Vor einem Jahr startete Schwarz-Grün. Vize-Ministerpräsidentin ist seitdem die Grüne Mona Neubaur. Wie hat das Amt die Politikerin verändert?
Grüne Wirtschaftsministerin in NRWDas neue Leben der Wüst-Versteherin Mona Neubaur
An diesem heißen Juni-Nachmittag gibt es auf dem staubigen Schotterparkplatz des neuen Waldwindparks in Südwestfalen keinen Schatten. Mona Neubaur steigt in ihren Dienstwagen, einen Audi A 8 L, das „L“ steht für „Langversion“, und darin ist es schön kühl. Das Modell hat jeden Komfort, die Sitze verfügen über eine Massagefunktion. „Wollen Sie mal die ,Welle‘ ausprobieren?“, fragt die Wirtschaftsministerin und startet das Programm auf dem Display in der Mittelkonsole. Klar, die Ausstattung des Wagens sei ein bisschen drüber, aber dafür könne sie nichts. „Den habe ich von meinem Vorgänger übernommen“, sagt Neubaur und zuckt mit den Schultern.
Jetzt geht es los, aber nur langsam, der Fahrer will die Reifen auf dem steinigen Waldweg nicht zu arg malträtieren. So kommt es, dass die Demonstranten, die ein Stück weit entfernt am Eingang des Windparks warten, wohl glauben, sie könnten einen Blick auf die Ministerin erhaschen. Sie treten dicht an den Wagen heran und blasen laut in ihre Trillerpfeifen. Neubaur winkt ihnen zu, aber das sehen sie wahrscheinlich nicht, denn die Fenster sind natürlich verdunkelt.
„Ein völlig anderes Leben"
Eigentlich sollte Neubaurs Wagen der Kolonne von Robert Habeck folgen, der auch bei der Eröffnung des Waldwindparks dabei war und als Vize-Kanzler von der Polizei eskortiert wird. Das wäre praktisch gewesen, aber Neubaur musste noch ein Interview geben, und da wollte der Habeck-Tross dann doch nicht warten. Immer dieser Zeitdruck. „Das ist schon ein völlig anderes Leben jetzt“, sagt Neubaur, und das wirkt stolz und wehmütig zugleich.
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Die Macht hat meistens Pomp und Glanz im Schlepptau. Viele Politiker verändert das. Neubaur will sich treu bleiben, auch in ihrer neuen Rolle. Sie trägt immer noch ausschließlich schwarze Kleidung – das ist ihr Markenzeichen – und verzichtet auf den Chauffeur, sofern das möglich ist. „Wenn es irgendwie klappt, gehe ich morgens zu Fuß zum Ministerium“, sagt die 45-Jährige, die im Zentrum Düsseldorfs lebt.
Vor einem Jahr war Neubaur auf Wahlkampftour in NRW unterwegs. „Das war vergleichsweise cool und easy“, erinnert sich die Ministerin. Der Fahrer arbeitete eigentlich in der Musikbranche, im Merchandising einer Punkrock-Band, war großflächig tätowiert und trug ein T-Shirt mit Totenkopf. Wenn der elektrische Minibus an der Autobahn-Raststätte mal wieder aufgeladen werden musste, hatten alle die Ruhe weg und genossen die Zeit, um durchzupusten. Das war einmal. „Hat schon jemand in Attendorn angerufen und gesagt, dass wir zu spät sind?“, fragt Neubaur. Natürlich. Das hat die Sprecherin längst erledigt.
Grünen ließen die Muskeln spielen
Neubaurs Vorgänger war der FDP-Politiker Andreas Pinkwart. Seinen Dienstwagen gibt es noch, aber in der Wirtschaftspolitik von NRW ist mit dem Regierungswechsel auf fast allen Ebenen eine Zeitenwende eingetreten. Nach ihrem guten Abschneiden bei der Landtagswahl am 15. Mai (18,2 Prozent) konnten die Grünen sich aussuchen, mit wem sie regieren wollten, und ließen die Muskeln spielen. In den Koalitionsverhandlungen musste die CDU einige Kröten schlucken. „So ist das in der Politik“, sagt Neubaur nur mit ein bisschen Häme. „Ist doch gut, wenn die CDU jetzt zum Beispiel bei der Windkraft mit uns vorangeht.“
Ein Jahr Schwarz-Grün. Die 1000-Meter-Abstandsregel für Windkraftanlagen ist gefallen. Bis zum Ende der Legislaturperiode sollen in NRW 1000 neue Windräder gebaut werden. Der Landesentwicklungsplan wurde geändert, ab 2025 sollen 1,8 Prozent der Landesfläche für Windräder ausgewiesen sein. Auch im Wald ist Windkraft jetzt erlaubt. Beziehungsweise in dem, was von ihm übriggeblieben ist.
Der Sturm Kyrill, Schädlinge, Hitze und Dürre haben weite Forstgebiete in NRW in eine trostlose Ödnis verwandelt. „Gucken Sie mal, wie das hier aussieht“, sagt Neubaur und blickt aus dem Fenster. „Die Windkraft ist für die Waldbesitzer eine Chance, wieder Geld zu verdienen und die Aufforstung zu finanzieren.“ In NRW gibt es mehr als 135.000 Hektar solcher zerstörten Waldflächen.
Deshalb, so die Ministerin, sei die Eröffnung des Waldwindparks bei Bad Berleburg von hoher Symbolkraft gewesen. Die vier Windräder sind mit rund 200 Metern höher als der Kölner Dom und haben eine Leistung von 3,6 Megawatt. Betreiber ist die „Wittgenstein New Energy“-Gruppe, die in den kommenden Jahren 300 Megawatt Leistung mit Windkraft erzeugen will. Gründer des Unternehmens ist Ludwig Ferdinand Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg.
