Interview

CDU-Urgestein Bosbach warnt
„Um Gottes willen - Von Schwarz-Grün im Bund halte ich gar nichts“

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Wolfgang Bosbach (CDU), ehemaliger Bundestagsabgeordneter, sitzt im Garten eines Hotels in Bergisch Gladbach.

Wolfgang Bosbach, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der CDU

Die Stimme von Wolfgang Bosbach hat in der CDU immer noch großes Gewicht. Jetzt spricht er über die wichtigsten Botschaften seiner Partei.

Herr Bosbach, die Europawahl ist für die CDU ganz gut gelaufen. Was muss die CDU tun, um auch im Osten erfolgreich zu werden?

Wolfgang Bosbach: 30 Prozent ist vor dem Hintergrund einer stark veränderten politischen Landschaft ein gutes Ergebnis, aber kein Grund für ein Feuerwerk an guter Laune. Das ist auch keine Vorentscheidung für die nächste Bundestagswahl. Immer schön bescheiden bleiben. Politisch tickt der Osten in der Tat anders als der Westen der Republik, aber wir müssen dennoch inhaltlich einheitlich auftreten. Ein Programm Ost und ein anderes für den Westen, das funktioniert nicht.

Aber kann man so die AfD von Platz eins verdrängen?

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Das wird nicht leicht, ist aber auch nicht unmöglich. Warum machen viele Menschen dort ihr Kreuz? Weil das alles Nazis sind? Ist mir zu schlicht. Es geht nicht immer um die großen Menschheitsfragen. Wir müssen uns mehr mit den ganz alltäglichen Sorgen der Leute beschäftigen. Nix Flugtaxi, sondern funktionierender ÖPNV. Hier sprechen wir über Lastenräder, Wärmepumpen und LGBTQ+, im Osten sind Migration und Fragen der sozialen Sicherheit wichtig. Dort ist eher Schnitzel als Quinoa-Salat angesagt. Die Menschen wollen Sicherheit, einen funktionierenden Staat, eine gute Regierung. Und reagieren allergisch auf staatliche Bevormundung, politische Umerziehung.

„Ostdeutsche haben Zukunftsängste“

Warum ist die AfD im Osten so stark?

Zunächst wird die Migrationspolitik seit 2015 dort viel kritischer gesehen als im Westen. Die Corona-Politik hat gerade im Osten viel Vertrauen gekostet. Die Wiedervereinigung war für Millionen ein einschneidendes Ereignis, viele hatten – und haben zum Teil immer noch – Zukunftsängste. Zunächst hat die Ex-SED hier die Rolle des Kümmerers übernommen, mittlerweile versucht sich die AfD als Sprachrohr des Ostens. Je mehr Vertrauen die etablierten Parteien verloren haben, desto stärker wurde die AfD. Dennoch wurde sie bei der letzten Wahl nur fünftstärkste Partei. Heute liegt sie gleichauf mit der SPD auf Platz zwei. Seit zwei Jahren ist die Ampel ein Konjunkturprogramm für die AfD. Leider!


Wolfgang Bosbach war von 1994 von 2017 Mitglied des Deutschen Bundestags. Der Jurist aus Bergisch Gladbach gehört bis heute zu den profiliertesten Innenexperten der CDU. Der frühere NRW-Ministerpräsident Armin Laschet betraute ihn 2017 mit der Aufgabe, Vorschläge zur Verbesserung der Sicherheitsarchitektur in NRW vorzulegen. „Die Bosbach-Kommission“ stellte daraufhin 150 Maßnahmen vor. Bosbach ist 72 Jahre alt. Er unterstützt die CDU in den anstehenden Landtagswahlkämpfen in Ostdeutschland.


Was sind die wichtigsten Botschaften, die die CDU in der Flüchtlingspolitik senden muss?

Humanität und Ordnung! Die Aufnahme- und Integrationskraft des Landes nicht überfordern. Wenn möglich, Anerkennungsverfahren in Drittstaaten. Konsequente Rückführung abgelehnter Bewerber. Und in Form und Inhalt klare Abgrenzung von der AfD. Die eingangs erwähnten Punkte haben 0,0 mit Remigrationsphantasien der AfD zu tun. Dort versammeln sich die Nationalisten. Gute Patrioten wollen wir sein. Nationalisten haben Deutschland nie genutzt, immer nur geschadet.

