungsgeschichte zählen, dennoch macht sie das Ausmaß des Problems deutlich. Im Vergleich zu den Vorjahren ist das ein Höchststand.

Die Opferberatung Rheinland (OBR, zuständig für die Regierungsbezirke Düsseldorf und Köln) hat zusammen mit BackUp (eine Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Gewalt aus Dortmund, zuständig für Westfalen Lippe) ein eigenes Monitoring erstellt. 2022 wurden demnach 501 Menschen Ziel rechtsmotivierter Angriffe. 339 waren es noch 2021 – ein Anstieg um 75 Prozent.

Das liegt einerseits daran, dass die Beratungsstellen vor 2022 nur Bedrohungsdelikte erfasst haben, die mit erheblichen negativen Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen verknüpft waren. Andererseits kann dennoch davon gesprochen werden, dass die Tendenz rassistischer Gewalt steigt: 2021 zählten die Beratungsstellen 158 Körperverletzungsdelikte, 2022 schon 205 Fälle.

Aktuelle Zahlen für 2023 gibt es derzeit weder vom Bundesinnenministerium noch von den Beratungsstellen, aber dass es eher schlimmer statt besser wird, ist trotzdem deutlich erkennbar. Zumal sich so etwas wie Rassismus nur schwierig in Zahlen ausdrücken lässt, die auch die Wirklichkeit abbilden.

„Das wahre Ausmaß wird höher liegen“, sagt Fabian Reeker, Leiter der OBR. Die Beratungsstellen versuchen zwar das Dunkelfeld zu erhellen, dennoch gebe es viele von Rassismus Betroffene, die keine Anzeige erstatten. Dies könne viele Gründe haben, etwa negative Vorerfahrungen mit Sicherheitsbehörden oder der Eindruck, dass eine Anzeige nur eine Nachgefährdung, aber keine wirksamen Ermittlungen nach sich ziehen würde.

Allerdings fängt Rassismus nicht erst dann an, wenn jemand physisch verletzt wird. Anlässlich des „Internationalen Tag gegen Rassismus“ am 21. März haben wir mit drei Menschen aus Köln und der Region über ihre Erfahrungen mit dem Hass gesprochen – und was sie sich von ihren Mitmenschen, die nicht von Rassismus betroffen sind, wünschen.

Rassismus findet vom 1. Januar bis zum 31. Dezember statt, 24 Stunden täglich
Helene Batemona-Abeke, Sprecherin des Kölner Forums gegen Rassismus und Diskriminierung

Rassismus passiert ständig. Es müssen nicht immer die großen Sachen mit einem Polizeieinsatz sein. Da reicht ein Kommentar, man liest etwas im Internet oder die Kinder erzählen etwas beim Abendessen aus der Schule. Rassismus ist ein Trauma. Jeden Tag werden wir mit Dingen konfrontiert, die es triggern. Irgendwann ist das Maß voll und man explodiert.

Mein 13-jähriger Sohn hat mir vor ein paar Tagen vor dem Schlafen einen Brief gezeigt, in dem sich ein Mitschüler bei ihm für sein Verhalten entschuldigt. Der Junge hat meinen Sohn beim Fangen spielen gesagt, dass er in seinen Käfig und seine Hütte zurückgehen soll, wo er auch hingehört. Wir waren als Eltern irritiert, dass wir über diesen Vorfall nicht informiert wurden.

Helene Batemona-Abeke

Helene Batemona-Abeke ist davon überzeugt, dass Weiße Menschen sich kritisch mit ihren Privilegien auseinandersetzen müssen, um effektiv Rassismus bekämpfen zu können.

Von der Schule hieß es, dass die das mit dem Brief geregelt hätten. Uns geht es damit gar nicht gut. Ich bin zwar gefestigt im Umgang mit Rassismus, trotzdem schmerzt es sehr, dass mein unschuldiges Kind oder andere Kinder so etwas auch erleben müssen, wie ich oder meine Großeltern im Kolonialismus.

Zwar ist der „Internationale Tag gegen Rassismus“ wichtig, aber es ist genauso wichtig, sich jeden Tag damit auseinanderzusetzen. Rassismus findet vom 1. Januar bis zum 31. Dezember statt, 24 Stunden täglich. Er wird so lange ein Thema sein, bis es eine Sache der Weißen Menschen wird.

Deshalb sollten sie sich kritisch mit ihrem Weiß-Sein auseinandersetzen. In Form von Schulungen, Fortbildungen oder indem sie sich informieren. Sie müssen Rassismus zu ihrer Sache machen und verstehen, dass sie Privilegien haben und woher die kommen. Die können sie nutzen, um Menschen, die von Rassismus betroffen sind, zu unterstützen. Noch besser wäre es, die Privilegien abzulehnen. Nur so können sie zu Verbündeten werden und Betroffene entlasten.

Helene Batemona-Abeke (52) ist Sozialarbeiterin bei Pamoja Afrika, einem gemeinnützigen Verein für Antirassismus- und Antidiskriminierungsarbeit aus Köln, und Sprecherin des Kölner Forums gegen Rassismus und Diskriminierung.


