Köln – Mehr als 11.000 Lehrkräfte, Eltern sowie Schülerinnen und Schüler haben an der Umfrage „Schul-Check“ des „Kölner Stadt-Anzeiger“ teilgenommen. Die Erhebung bietet einen umfassenden Einblick in den Fortschritt des Bildungssystems in der Region. So erhalten die Schulen im Durchschnitt lediglich die Note 4+ für den Stand der Digitalisierung. Am schlechtesten schneiden Hauptschulen ab, Berufsschulen und Gymnasien stehen deutlich besser da. Die Umfrage löst vielfältige Reaktionen in Politik, Wirtschaft und in den Verbänden aus.
Sigrid Beer, bildungspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen im NRW-Landtag, kommentiert: „Der Schul-Check des Kölner Stadt-Anzeiger zeigt, dass sich die Ungleichheit im Bildungssystem auch in der digitalen Ausstattung spiegelt. Förderprogramme wurden landesseits so spät auf den Weg gebracht, dass längst nicht alle Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte die Geräte jetzt zur Verfügung haben.“
Hintergrund
Sicher ist Ihnen aufgefallen, dass wir unsere Artikel zum Thema Schule zumeist mit Symbolfotos bebildern. Der Grund dafür sind die streng geschützten Persönlichkeitsrechte von Kindern. Unsere Fotografen dürfen Schüler und Schülerinnen nicht ohne weiteres fotografieren, dafür bedarf es der eindeutigen Zustimmung der Eltern.
Auch Lehrern und Lehrerinnen steht nach dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zu, selber darüber zu entscheiden, welche Informationen über ihre Person an die Öffentlichkeit gelangen. Daher steht den Lehrkräften, die bei uns über ihre Situation an den Schulen berichten zu, das anonym zu tun.
Beer: Versäumnis des Schulministeriums
Ein weiteres Versäumnis des Schulministeriums wird laut Beer deutlich: Es habe seit dem Frühjahr 2020 keine systematische Fortbildung im Umgang mit dem Lernen in Distanz, trotz Pandemielage gegeben. Es reiche nicht, eine Handreichung ins Netz zu stellen. „Auch wenn wir in Sachen Corona irgendwann ‚über den Berg’ sind, bleibt die Aufgabe, wie die Digitalisierung inklusive Supportstrukturen für die Schulen nachhaltig vorangebracht wird“, so Beer.
Andreas Bartsch, Präsident des Lehrerverbands Nordrhein-Westfalen, sagt:„Gratulation zu dem Projekt. Alleine die große Zahl der Reaktionen zeigt die Bedeutung von Schule und Bildung in der Gesellschaft. Und insbesondere beim Thema Digitalisierung beziehungsweise Distanzunterricht. Wir haben bei der Digitalisierung kein Finanzierungsproblem, sondern ein Umsetzungsproblem.“
Solange die kommunalen Träger die zur Verfügung stehenden Mittel für die digitale Ausstattung nicht abriefen, so Bartsch, werde der Distanzunterricht nicht flächendeckend funktionieren. Das gelte auch für das Gebäudemanagment und die sächliche Ausstattung der Schulen. „Hier muss die Politik dringend über Neue Strukturen der Finanzierung nachdenken. Ihr Projekt ist informativ, professionell und ein wichtiger Beitrag“, so der Präsident des Lehrerverbands.
Jochen Ott, stellvertretender Fraktionschef der SPD im Landtag und bildungspolitischer Experte seiner Partei, ist der Auffassung, dass Digitalisierung mehr bedeute als die Schulen mit Endgeräten auszustatten. „Das merken wir nun umso deutlicher, da nun während der Pandemie und dem digitalen Distanzunterricht vielschichtige, weitere Probleme erkennbar werden. Diese sind nicht neu, zeigen aber, wie dringend unsere Schulen ein umfassendes Konzept und die verbindliche Unterstützung seitens der kommunalen Schulträger sowie insbesondere des Landes brauchen.
Ein Konzept für den digitalen (Distanz-) Unterricht beziehungsweise ein Medienkonzept nehme nicht nur die Hardware in den Blick, sondern auch und allem voran die Software wie Lernplattformen, Chat- und Konferenztools sowie die Lehrpläne, so Ott. „Momentan hängt es leider oft vom Zufall ab, wie der digitale Unterricht an einer Schule aussieht: Neben der Frage, ob die Ausstattung funktional und ausreichend vorhanden ist, ist guter Unterricht auch abhängig vom Engagement und den digitalen Qualifikationen der Lehrkräfte. Vor allem im Bereich der Fortbildungen haben wir akuten Nachholbedarf", sagte der Politiker.
