Nach gewalttätigen Angriffen bei Veranstaltungen im Rahmen des Christopher Street Days (CSD) in Bremen und Dresden und insbesondere dem Tod des Trans-Mannes Malte C. nach einem Angriff beim CSD in Münster, fordert der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) mehr Anteilnahme von nicht-queeren Personen. „Wo sind eure Demos?“, fragte Vorstandsmitglied Alfonso Pantisano im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Es reiche nicht, mal einen CSD zu besuchen, man müsse jetzt auf die Straße gehen – auch ohne dass Verbände aus der Community es organisieren. „Wir fühlen uns alleingelassen.“
Pantisano wirkt angesichts der Angriffe fassungslos und wütend, aber auch müde. „Wenn Heterosexuelle Hand in Hand gehen, denken sie zuerst an die Liebe. Wenn wir Homosexuelle Hand in Hand gehen, denke wir zuerst an die Angst.“ Jedes homosexuelle Pärchen würde schon aus reinem Instinkt die Hand loslassen, wenn es abbiegt. Erst schauen, ob die Straße sicher ist, bevor es wieder Händchen hält. Trans-Frauen würden von der Frauen-Toilette geschmissen und müssten sich zugleich auf der Männer-Toilette vor Gewalt fürchten.
Man wolle nur sein Leben leben, so Pantisano: Aber es gebe sie eben, die Menschen, die sich offenbar von der bloßen Existenz von LSBTI-Personen bedroht fühlten – und zuschlagen. LSBTI steht für lesbisch, schwul, bi, trans und intergeschlechtlich.
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Verstärkt würden queerfeindliche Einstellungen durch soziale Medien. In Deutschland gebe es zwar kein Forum wie die kürzlich vom Netz genommene transfeindliche Hetzseite Kiwifarms. „Aber schreiben sie doch mal auf Twitter etwas wie: „Trans-Frauen sind Frauen“. Ich wette, Sie werden in einer halben Stunde aufgefressen“, meint Pantisano.
Queerfeindliche Personen würden sich in Chats zusammentrommeln und dann gesammelt auf Menschen losgehen, die queer sind oder sich als Ally outen, also eine Person, die queere Menschen unterstützt. Auch journalistische Medien nimmt Pantisano in die Verantwortung. Man würde mehr über als mit queeren Personen sprechen. „Redet mit uns, streitet mit uns“, fordert er.
870 Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung
Laut Polizeilicher Kriminalstatistik hat die LSBTI-feindliche Gewalt extrem zugenommen. 2021 wurden 870 Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung registriert, das sind 50 Prozent mehr als 2020. Und auch die Zahl der Straftaten im Themenfeld „Geschlecht oder sexuelle Identität“, wobei etwa Angriffe auf Trans-Personen gezählt werden, ist stark gestiegen: um 60 Prozent auf 340 Delikte. Das Bundesinnenministerium verweist darauf, dass es dabei wahrscheinlich eine sehr hohe Dunkelziffer gibt. Verbände wie der LSVD und auch die Polizei gehen von bis zu 90 Prozent Dunkelziffer aus.
Ob die Zahlen der Gewaltdelikte tatsächlich steigen oder einfach mehr gemeldet und erfasst wird, ist nicht belegbar. „Unabhängig davon: Die Gewalt ist da“, sagt Pantisano. Gerade gegenüber Trans-Personen. „Es wird höchste Zeit, dass die Bundesregierung das Selbstbestimmungsgesetz rausgibt.“ Eckpunkte des Gesetzes wurden im Sommer vorgestellt. Pantisano hofft, dass sich die Lage dann etwas beruhigt, ganz davon abgesehen, dass sich die Situation allgemein für Trans-Personen enorm verbessern würde.
Pantisano kritisiert, dass es immer noch keine Ergebnisse aus dem Expertengremium gibt, das die Innenministerkonferenz Ende vergangenen Jahres gefordert hatte. Er frage sich, warum dieses Thema keine Priorität bei Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sei. „Es ist eine Katastrophe, dass wir ein Jahr gebraucht haben.“ Und auch der Aktionsplan der Bundesregierung für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt müsse jetzt schnell beschlossen und umgesetzt werden.
Großes Dunkelfeld bei queerfeindlicher Gewalt
Das Innenministerium hatte kürzlich bekannt gegeben, dass am 20. September die Auftaktveranstaltung des Arbeitsgremiums „Bekämpfung homophober und transfeindlicher Gewalt“ stattfinden solle. Das Gremium soll über Handlungsempfehlungen beraten, wie etwa das Hellfeld der queerfeindlichen Taten und auch die Prävention und Sensibilität vergrößert werden können. Faeser beteuerte in Zusammenhang mit der Gewalttat in Münster ihre Betroffenheit, es mache sie „fassungslos und traurig“.
Das Ausmaß queerfeindlicher Gewalt müsse sichtbar werden, da man aber immer noch von einem großen Dunkelfeld ausgehe, müsse das Bewusstsein in der Gesellschaft geschärft werden. „Es ist sehr wichtig, bei diesen menschenfeindlichen Taten genau hinzuschauen, diese klar zu erkennen, zu benennen und konsequent bei der Polizei anzuzeigen.“
Sven Lehmann fordert Konsequenzen
Der Queerbeauftrage der Bundesregierung Sven Lehmann (Grüne) fordert Konsequenzen, der Angriff in Münster dürfe nicht zu Hilflosigkeit führen. „Es muss die gesamte Gesellschaft und Politik auf allen Ebenen aufrütteln, LSBTIQ stärker gegen Anfeindungen zu schützen. Ich freue mich, dass Innenministerin Faeser nun das Gremium gegen anti-queere Gewalt auf den Weg bringt. Gleichzeitig arbeiten wir am ersten Aktionsplan der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt und gegen Queerfeindlichkeit, den wir noch in diesem Jahr beschließen wollen“, so Lehmann. Ein Entwurf befinde sich in der Ressortabstimmung und Verbändebeteiligung.