Die AfD ist bei Kindern und Jugendlichen so beliebt wie nie. Wie kann das sein? Drei Kölner Schüler suchen nach Erklärungen.
Zukunftsangst und Social MediaWarum Jugendliche vermehrt rechts wählen – Kölner Schüler suchen nach Erklärungen
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15 Prozent der Kinder und Jugendlichen würden die AfD wählen. (Symbolbild)
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Ginge es nach Kindern und Jugendlichen, müsste die Linke am Sonntag nicht um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen. Mit knapp 21 Prozent gewann die Partei überraschend die U18-Wahl. Doch die Linken waren nicht die einzigen Gewinner: Während die AfD 2021 bei Kindern und Jugendlichen fast an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte, klettert der blaue Balken nun auf 15,5 Prozent – nur 0,2 Prozentpunkte hinter der CDU.
Warum würden immer mehr junge Menschen eine in Teilen rechtsextreme Partei wählen? Dieser Frage ist das Hansa-Gymnasium in Köln Ende Januar nachgegangen. „Jung und rechts – aber doch nicht bei uns?!“ hieß die Abendveranstaltung, zu der nicht nur Eltern kamen, sondern auch Schüler. Schließlich ging es um ihre Generation, um Wahlkampfstrategien, die auf sie gemünzt sind. Mit dabei waren Erstwähler Finn (18 Jahre, Name geändert), Milla (17) und Arno (16).
„Als würden wir im nationalen Notstand leben“
Freitagvormittag, eine Woche vor der Wahl. Finn, Milla und Arno sitzen in einem Besprechungsraum des Hansa-Gymnasiums. Wieso, denken die Drei, wird die AfD in ihrer Altersgruppe immer erfolgreicher?
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Arno: Wir haben im Unterricht gelernt, dass Bedürfnisse aufeinander aufbauen. Das unterste Bedürfnis, also die Basis, ist Sicherheit. Momentan wird ein Bild erschaffen, als würden wir im nationalen Notstand leben. Trotzdem sehnen sich, glaube ich, viele junge Leute nach einem Gefühl von Sicherheit.
Milla: Bei der AfD kriegt man einfache Antworten. Die Migrantinnen und Migranten sind schuld – das klingt alles so simpel.
Während die U18-Wahlergebnisse bereits öffentlich sind, stehen die Ergebnisse der Juniorenwahl noch aus. Diese wird im Gegensatz zur U18-Wahl ausschließlich in Schulen durchgeführt. Bei der simulierten Europawahl vergangenen Sommer wurde die AfD in NRW drittstärkste Kraft, im Werner-von-Siemens-Berufskolleg Deutz und dem Kaiserin-Theophanu-Gymnasium in Kalk landete sie sogar auf Platz eins – und das, obwohl ein Großteil der Schülerinnen und Schüler einen Migrationshintergrund hat. Das Ergebnis habe das Kollegium betroffen gemacht und verwundert, sagt ein Lehrer der Schule. Vielleicht, überlegte der Lehrer, sei bei dem Wahlprozess etwas schiefgelaufen. Manche Schüler sagten auf Nachfrage, sie hätten die AfD nur aus Spaß gewählt. Alles nur ein Scherz?
Arno: Mein Kickboxen-Trainer ist Syrer und in der Halle trainieren auch Menschen, die Syrisch und Arabisch sprechen. Ich trainiere mit einigen Freunden, einer sagte mal: Mich nervt, dass hier so viel Arabisch gesprochen wird – die sollen Deutsch sprechen. Ich sah das nie als Problem, aber ihn hat das total gestört. Er deutete sogar Gewaltbereitschaft an. Dann schickte er mit auf Instagram einen Post über „Linksextreme“ und „Rechtsextreme“, wobei der Rechtsextreme als durchtrainierter Typ dargestellt wurde. Ich meinte zu ihm: Das ist doch voll lost. Du weißt doch, dass rechtsextrem in Richtung Faschismus geht. Ich versuchte, weiter mit ihm zu diskutieren. Aber er redete sich total in Rage, voller Emotionen. Da dringe ich mit Fakten nicht mehr durch.