Neubaur hatte keine Amtserfahrung
Der 83-Jährige hat die ideologischen Vorbehalte vieler oft konservativer Waldbesitzer gegen die Grünen längst abgelegt. Klar, wohl vor allem deswegen, weil man mit Windkraft Geld verdienen kann. Aber die zur Schau gestellte Sympathie für Habeck und Neubaur wirkt echt. Der Vize-Kanzler betont, die Windkraft im Wald berge die Chance, einen neuen gesellschaftlichen Konsens herzustellen. Schwarz-Grün stößt nicht nur in den Metropolen, sondern auch in der Provinz auf Akzeptanz. Der Prinz ist jedenfalls ganz angetan von Neubaur. Die mache ihre Sache richtig gut, sagt er, wobei mitklingt, dass er das nicht unbedingt erwartet hatte.
Neubaur hatte bei Amtsantritt schließlich keinerlei Erfahrung mit der Regierungsarbeit. Es war nicht einfach, sich von jetzt auf gleich mit den komplexen Abläufen vertraut zu machen. „Aber sie hat sich da reingekniet, war oft die Letzte, die das Haus verließ“, heißt es in ihrem Umfeld. Fleiß und Ausdauer werden ihr auch in der CDU konstatiert. Sie sei keine „Warmduscherin“, könne sich im Bedarfsfall auch mal eiskalt durchsetzen, sagt ein Kabinettsmitglied der CDU, und erinnert an die Regierungsbildung. „Da hat die Mona die Leute, die sie vorher geärgert haben, kalt lächelnd ausgebootet.“
In Düsseldorf klappe es gut mit der CDU, findet Neubaur. Dort bildet die Wirtschaftsministerin gemeinsam mit Ministerpräsident Hendrik Wüst die zentrale Machtachse in der „Zukunftskoalition“. Es heißt immer wieder, die Regierung funktioniere deshalb ziemlich geräuschlos, weil Wüst und Neubaur auch persönlich so besonders gut miteinander klarkommen würden. Stimmt das wirklich? „Och ja“, sagt Neubaur. Sie telefoniere häufig mit dem Hendrik, und so richtig unfreundlich sei der Ton dabei noch nie gewesen. „Es war bislang auch nicht nötig, sich gegenseitig anzupampen.“
Schwarz-Grün hat noch nicht viele Schrammen abbekommen. Der Polizeieinsatz in Lützerath hat die Zusammenarbeit nicht belastet, wie Beobachter vorhergesagt hatten. Dem Koalitionsfrieden kommt zugute, dass die Partner kein Interesse am Misserfolg des Projekts haben. In Berlin sei das offenbar anders, die internen Berichte über das Ränkespiel in der Ampel wirken auf viele verstörend. „Boshafte Intrigen gibt es bei uns nicht“, sagt Neubaur.
Wüst hofft auf gute Kurswerte
Auch Wüst hat kein Interesse am Streit. Er setzt darauf, dass eine gute Performance in NRW seinen Kurswert auf Bundesebene steigen lässt – und die jüngsten Umfragen zeigen, dass der Plan aufgehen könnte. Neubaur lässt das gelassen. „Wir regieren partnerschaftlich auf Augenhöhe“, findet Neubaur. Und das sei „ja ziemlich viel Wert“.
Denn es gab ja auch die Zeiten, in denen das anders war – damals, in der Regierung mit der SPD. „Da stand immer das Koch-und-Kellner-Ding im Raum. Die SPD wollte allein die Richtung vorgeben, wir sollten nur hinterherlaufen“, erinnert sich Neubaur.
Klar, mit der CDU sei es auch nicht immer einfach. „Viele Kolleginnen und Kollegen sind vor Ort gewählt und den Menschen dort unmittelbar verpflichtet, da sind dann Abwägungsprozesse nachvollziehbarerweise schwierig. Gerade, wenn sie sichtbare Veränderungen nach sich ziehen“, sagt Neubaur. Auch bei innenpolitischen Debatten dauere es hin und wieder länger, das sei mit dem „Wasserwerferflügel“ der SPD aber auch nicht anders gewesen.
Neubaur sei eine besondere Wüst-Versteherin, heißt es in der Grünen-Landtagsfraktion. Vielleicht liege das daran, dass sie in der bayerischen Provinz aufgewachsen sei, in einem katholischen und CSU-nahen Elternhaus. „Es stimmt jedenfalls, dass ich früh gelernt habe, meine Positionen in einem konservativen Umfeld zu behaupten“, erzählt die Vize-Ministerpräsidentin. Vorbild sei ihre Tante Gitta gewesen, die in der Kleinstadt Pöttmes mit einem Greenpeace-Aufkleber auf dem Auto unterwegs war. „Die hatte Anmut im Angriff. Ein guter und fairer Umgang ist bei Konflikten zielführender als hysterisches Geschrei“, sagt Neubaur.
Empfang in der Heimat mit Blasmusik
Tante Gitta ist übrigens – wie der Rest der Familie Neubaur – stolz darauf, was aus „der Mona“ geworden ist. Als sie nach der Ernennung zur Ministerin die Eltern besuchte, wurde nichts aus der geplanten stillen Visite. Die Familie hatte zur Begrüßung eine Blaskapelle organisiert. Ein bisschen peinlich, aber auch ganz süß sei das gewesen.