Wären Asylverfahren in Drittländern tatsächlich durchführbar?

Theoretisch denkbar, ich weiß allerdings nicht, wie das in der Praxis funktionieren soll. Zunächst brauchen wir dazu die viel zitierten Drittstaaten. Soll dann das gesamte Anerkennungsverfahren mit fachkundigem Personal aus Deutschland dort durchgeführt werden? Einschließlich aller Rechtsschutzmöglichkeiten vor deutschen Gerichten? Von der Finanzierung ganz zu schweigen. Wir hatten auf EU-Ebene schon viele tolle Pläne, die bislang kaum die gewünschte Wirkung hatten.

„Konservative Werte sind angesagt“

Was schlagen Sie vor?

Zunächst müssten wir uns ehrlich machen. Auch wir haben keine unbegrenzte Aufnahme- und Integrationskraft. Die Zahl der abgelehnten Asylsuchenden, die faktisch unabschiebbar sind, steigt. Und die Verteilungspläne der EU werden nicht funktionieren. Mir konnte noch keiner erklären, wer nach welchen Kriterien entscheidet, wer nach Bulgarien und wer nach Berlin kommt, wer nach Essen und wer nach Estland. Menschlich kann ich es total verstehen, dass die Flüchtlinge in die wohlhabenden Länder streben, die aber sind vielfach überfordert. Wie wäre es denn zur Abwechslung mal mit der Anwendung des geltenden Rechts? Stichwort Dublin II. Der Asylantrag muss nämlich dort gestellt werden, wo die Schutzsuchenden erstmals ein EU-Land erreichen.

Damit macht sich Deutschland aber einen schlanken Fuß…

Nein, wenn wir Lasten fair teilen. Um Länder wie Italien, Griechenland nicht überproportional zu belasten, müssten wir ein Resettlement-Abkommen schließen und uns verpflichten, eine bestimmte Quote aufzunehmen. Das hätten den großen Vorteil, dass wir wissen, wer wann kommt. Wissen Sie, wen wir ganz schnell abschieben? Die abgelehnten Bewerber, die sich ganz korrekt verhalten haben: Die sind mit Papieren gekommen, haben einen festen Wohnsitz, tauchen nicht unter. Das hat mich schon immer geärgert.

Den Grünen laufen die Jungwähler weg – woran liegt das?

Zu viele haben uns jahrelang alternativ „Fridays for Future“ oder die „Letzte Generation“ als Repräsentanten der jungen Generation verkauft. Die sind präsent und laut, aber haben nie eine ganze Generation vertreten. Konservative Werte sind bei vielen jungen Leuten angesagt. Die kleben sich nicht fest, die packen an. Sind fleißig, haben oft schon früh Auslandserfahrung gesammelt, streben nach Selbstständigkeit. Für die ist Vielfalt auch ohne politische Nachhilfe ganz selbstverständlich. Die wollen ohne politische Bevormundung ihren Weg gehen.

Wird es nach den Wahlen in Osten eine Diskussion über die K-Frage in der Union geben? 

Ich hoffe nicht. Mir ist die Diskussion um die K-Frage bei der letzten Wahl noch in schlechter Erinnerung. Als zerstrittene Partei wahrgenommen zu werden, ist das Letzte, was wir brauchen. Friedrich Merz ist als Partei- und Fraktionsvorsitzender unumstritten – und wenn Markus Söder klug ist, wird er die Auseinandersetzung mit der CDU nicht wiederholen.

„Der Wahlkampf wird hammerhart“

Aber NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst ist in Umfragen beliebter als Merz. Ist es trotzdem schlau, auf Merz zu setzen?

Ja. Wir würden uns keinen Gefallen tun, wenn wir jetzt mit Personaldebatten einsteigen. Eine Kandidatur von Wüst würde ja auch nicht jedem gefallen und mit Sicherheit nur zu neuen Personaldebatten führen. Die brauchen wir echt nicht.

Trauen Sie Wüst zu, die Kanzlerrolle auszuüben?

Aber sicher. Das aber gilt grundsätzlich für jeden Ministerpräsidenten, nicht nur für Hendrik Wüst.

Armin Laschet ist daran gescheitert, am falschen Ort zur falschen Zeit gelacht zu haben. Wie groß ist das Risiko, dass Merz sich selbst ein Bein stellt?

