In dem kurz vor seinem Tod geschriebenen Artikel geht es Alexej Nawalny um die umstrittene Präsidentschaftswahl. Den Russen gibt er einen Tipp.
Aufruf kurz vor Tod geschrieben„Wahlfarce“ in Russland gestartet – Nawalnys letzte Botschaft veröffentlicht
In Russland hat eine umstrittene Präsidentenwahl begonnen, die den Machterhalt von Kremlchef Wladimir Putin sicherstellen soll. Die Wahllokale im flächenmäßig größten Land der Erde öffneten zuerst im äußersten Osten, etwa auf der fernöstlichen Halbinsel Kamtschatka. Der 71 Jahre alte Putin strebt weitere sechs Jahre im Amt an.
Präsidentenwahlen in Russland haben begonnen – Wladimir Putin hat keine Konkurrenz
Der Urnengang wird nicht nur von dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, dem Vordringen von Anti-Putin-Milizen auf russische Grenzgebiete und massiven Manipulationsvorwürfen überschattet, auch ein Schreiben des bedeutendsten Putin-Kritikers der letzten Jahre sorgt für Unmut im Kreml.
Das Team des Mitte Februar unter bis heute ungeklärten Umständen in Haft gestorbenen russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny hat kurz vor Beginn der Wahl einen Artikel veröffentlicht, den Nawalny kurz vor seinem Tod verfasst haben soll. In dem Text, dessen Veröffentlichung der Kreml-Kritiker für kurz vor Wahlbeginn geplant haben soll, spricht Nawalny über die Präsidentschaftswahl in Russland.
Alexej Nalwalny zur Wahl: Mitstreiter veröffentlichen letzte Botschaft des Kreml-Kritikers
Nawalny fordert in dem Artikel seine Anhänger auf, die App „Foton-2024“ herunterzuladen und am Sonntag um 12 Uhr in die Wahllokale zu gehen. Er ermuntert die Russen, ihre Stimme einem beliebigen Kandidaten außer Wladimir Putin zu geben. Die App diene als Zufallsgenerator, um bei der Wahlentscheidung zu helfen. Wähler könnten die Stimmzettel durch ein Häkchen für mehrere Kandidaten gleichzeitig außerdem ungültig machen, rät Nawalny.
„Je nach Ihrem Weltbild können Sie davon ausgehen, dass der Gott, die Natur, das Chaos, der Kosmos, der Zufall oder die Walross-Mutter die Entscheidung für Sie getroffen hat“, schreibt Nawalny über die App. Mit dem Walross spielt Nawalny auf das von Schamanen der fernöstlichen Tschuktschen-Halbinsel verehrte Tier an. Die App solle „uns von der sinnlosen Diskussion darüber, wen wir wählen sollen, abbringen. Sie werden beweisen, wie viele es in Russland gibt, die Putin nicht für eine fünfte Amtszeit wollen“, so Nawalny.
Alexej Nawalny gibt Russen Tipps für die Wahlen
Alexej Nawalny erklärt in seinem Schreiben in gewohnt ironischem Unterton, warum die Abstimmung, die bis Sonntagabend dauert, so umstritten ist. Putins drei Mitbewerber gelten nicht nur als chancenlos, sie sind auch alle auf Kremllinie und unterstützen den Amtsinhaber bisweilen direkt. Bewerber, die sich gegen Putins Angriffskrieg aussprachen, wurden gar nicht erst als Kandidaten zugelassen.
So wurde Boris Nadeschdin, ein Kriegsgegner, aufgrund einer angeblich zu hohen Fehlerquote in den benötigten Unterschriftenlisten von der Teilnahme ausgeschlossen. Die Opposition spricht von einer „Wahlfarce“, die nichts mit einer Abstimmung nach demokratischen Regeln gemein habe.
Wahlen in Russland in der Kritik – Putin regiert bei Sieg bis 2030
Für Kritik sorgt auch, dass die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zu den aktuellen Wahlen nicht als Wahlbeobachter eingeladen wurde. Schon vor der Abstimmung sind Vorwürfe der organisierten Wahlfälschung aufgekommen. Unabhängige Beobachter berichten, dass Staatsangestellte und Angestellte großer Unternehmen in großer Zahl zur Stimmabgabe gedrängt werden, um die Wahlbeteiligung zu steigern. Darüber hinaus hat der Kreml in den besetzten Gebieten der Ukraine illegale Scheinabstimmungen angesetzt.
Führende westliche Außenpolitiker hatten sich bereits vor Wahlbeginn am Freitag gegen eine Anerkennung der Präsidentenwahl in den besetzten Gebieten ausgesprochen. „Die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Russland werden weder frei noch fair sein und durch ein umfassendes Vorgehen gegen die Opposition und die unabhängigen Medien beeinträchtigt werden“, heißt es in einer Stellungnahme von Vorsitzenden der Auswärtigen Ausschüsse aus mehr als 20 Staaten. Das Ergebnis werde „nicht den geringsten Anschein von demokratischer Gültigkeit“ haben.
Putin hatte 2020 eigens die Verfassung ändern lassen, um wieder als Kandidat antreten zu können. Nach derzeit gültiger Verfassung darf er auch 2030 wieder kandidieren, dann aber zum letzten Mal, und könnte theoretisch bis 2036 im Amt bleiben. Ein Wahlsieg am Sonntag würde es Putin ermöglichen, bis 2030 zu regieren – länger als jeder russische Staatenlenker seit Katharina der Großen im 18. Jahrhundert.