Finn: Als wir auf Stufenfahrt feiern waren, hat der Alkohol bei manchen die Zunge gelockert. Da meinte einer: Höcke ist ja gar kein Faschist, der wird von den Medien nur so dargestellt. Am liebsten würde ich dann so viele Dinge sagen, manchmal mache ich das auch. Aber man redet mit Menschen, die total emotional argumentieren. Ich habe fast schon Angst, in die Diskussion zu gehen, weil sie von einem gepflegten Gespräch übergehen könnte in einen Konflikt. Und ich habe keine Lust herauszufinden, ob dieser Konflikt auch mit Gewalt verbunden ist.
Studie: Ängste bei Erstwählern haben enorm zugenommen
Die Wissenschaft kommt zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie die drei Schüler. Laut der Jugendwahlstudie des Instituts für Generationenforschung sind vor allem zwei Gründe für den Erfolg der AfD bei jungen Menschen verantwortlich: Angst vor der Zukunft und soziale Medien. Die Ursachen für die Zukunftsangst liegen, wie die Studie zeigt, weniger in den politischen Krisen der Gegenwart. „Es ist vielmehr das negative Bild der älteren Generationen, mit denen die Jugend permanent konfrontiert wird“, sagt Studienleiter Rüdiger Maas. Heißt: Weil permanent darüber gesprochen wird, wie alles schlechter wird, haben junge Menschen mehr Sorgen.
Knapp 72 Prozent der Befragten gaben zudem an, dass sie soziale Medien „sehr wichtig“ finden. Die AfD ist gerade auf Plattformen wie Tiktok mit Abstand am erfolgreichsten. Andere Parteien, so Maas, nehmen die sozialen Medien noch immer nicht ernst genug – auch wenn Die Linke durch ihre Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek bei jungen Menschen aufgeholt habe.
Finn: Die AfD und der ganze Rechtspopulismus waren der Grund, warum ich Tiktok gelöscht habe. Ich muss irgendwann Memes gegen Alice Weidel geliked haben, unter denen die Hashtags „Weidel“ und „AfD“ gestanden haben. Denn mein Algorithmus dachte sich: Der findet die super, dem schicke ich ganz viel richtig rechten Inhalt. Dann hatte ich plötzlich Videos mit Hakenkreuzen in meiner Timeline und Maximilian Krah, der mir erzählte: Du bist doch ein Deutscher, kein schwules Einhorn. Das war echt nicht mehr auszuhalten.
Arno: In den Kommentarspalten auf Instagram sehe ich immer mehr blaue Herzen und Deutschlandflaggen. Gerade, wenn es um Ausländer geht. Sogar unter Posts der Tagesschau.
Milla: Die AfD hat mit Abstand die größte Reichweite auf Social Media. Ich glaube, dadurch haben sie viele junge Wählerinnen und Wähler gewonnen. Die anderen Parteien haben erst viel später mit TikTok angefangen und ganz ehrlich, sie machen es nicht sonderlich erfolgreich.
Die einen rücken nach links, die anderen nach rechts
Insgesamt attestieren Maas und sein Forscherteam der jungen Generation eine stärkere Passivität als den Generationen vor ihnen. „Neo-Konventionalismus“ nennt Maas das. Statt gegen die Eltern und ihre Wertevorstellungen zu rebellieren, übernehmen sie eher deren Werte und Narrative. „Das hat viel mit der Überbehütung durch die Eltern zu tun. Dadurch sinkt das Gefühl, die eigene Umwelt gestalten zu können.“ Gleichzeitig steige die Erwartungshaltung an den Staat. Wo Erwartungen nicht erfüllt werden, wächst die Angst. „Und: Je stärker die Ängste ausgeprägt sind, desto stärker tendieren junge Menschen zu den politischen Rändern.“
Dabei zeige sich ein deutlicher Unterschied zwischen den Geschlechtern. Während junge Frauen eher links wählen, wählen junge Männer eher rechts. „Rechte haben vor Angst vor den Folgen der Migration, Linke haben dagegen Angst vor Rechtsradikalismus“, sagt Maas. Die Jugend scheint sich zu spalten: Während ein Teil nach rechts rückt, rückt der andere Teil weiter nach links. So spiegelte es sich auch im Ergebnis der U18-Wahl wider. Die Chefin der Linken, Ines Schwerdtner, schrieb zu den Wahlergebnissen am Dienstag auf X eine Liedzeile aus den 1960er Jahren: „The Kids Are Alright“. Auf Deutsch: Die jungen Leute sind in Ordnung. Und zumindest in Teilen wieder links.