Simone Dohle ist Gesundheits- und Sozialpsychologin an der Universität Köln. Sie weiß, warum gute Vorsätze oft scheitern und was hilft. Ein Interview.
Das neue Jahr beginnt bei vielen mit guten Vorsätzen. Was steht bei Ihnen auf der Liste?
Simone Dohle: Ein Klassiker: Ich möchte wieder mehr Sport machen.
Warum fassen so viele Menschen um den Jahreswechsel herum neue Vorsätze?
Weil wir den Jahresanfang als Chance begreifen. Die Karten werden neu gemischt, man kann das Alte hinter sich lassen und neu starten. Und man hofft, dass einem der Jahreswechsel ausreichend Motivation und Energie gibt, die Vorsätze dann auch in die Tat umzusetzen.
Allerdings merken viele jedes Jahr aufs Neue, dass es mit den guten Vorsätzen maximal einen Monat geklappt hat. Warum scheitern die meisten damit, ihre Vorsätze langfristig einzuhalten?
Es gibt Forschungen, die sich mit genau dieser Frage auseinandersetzen. Man weiß daher, dass man ein Drittel seine Vorsätze schon Mitte Januar nicht mehr umsetzt, im Februar ist es die Hälfte. Im Juni erinnern sich die meisten schon gar nicht mehr daran, welche Vorsätze sie gemacht haben. Diese Zahlen sind vielleicht beruhigend. Man ist nicht allein. Und es ist ja auch schwer, neuen Gewohnheiten zu etablieren und alte hinter sich zu lassen.
Was hilft?
Viele gehen Gewohnheitsänderungen falsch an. Der typische Vorsatz ist sehr allgemein formuliert: Ich will mehr Sport machen. Ich möchte mich gesünder ernähren. Um erfolgreich zu sein, muss man viel spezifischer formulieren. Welchen Sport will ich machen? Wann passt das in meinen Terminplan? Mit wem möchte ich das machen? Wie oft? Je abstrakter der Vorsatz bleibt, desto schneller vergisst man ihn. Man sollte sich auch nicht zu viele Vorsätze vornehmen. Und man sollte realistisch bleiben, weil man sich sonst schnell überfordert. Es ist viel motivierender, wenn man seine Ziele schafft. Luft nach oben ist immer, gesetzte Ziele lassen sich steigern. Man braucht Erfolgserlebnisse, um dran zu bleiben.
Haben Sie noch einen konkreten Tipp?
Wenn-Dann-Pläne finde ich hilfreich bei der spezifischen Formulierung von Zielen. Also zum Beispiel: Wenn ich dienstags von der Arbeit nach Hause komme, dann ziehe ich sofort meine Jogging-Schuhe an und laufe los. Das schreibe ich mir auf einen Zettel, den ich aufhänge. Es fällt einem schwerer, sich zu drücken, wenn man es schwarz auf weiß sieht. Je öfter man es dann macht, desto mehr wird es ein Automatismus, eine neue Routine.
Ich habe mir einen alkoholfreien Januar auferlegt, angesichts anstehender Einladungen aber vier Ausnahmetage definiert. Ist das sinnvoll?
Absolut. Ausnahmen zu definieren kann oft besser sein als komplett zu verzichten. So ein Komplettverbot führt oft dazu, dass das Verlangen größer wird. Das gilt zumindest da, wo keine Sucht vorliegt, von der man sich lösen möchte. Gerade Ess- oder Trinkverhalten berührt den sozialen Bereich stark und man kann oft voraussehen, dass es bestimmte Situationen gibt, wo es einem wichtig sein kann, mit anzustoßen. Lieber Ausnahmen, dann aber vielleicht die Menge beschränken. Strikte Verbote schafft man maximal ein paar Wochen. Oder man beginnt, soziale Anlässe zu vermeiden, was auch nicht das Ziel sein kann.
Soziale Anlässe können aber sehr herausfordernd sein, weil sie oft mit Essen und Trinken verbunden sind. Was empfehlen Sie?