Digitalisierung zentraler Bestandteil
Für Maike Finnern, Vorsitzende der Gewerkschaft Bildung und Wissenschaft in NRW, belegt der „Schul-Check“ des „Kölner Stadt-Anzeiger“ „ganz eindeutig“, dass für den beruflichen und sozialen Alltag digitale Bildung in der heutigen Gesellschaft ein zentraler Bestandteil sei. „Ohne Laptop oder Tablet geht es heute nicht. Doch es hapert oftmals an der Digitalisierung. Leider ist aber nach wie vor der Zugang dazu an den Schulen sehr ungleich verteilt. Die Gefahr einer digitalen Spaltung ist virulent und wird durch die aktuelle Pandemie verstärkt.“ Aus diesem Grund müsse der Umgang mit der digitalen Welt für alle gleichermaßen umgesetzt werden. Dafür seien noch mehr Investitionen dringend erforderlich.
„Der Digital-Pakt, der jetzt schleppend umgesetzt wird, kann dafür nur ein Anfang sein. Wir brauchen nicht nur digitale Endgeräte für alle Beschäftigten und Schüler*innen, sondern auch de entsprechende Infrastruktur an allen Schulen, Systemadministration, Fortbildungen und einen Diskurs über die Potenziale der Digitalisierung, aber auch ihre Grenzen. Für die Bildung gilt weiterhin das Primat der Pädagogik“, sagte Finnern.
„Die Digitalisierung muss auch nach der Corona-Krise ein absolutes Schwerpunktthema in den Schulen bleiben. Deutschland ist schlecht aufgestellt und hat Jahrzehnte verschlafen, wo andere Länder längst weiter sind“, sagte Axel Plünnecke, der beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln das Kompetenzfeld Bildung, Zuwanderung und Innovation leitet. Große Defizite, das zeige auch der „Schul-Check“, bestünden bei der Ausstattung der Schulgebäude, der Weiterbildung der Lehrkräfte und der Versorgung mit digitalen Endgeräten.
„Intelligent programmierte Software kann im Präsenzunterricht dabei helfen, dass auch Kinder aus bildungsfernen Haushalten nicht den Anschluss verlieren, sondern digitale Kompetenzen entwickeln, die am Arbeitsmarkt künftig stark gefragt sind“, sagte der IW-Experte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Nur wenn Schulen aller Schulformen zeitgemäß ausgestattet sind, können im Unterricht Medien-, Computer- und Informationskompetenzen aufgebaut und der Umgang mit technischen Geräten und Daten gelehrt werden. An den Schulen braucht es zudem professionelles Personal, das sich in Vollzeit um die technische Infrastruktur kümmern und sie auf dem neuesten Stand halten kann. Das können Lehrer nicht nebenbei leisten.“
„Digitalisierung prägt unser Leben“
Verena von Hugo von der Flossbach von Storch Stiftung, die Wirtschafts- und Finanzbildung fördert, sagte: „Die Digitalisierung prägt unser aller Leben maßgeblich. Insofern ist gut, dass auch in der Schule mehr und mehr digital gearbeitet wird. Es zeigt sich, wie stark Deutschland bei der Infrastruktur, guten Netzen und der technischen Ausstattung an Schulen hinterherhängt. Das schränkt die Möglichkeiten von gutem Distanzunterricht aktuell stark ein.“
Die Infrastruktur müsse schnell verbessert werden und es brauchte praktikable Lösungen, so von Hugo. „Die Pandemie zeigt, wie wichtig Bildung und wie systemrelevant Schule und Lehrerinnen und Lehrer sind. Alle wünschen sich bald wieder ein normales Schulleben zurück. Die Digitalisierung von Schule – insbesondere im Hinblick auf Organisation und Methodik – sollte aber unbedingt beibehalten und sogar weiter ausgebaut werden. Auch ökonomische Bildung, auf der unser Fokus liegt, lässt sich gut digital unterrichten und veranschaulichen."
An ihrer Schule läuft es gut – oder etwas gewaltig schief? Schreiben Sie uns!
Sie unterrichten an einer Schule und wollen, dass wir über Missstände oder ein besonders gut laufendes Projekt berichten? An der Schule ihres Kindes passiert seit einer Ewigkeit nichts in Sachen Fortschritt?
Für alle Fragen, Themenanregungen und Kritik rund um das Thema Schule jeglicher Schulform haben wir ein offenes Ohr! Schreiben Sie uns an schule@dumont.de und wir prüfen, ob und wie wir darüber berichten. Auf Wunsch selbstverständlich anonym.