Leider ist keine Besserung in Sicht, was Antisemitismus betrifft
Lorenz Beckhardt, Sprecher des jüdischen Karnevalsvereins Kölsche Kippa Köpp

Ich bin eigentlich jeden Tag im Internet und den sozialen Medien von Antisemitismus betroffen. Seit dem Angriff durch die Hamas am 7. Oktober ist das absolut massiv geworden. Inzwischen muss man auch ständig den Vorwurf des Völkermords über sich ergehen lassen.

Damit wird zwar Israel adressiert, aber da läuft zwischen den Zeilen die Botschaft mit: der Holocaust und Israels Verteidigungskrieg gegen die Hamas, das sind doch im Kern ähnliche Ereignisse. Viele Israelis oder Juden, die hier leben, sind außerdem unglücklich über die Politik der in Teilen rechtsextremen Regierung Israels und waren schon vor dem Angriff Teil einer Protestbewegung. Sie haben in Israel überhaupt keine politische Entscheidungsmacht, werden aber ständig mit angesprochen.

Lorenz Beckhardt

Lorenz Beckhardt aus Bonn ist Jude. Seit dem Angriff der Hamas wird er täglich mit Antisemitismus konfrontiert.

Zusätzlich gibt es auch persönliche, direkte Angriffe. Ein älteres Ehepaar, dass sich bei den Kölschen Kippa Köpp engagiert, war aus familiären Gründen während des Hamas-Angriffs in Israel. Sie wurden vor ihrem Haus angesprochen, jemand hielt ihnen einen Aschenbecher hin und sagte, dass dort noch Platz für 5000 Juden wäre.

Viele von uns tragen seit dem 7. Oktober keine äußeren Erkennungszeichen mehr, die sie als jüdisch identifizieren. Höchstens einen Davidstern um den Hals, den man aber unter der Kleidung nicht sehen kann.

Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie das wäre, wenn ich mit einer Kippa in Köln in die Straßenbahn steigen würde. Der Veranstaltungsort für das Purim-Fest, man nennt es auch „jüdischer Karneval“, wurde aus Sicherheitsgründen bis zuletzt geheim gehalten – selbst vor denen, die eingeladen und angemeldet waren.

Leider ist keine Besserung in Sicht, was Antisemitismus betrifft. Deshalb fände ich es wichtig, wenn das Thema jenseits der eingefahrenen Gedenkrituale vor allem in den Schulen mehr Raum bekäme. Bevor Menschen über den Nahostkonflikt urteilen, sollten sie sich mehr informieren, einfach mal ein Buch lesen statt nur Social Media – weniger Meinung, mehr Faktenwissen.

Lorenz Beckhardt (62) lebt in Bonn, ist hauptberuflich Redakteur sowie Sprecher des jüdischen Karnevalsvereins Kölsche Kippa Köpp.


Ich bringe eigentlich alles mit, was von der Gesellschaft verlangt wird
Sergen Canoğlu (26) ist Referendar an der Kölner Gesamtschule Holweide

Ich habe schon mehrere rassistische Erfahrungen gemacht. Ich bin schon mal mit einem Freund nicht in einen Club gekommen – alle vor und auch nach uns in der Schlange aber schon. Obwohl sie stärker alkoholisiert waren als wir. Sie sahen aber eben wie Deutsche aus.

Das krasseste Erlebnis hatte ich allerdings bei meiner Wohnungssuche im vergangenen Jahr: Ich suchte etwas in Holweide, weil ich an der Gesamtschule gerade mein Referendariat begonnen hatte. Passenderweise war eine Freundin auf der Suche nach einem Nachmieter für ihre Einzimmerwohnung. Ihr Vermieter wollte jemanden mit geregeltem Einkommen, mehr hat er nicht verlangt. Ich schickte ihm meine Unterlagen zu, hörte dann aber lange nichts mehr von ihm.

Sergen Canoğlu

Der Kölner Referendar Sergen Canoğlu hat aufgrund seines Namens und seiner Herkunft eine Wohnung nicht bekommen – obwohl er eigentlich gute Voraussetzungen mitbringt.

Meine Freundin fragte dann für mich bei ihm nach: Zunächst meinte der Vermieter, dass es eine lange Warteliste gäbe. Von der war vorher aber nie die Rede. Sie sollte ja aktiv nach einem Nachmieter suchen. Er wollte erst nicht zugeben, dass es an meinem türkischen Namen oder Migrationshintergrund liegt. Irgendwann meinte er, dass andere Mieter im Haus Probleme mit Ausländern hätten. Deshalb könnte er nicht die Wohnung an mich vermieten. Zu meiner Freundin sagte er noch, dass sie gerne weiter nach jemandem suchen könne, der ein ähnliches Profil hat –also eine deutsche Person.

Ich habe mich damals sehr machtlos gefühlt, war schockiert und auch wütend. Ich bringe eigentlich alles mit, was von der Gesellschaft verlangt wird: Ich habe einen Master-Abschluss, bin verbeamtet und habe ein geregeltes Einkommen. Wie geht es dann Menschen, die weniger mitbringen?

Für mich ist es wichtig, dass die Menschen bei Rassismus nicht wegschauen. Es ist sehr wichtig, dass man reagiert. Rassismus ist vielfältig und tief in der Gesellschaft verstrickt. Darum ist es wichtig, ihn immer wieder zu thematisieren. Und das nicht nur an einem besonderen Tag.

Sergen Canoğlu (26) ist Referendar an der Kölner Gesamtschule Holweide.