Man sollte planen, wie man mit schwierigen Situationen umgeht. Das Gesellige ist ein menschliches Grundbedürfnis und wird immer bleiben. Man muss sich konkret überlegen, wie man dieses gesellige Bedürfnis in Zukunft stillen kann, ohne dabei zu viel Alkohol zu trinken oder übermäßig viel zu essen, wenn man das nicht mehr will.
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Bei einigen steht auch der temporäre Verzicht auf Fleisch auf der Vorsatzliste. Warum fällt der Verzicht vielen schwer, obwohl etliche Gründe dagegen aufzuzählen wären? Sie haben dazu geforscht.
Essen ist immer in einen sozialen Kontext eingebettet und wenn ich mir jetzt vornehme, weniger Fleisch oder Fisch zu essen, ist es wahrscheinlich, dass ich in meinem Umfeld bestimmte Widerstände erlebe. Gerade in Familien kann das schwierig sein, wenn manche Familienmitglieder gerne viel Fleisch essen. Übrigens belegt die Forschung zwar, dass viele Menschen sich vorstellen können, Fleisch zu reduzieren. Aber wenn man sie dann fragt, ob sie sich das in den nächsten vier Wochen vorstellen können, sieht es schon wieder anders aus.
Seitdem die Plastiktüte in Supermärkten verboten ist, vergesse ich meinen Jutebeutel nicht mehr. Können Verbote hilfreich sein, um neue Routinen zu etablieren?
Das ist immer ein Spannungsfeld, weil sich viele nicht gerne etwas verbieten lassen. Aber Verbote können natürlich helfen, neue Normen zu etablieren. Gerade beim Rauchverbot hatte das nachweislich einen großen Effekt. In dem konkreten Fall ging es aber auch darum, andere zu schützen, und da reicht es nicht, nur an die Vernunft zu appellieren. Da muss man klare Regeln aufstellen.
Wie entwickeln Sie Ihre wissenschaftlichen Fragestellungen?
Ich will, dass meine Forschung einen Anwendungsbezug hat. Zum Beispiel heißt es ja oft: Selbstgemachtes schmeckt besser. Aber stimmt das überhaupt? Ich habe dazu eine Studie gemacht – und es stimmt tatsächlich. Verhaltensänderungen im gesundheitlichen Bereich haben einen großen Effekt. Viele Krankheiten in westlichen Industrienationen sind chronische Erkrankungen, die durch unseren Lebenswandel bedingt sind. Es wäre also viel gewonnen, wenn man Menschen überzeugen könnte, sich gesünder zu verhalten. Ich finde das Feld auch spannend, weil es so paradox ist: Eigentlich wäre es nicht so schwer, sich gesünder ernähren und mehr Sport zu machen. Das Verhalten an sich ist ja nicht kompliziert.
Es gibt mächtige Gegner: Zucker, Fett, Serien gucken.
Ja, das sind natürlich Kräfte, die auf einen wirken. Interessanterweise gehen aber viele davon aus, dass es vor allem Willenskraft braucht, um sein Verhalten zu verändern. Studiendaten zeigen aber, dass es gar nicht so sehr auf Willenskraft ankommt, gute Strategien helfen viel mehr. Also dass man seine Pläne konkret ausformuliert zum Beispiel. Und gerade bei Suchterkrankungen sollte man sich unbedingt professionelle Hilfe in Form von ärztlichem Rat suchen und nicht denken, dass man es schon irgendwie selbst schafft. Schließlich sind dafür gezielt Programme entwickelt worden.
Sie leben und forschen erst seit einigen Jahren in Köln. Gibt es Besonderheiten in unserem Verhalten oder sind wir gar nicht so besonders, wie wir gerne denken?
Die stärkere Ritualisierung der Rheinländer ist mir aufgefallen. Man hat die Karnevalszeit, wo man ausgelassen und maßlos ist, dann kommt mit der Fastenzeit das Gegenteil davon. Und das Gesellige ist im Rheinland ganz wichtig.
Simone Dohle ist Gesundheits- und Sozialpsychologin an der Universität Köln. Die 40-Jährige erforscht dort Selbstregulation und Verhaltensänderungen im gesundheitlichen Kontext.
Das Interview ist zuerst im Januar 2022 erschienen.