Friedrich Merz weiß, wie hoch die Erwartungshaltung an ihn ist. Er ist in den letzten Monaten bei öffentlichen Auftritten zurückhaltender geworden, ohne an Klarheit zu verlieren. Im nächsten Wahlkampf kommt es auf Kompetenz und Erfahrung an, und was das angeht, mache ich mir keine Sorgen. Friedrich Merz wird wissen, dass gerade bei ihm jedes Wort auf die Goldwaage gelegt wird. Der Wahlkampf wird hammerhart, weil er nicht nur gegen die Union geführt wird, sondern gegen die Person des Kanzlerkandidaten. Schon aus diesem Grund wünsche ich mir Geschlossenheit und Rückendeckung für Friedrich Merz.

In seiner umstrittenen Tätigkeit für die Vermögensverwaltung Blackrock sehen Kritiker eine breite Angriffsfläche…

Genau so wird das Kommen. Da werden olle Kamellen zur heißen Wahlkampfmunition: dann geht s um Blackrock, Paschas, Zahnarzttermine und – nicht zu vergessen – seinen Privatflieger. Dass der weniger Sprit verbraucht als der Dienstwagen von Olaf Scholz interessiert doch keinen. Aber am Ende wird es darum gehen: Wie sichern wir Wohlstand und soziale Sicherheit? Es geht um Wirtschaft und Finanzen. Da hat die Ampel nur wenig zu bieten.

„Liminski könnte Wüst nachfolgen“

Schwarz-Grün gilt als Modell für den Bund – was halten Sie davon?

Um Gottes willen. Von Schwarz-Grün auf Bundesebene halte ich gar nichts. Ich kenne die Grünen. Die würden von der Union, zum Beispiel bei den Themen Migration und Sicherheit, Kompromisse abverlangen, die das Profil der Union entschärfen würden. Für die AfD ein Fest. Die traurigen Ergebnisse der SPD zeigen doch, was passiert, wenn man sich mit großen Schritten von der Erwartungshaltung der Kernwählerschaft entfernt. Was, um Himmels willen, hat der Industriearbeiter mit linker Identitätspolitik am Hut?

Aber in NRW läuft das Bündnis mit den Grünen geräuschlos. Was unterscheidet die Grünen bei uns von denen in Berlin?

Inhaltlich wenig. In NRW sind die Grünen geschickt, weil sie der Versuchung widerstehen, die Opposition in der Koalition zu sein. Das macht Lindner im Bund und stürzt damit Rot-Grün von einer Verzweiflungstat in die nächste. Konflikte gibt es in Düsseldorf auch, aber Wüst hat das Glück, dass diese nicht öffentlich zelebriert werden. Er selbst wirft sich nicht so gern ins Getümmel und lässt die Konflikte in der Koalition von den Fachministern austragen.

Sollte Merz tatsächlich gewinnen – würden Sie ihm zu einem Dreierbündnis oder zu einer Großen Koalition raten?

Dreiecksverhältnisse sollen ja auch im Privaten sehr kompliziert sein – wie man so hört. Ich habe persönlich nur gute Erfahrung mit der Zusammenarbeit mit der SPD. Nach harten Verhandlungen konnte man nachts gut schlafen, weil man nicht befürchten musste, dass am nächsten Morgen doch wieder alles aufgedröselt wird. Wir waren lösungsorientiert und dem Erfolg verpflichtet. Ich glaube aber, dass es in der SPD große Vorbehalte gegen eine Neuauflage der GroKo geben würde. In der wären sie wahrscheinlich der Juniorpartner. Ich hoffe, dass die Regierungsbildung sich nicht monatelang hinzieht. Dann schlägt nämlich die Stunde der Extremisten, die nach dem starken Mann rufen. Und das kann dann brandgefährlich werden.

Mal angenommen, Wüst müsste doch kurzfristig in Berlin einspringen – wer wäre denn der geborene Nachfolger in NRW?

Wir haben in der NRW-CDU hervorragende Leute, die ihm folgen könnten. Einer von ihnen ist der Chef der Staatskanzlei, Nathanael Liminski. Er ist ungeheuer fleißig und verfügt trotz seines relativ jungen Alters über ein enormes politisches Fingerspitzengefühl. Aber ich bin mir sicher, dass sich die Frage der Wüst-Nachfolge in den nächsten Jahren nicht stellt.

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