Nicht nur Köln kommt an seine Grenzen bei der Unterbringung Geflüchteter aus der Ukraine.
Nach der Flüchtlingskrise 2015 gab es in NRW mehr als 80.000 Plätze in Landeseinrichtungen - jetzt fehlen Kapazitäten.
Jetzt hat das Land „Puffereinrichtungen“ für 9000 Menschen eingerichtet.
Düsseldorf/Köln – Die Flucht von Svetlana endet vorläufig um 13.16 Uhr auf Gleis 1 am Kölner Hauptbahnhof. Sie ist von Paris gekommen, aber in Frankreich wurde sie nicht aufgenommen, berichtet die 46-Järhige wenig später der Dolmetscherin im Kölner Ankunftszentrum. Kathrin, eine freiwillige Helferin, versorgt die Frau aus der Ukraine mit Käsebroten und einem Durstlöscher.
Vor einer Woche hat sich Svetlana in der Stadt Nikolajew in der Südukraine auf den Weg gemacht. Sie hat nur einen kleinen Rucksack dabei - und ihre Katze, die in einer Transportkiste miaut. „Ich habe keine Ahnung, wie es jetzt weitergeht“, sagt Svetlana. „Ich bin nur froh, in Sicherheit zu sein.“
Wie in Köln kommen in vielen Städten von NRW derzeit täglich Hunderte neue Geflüchtete aus der Ukraine an. Die meisten haben nur wenig Gepäck bei sich. Die Menschen sind müde, die Gesichter sind gezeichnet von den Strapazen der Reise. Die meisten sprechen weder deutsch noch englisch. Sie haben ukrainisches Geld bei sich, das sie aber in Deutschland nicht wechseln können. Wer keine Angehörigen hat, muss sein Schicksal in die Hand der deutschen Behörden legen.
Nach der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 hat es in NRW zu Spitzenzeiten mehr als 80.000 Plätze in Landeseinrichtungen gegeben. Von dieser Aufnahmekapazität ist das Land aber derzeit weit entfernt. Die Hauptlast bei der Flüchtlingsunterbringung tragen die Städte und Gemeinden. In Köln wurde die Messehalle 3.1 zu einem Wohnbereich für 1100 Menschen umgewandelt. Ein Provisorium, das zeigt, wie groß die Not ist. „Wir können sie bald nicht mehr alle aufnehmen“, warnt Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Sie mahnte beim Land eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge auf die Kommunen an. „Die Zeit drängt“, warnte Reker.
„Arbeiten kontinuierlich am Ausbau der Kapazitäten“
Die Kritik scheint jetzt bei der schwarz-gelbe Landesregierung angekommen zu sein. Das von dem FDP-Politiker Joachim Stamp geführte NRW-Flüchtlingsministerium teilte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ auf Anfrage mit, das Land werde die Kommunen, die keine Geflüchteten mehr aufnehmen könnten, künftig stärker unterstützen. Dazu seien in Soest, Herford, Neuss, Viersen, Weeze, Bonn, Wegberg, Dorsten und Ibbenbüren bereits existierende Landeseinrichtungen freigezogen worden. Darüber hinaus seien sechs „Puffereinrichtungen“ für 9000 Menschen ans Netz gegangen, teilte das Flüchtlingsministerium mit: „Wir arbeiten kontinuierlich an dem Ausbau der Kapazitäten.“
Ob diese Maßnahmen wirken, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Das Chaos, dass vielerorts bei der Flüchtlingsunterbringung entstanden ist, sei jedenfalls hausgemacht, kritisiert der Städte- und Gemeindebund NRW. „Die Strukturen sind viel zu spät ans Laufen gekommen“, sagt Andreas Wohland, Beigeordneter für Recht und Verfassung bei dem kommunalen Spitzenverband, unserer Zeitung. „Wir sind mindestens zwei Wochen hinter der Lage“, bilanziert der Jurist.
„Massive Ungleichverteilung"
Erst in dieser Woche habe die zuständige Bezirksregierung Arnsberg mit der gleichmäßigen Verteilung der Geflüchteten auf die Kommunen begonnen. Deswegen sei es vorher „zu einer massiven Ungleichverteilung“ im Land gekommen. „In etlichen Städten sind die Einrichtungen überlastet. Aber in anderen Kommunen, in denen zum Teil Unterkünfte verfügbar wären, ist so gut wie niemand angekommen“, erklärt Wohland.
Anders als 2015 reisen die Geflüchteten diesmal mit einem Besuchervisum ein und können frei über ihren Aufenthaltsort entscheiden. Das Land kümmert sich bislang vor allem um die Unterbringung von Flüchtlingen, die von Sammelstellen in Berlin und Hannover in Zügen nach NRW gebracht werden. Die Zuweisung erfolgt durch den Bund nach dem „Königsteiner Schlüssel“, der besagt, dass NRW rund 25 Prozent aller ankommenden Geflüchteten aufnehmen muss.
Zentraler Registrierung in Landesregierung fehlt die Rechtsgrundlage
Das Problem: In den Städten kommen zugleich in großer Zahl Geflüchtete an, die nicht durch den Bund gezielt nach NRW „gesteuert“ wurden. „Diese werden in den Kommunen dann oft dezentral untergebracht. Das führt dazu, dass sich der Organisationsaufwand für Arztbesuche oder Behördengänge vervielfacht“, sagt Experte Wohland. Der Städte- und Gemeindebund schlägt vor, dass alle Geflüchteten zunächst in Landeseinrichtungen registriert und versorgt werden. Dafür fehlen aber die rechtlichen Rahmenbedingungen.
Das Gezerre um die Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunen bremst in vielen Fällen einen angemessenen Umgang mit den Menschen, die Zuflucht suchen, aus. Auch die Beschaffungslogistik stellt die Behörden vor Probleme. „Der Markt für Wohncontainer ist leergefegt, für sofort verfügbare Einheiten werden Mondpreise aufgerufen. Vor ein paar Wochen konnte man einen Sanitär-Container noch für 7000 Euro im Monat anmieten, heute sind dafür 30.000 Euro fällig“, sagt Andreas Wohland. Das Land habe es versäumt, eine bestimmte Anzahl von Feldbetten, Containern und Leichtbauhallen für Notfälle auf Lager zu legen.
Der Städte- und Gemeindebund geht davon aus, dass die geplanten zusätzlichen Kapazitäten „bei weitem nicht ausreichen“ werden. „Ich befürchte, dass wir auch wieder vermehrt Turnhallen belegen und Zeltstädte errichten müssen“, erklärt Wohland. Außerdem müssten die Ausländerbehörden technisch besser ausgestattet werden: „Wenn es in einer Großstadt wie Köln nur ein Registrierungsgerät gibt, zeigt das, wie groß der Aufholbedarf ist.“
In ihrer Not wenden sich viele Neuankömmlinge auch an den Kölner Flüchtlingsrat. „Bei uns ist der Teufel los“, sagt Geschäftsführer Claus-Ulrich Prölß. Das liege auch daran, dass die organisatorischen Abläufe lange ungeklärt gewesen seien beziehungsweise nicht funktioniert hätten. Aus dem Chaos bilde sich jetzt erst langsam eine Struktur heraus.
„Es war ein Fehler, Unterbringungsressourcen und Hilfsstrukturen seit 2016 abzubauen. Jetzt gibt es wieder große Reibungsverluste, weil viele Kommunen wieder bei Null anfangen müssen. Die Container, die damals bereitstanden, sind zum Teil verkauft oder verschrottet werden“, so Prölß.