Köln – Mit dem gefühlten Ende der Pandemie nimmt auch das Risiko von Mädchen mit Migrationshintergrund, in ihrer Heimat Opfer einer Zwangsheirat zu werden, wieder zu. „Es ist zu befürchten, dass mit der Wiederaufnahme der Reisetätigkeit auch die Gefahr von Zwangsverheiratungen ansteigt“, sagte die nordrhein-westfälische Frauenministerin Ina Scharrenbach am Dienstag vor Journalisten in Düsseldorf. Vor Beginn der Schulferien startet die Landesregierung daher jetzt eine Aufklärungskampagne an Schulen, in den sozialen Medien sowie in öffentlichen Verkehrsmitteln.
„Viele junge Frauen und Männer freuen sich in diesen Tagen auf Sommer und Sonne“, sagte Scharrenbach. „Der Urlaub endet für einige aber in einer Albtraumhochzeit mit unabsehbaren Folgen. Die eigene Lebensplanung wird zunichtegemacht. Vor allem jungen Frauen wird häufig die Rückkehr nach Deutschland in ihre Schule, den Beruf oder das Studium verwehrt. Wir wollen deshalb aufklären und Hilfe bieten“, sagte die CDU-Politikerin.
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Zwangsheiraten kämen vor allem in Familien aus Syrien, der Türkei und dem Irak vor, hieß es. Im vergangenen Jahr waren laut Polizei 27 Opfer in NRW von Zwangsheirat betroffen, in 22 Fällen war das Opfer unter 21 Jahre alt. „Es muss davon ausgegangen werden, dass das Dunkelfeld um ein Vielfaches höher liegt“, sagte Scharrenbach. Hier würden die Beratungsstellen unverzichtbare Arbeit leisten. „Für die Betroffenen würde eine Anzeige bei der Polizei den endgültigen Bruch mit der eigenen Familie bedeuten, deshalb schrecken die meisten vor diesem Schritt zurück. Vor allem junge Menschen gehören zu den Opfern. Deshalb wollen wir gerade sie auf dem Weg zur und in den Schulen erreichen.“
Eltern drohen fünf Jahre Haft
Zwangsheirat ist eine Menschenrechtsverletzung und wird in Deutschland mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft. Sylvia Krenzel, Leiterin der Fachberatungsstelle gegen Zwangsheirat in Bielefeld, erklärte, oft werde Zwangsheirat als Mittel des Disziplinierung eingesetzt: „Zum Beispiel, wenn ein Mädchen einen Freund hat und damit angeblich die Ehre der Familie beschmutzt. Dann wird in den Ferien die Hochzeit mit einem entfernten Verwandten organisiert. Wir bieten den Betroffenen die Chance, aus solchen Familien zu fliehen. Die Mädchen werden in Schutzeinrichtungen untergebracht und erhalten teilweise auch eine neue Identität.“
Junge Männer würden mitunter zwangsverheiratet, um ihre Homosexualität zu verschleiern, sagte Krenzel. Für viele Opfer sei das eigene Handy die einzige Möglichkeit, um sich unbeobachtet informieren und mit Dritten Kontakt aufnehmen zu können.
1000 Opfer suchten Hilfe
In den Beratungsstellen, die Zwangsheiraten bekämpfen, wurden zwischen 2017 bis 2020 insgesamt 1000 Fälle betreut. In Köln kümmert sich der Verein „agisra“ um die Betroffenen. Die NRW-Kampagne gegen die Zwangsehe wird in insgesamt 23 Städten gestartet. Dort sind rund 1700 Plakate in Bussen und Bahnen und ein Kampagnenspot im Fahrgast-TV zu sehen. Das Informationsmaterial zum Thema ist in Englisch, Französisch, Türkisch, Arabisch und Kurdisch erhältlich.