GastbeitragPolitologin analysiert Woelkis Eingeständnis und Entschuldigung
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Köln – Die Politologin Tine Stein analysiert das Eingeständnis von Fehlern durch Kardinal Woelki und seine Bitten um Verzeihung. Sie ist ist Inhaberin des Lehrstuhls für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Georg-August-Universität Göttingen.Die EntschuldigungenWas die von sexueller Gewalt Betroffenen und Sie in den letzten Tagen und Wochen vor Weihnachten im Zusammenhang mit dem Umgang des Gutachtens zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in unserem Erzbistum, was Sie an der Kritik darüber und insbesondere auch an der Kritik an meiner Person ertragen mussten. Für all das bitte ich Sie um Verzeihung. (Kardinal Rainer Woelki in der Christmette am 24. Dezember 2020)
Wie kann ein Bischof dafür um Verzeihung bitten, dass das Kirchenvolk Kritik an seiner Person ertragen musste? Dies legt den Eindruck nahe, dass sich hier ein absolutistischer Kirchenfürst dafür entschuldigt, dass überhaupt Kritik an der Kirche, in Sonderheit am Bischof geäußert wurde. Kardinal Woelkis Entschuldigung ist mindestens missglückt, da die begrifflichen Grundelemente fehlen: Anerkennung eigener Schuld und tätige Reue gegenüber den tatsächlich Geschädigten.
Ein Fehler war, dass wir immer wieder den Zusagen der Münchner Kanzlei vertraut haben, eine rechtssichere Aufarbeitung vorzulegen. (…) Fehler haben wir sicher auch im Gespräch mit den Betroffenen gemacht, als klarwurde, dass das Münchner Gutachten nicht veröffentlicht werden konnte. Diese Entscheidung hätten wir als Erzbistum allein vertreten müssen, anstatt dem Angebot von Betroffenenvertretern nachzukommen, mit dafür einzustehen. Sie hatten das angeboten, aber wir hätten das nicht annehmen dürfen. (Interview mit der „Kölnischen Rundschau“ am 4. Februar 2021)Auch diese Entschuldigung ist trotz der Einräumung von Fehlern misslungen. Mit dieser Suche nach Ursachen eigener Fehler ist es wie bei den ersten Menschen im Gespräch mit Gott nach dem Sündenfall: Schuld sind letztlich die anderen. Hier sind es nicht Eva und die Schlange, sondern die Münchner Kanzlei und die Betroffenen.
An dieser Stelle möchte ich für mich persönlich auch sagen, dass ich während meines ganzen Lebens – in den unterschiedlichsten Zusammenhängen – immer wieder auch Fehler gemacht habe, auch in den Jahren als Erzbischof von Köln. Mal leichter. Mal schwerer. Fehler habe ich sicher auch im Rahmen der Aufarbeitung der Missbrauchsvergehen sowie der damit verbundenen Krisenkommunikation gemacht. Da habe ich auch Schuld auf mich geladen. Das tut mir von Herzen leid. (Fastenhirtenbrief 20. Februar 2021)
Auch wenn Karneval dieses Jahr nahezu ausgefallen ist: Wer im Rheinland fühlt sich bei der hier angestimmten Fehler-Litanei nicht erinnert an Willy Millowitsch: „Wir sind alle kleine Sünderlein / ’s war immer so. / Der Herrgott wird es uns bestimmt verzeihn“? Wieder werden Fehler nicht konkret angesprochen. Das Schuldbekenntnis wirkt durch diese Generalisierung hohl.
Die Analyse
Das Schuldgebaren des Kardinals insgesamt ist unglaubwürdig, weil das Element tätiger Reue nicht erkennbar ist. Tätige Reue zeigt sich in den Konsequenzen, also darin, dass ein erkannter Fehler nach Möglichkeit wiedergutgemacht werden soll und der Reuige glaubhaft versichert, er werde sich nach Kräften bemühen, den Fehler nicht zu wiederholen. Die Glaubwürdigkeit erweist sich also in den nachfolgenden Handlungen.
Dies würde hier zunächst und vor allem bedeuten, dass den Opfern mit der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt endlich Genugtuung und Gerechtigkeit widerfährt; dass die Taten als Unrecht (und nicht bloß als Leid) angesprochen werden; dass angemessene Entschädigungen gezahlt und weitere Hilfe geboten werden; und dass man ihnen mit Respekt, Takt und Demut begegnet. Es würde darüber hinaus bedeuten, dass die kritische Begleitung durch eine unabhängige Presse nicht als kirchenfeindlicher Akt gedeutet wird, sondern als notwendige Unterstützung in einem schwierigen Prozess.
Glaubwürdigkeit verlangt schließlich auch, die Konsequenzen aus dem „katholischen Geschmack des Missbrauchs“ (Pater Klaus Mertes) zu ziehen, oder wie es die „MHG-Studie“ von 2018 zum Missbrauch in der katholischen Kirche bezeichnet hat: den systemischen Ursachen zu begegnen. Diese liegen im Wesentlichen zum einen in der Machtkonzentration beim Klerus und der Überhöhung des priesterlichen Dienstes. Zum anderen führt die Exklusivität des Zugangs zum Priesteramt für Männer zu einer fehlenden Diversität derer, die in der Kirche Macht ausüben – dies alles kann zu männerbündischen Verhaltensformen führen.
Angesichts heutiger institutioneller Standards von Pluralität und Kontrolle, von Rechtsbindung und Partizipation sind solche Strukturen nicht nur unplausibel, sondern stellen auch eine Gefahr für das Leib und Leben von Kindern, Jugendlichen und Frauen dar.
Jenseits dieser institutionellen Ursachen muss sich jeder, der in der Kirche Leitung ausübt, selbstkritisch fragen, ob er in seinem Tun und Unterlassen nicht nur rechtlichen Standards genügt, sondern auch ethischen Anforderungen entsprochen hat. Die moralischen und geistlichen Ansprüche, die mit dem Bischofsamt einhergehen, sind besonders hoch. Und auch wenn ein Bischof kein Politiker ist: Verantwortung gegenüber dem (Kirchen-)Volk – nicht nur gegenüber dem Papst – trägt auch er.
Das Angebot des Rücktritts ist bei erheblich gestörtem Vertrauen eine Form der Umkehr. Sonst läuft die Kirche als ganze Gefahr, dass gewissermaßen die Gläubigen zurücktreten, indem sie Ehrenämter niederlegen oder die verfasste Kirche ganz verlassen und der Botschaft des Evangeliums auf anderen Wegen folgen.