Köln – Man muss es wohl so bezeichnen: Es sind Hilferufe. Briefe, in den meisten Fällen von Müttern geschrieben, die anonym bleiben wollen - im Internet lösen sie Wellen der Zustimmung aus: „Für mich ist es kaum noch machbar, alle Anforderungen zu erfüllen“, heißt es in einem dieser Appelle. „Das ist natürlich nicht allein die Schuld der Schule. Hinzu kommen die Anforderungen, die die Berufstätigkeit stellt. Und selbstverständlich die Situation selbst, die von mir in erster Linie doch verlangt, dass ich meine Kinder in Resilienz trainiere.“ Das schreibt eine Mutter, deren Kind ein Kölner Gymnasium besucht.
Was viele Eltern aktuell verzweifeln lässt, sind allerdings nicht die Zumutungen, mit denen die Corona-Krise ganz allgemein und schon seit gut einem Jahr den Alltag der Familien belastet. Konkret ist es derzeit der Beschluss vieler Schulen in Köln, aber auch sonst im Rheinland und im Ruhrgebiet, an den sogenannten Brauchtumstagen an Karneval keinen Unterricht zu erteilen. Karneval fällt im Corona-Jahr aus, aber auch die Schule? „Wieso jammern wir einerseits, dass so viel Unterricht ausfällt, und dann sind die Karnevalstage frei?“, fragt Regine Schwarzhoff, stellvertretende Vorsitzende des Elternvereins Nordrhein-Westfalen. „Völlig unverständlich“ findet sie das.
Hintergrund
Sicher ist Ihnen aufgefallen, dass wir unsere Artikel zum Thema Schule zumeist mit Symbolfotos bebildern. Der Grund dafür sind die streng geschützten Persönlichkeitsrechte von Kindern. Unsere Fotografen dürfen Schüler und Schülerinnen nicht ohne weiteres fotografieren, dafür bedarf es der eindeutigen Zustimmung der Eltern.
Auch Lehrern und Lehrerinnen steht nach dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zu, selber darüber zu entscheiden, welche Informationen über ihre Person an die Öffentlichkeit gelangen. Daher steht den Lehrkräften, die bei uns über ihre Situation an den Schulen berichten zu, das anonym zu tun.
Zuzana Blazek ist Mutter von drei Kindern, sie und ihr Ehemann sind beide erfolgreich berufstätig, die Familie lebt in der Kölner Südstadt – und steht trotz guter Rahmenbedingungen unter Druck. „Das Wort Wandern kann ich nicht mehr hören“, sagt Zuzana Blazek, „aber was soll man sonst machen?“ Sie empört es, dass Karneval unterrichtsfrei sein soll, sie beschäftigt es derart, dass sie per Mail einen Brief ans Schulministerium geschrieben hat: „Die Kinder brauchen JEDEN Tag den sie bekommen können, um a) im sozialen Gefüge ‚Schule, Normalität und Freunde‘ ihrer Psyche Halt zu geben und b) (und das ist ihr ministerialer ureigenster Auftrag!) die Bildung dieser Kinder zu gewährleisten!“
Das hat Frau Blazek dem Ministerium unter anderem geschrieben, und auch den Satz: „Abgesehen davon: Karneval findet nicht statt! Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden alle in die Pflicht genommen an diesen Tagen, arbeiten zu gehen! Und wieder sollen die Eltern Lösungen finden!“ Drei Ausrufezeichen. Das Ministerium hat reagiert
„Auf Grund des Runderlasses ‚Ordnung der Ferien und Termine für die Aushändigung der Halbjahreszeugnisse‘ vom 10. November 2014 stehen allen Schulen in Nordrhein-Westfalen im laufenden Schuljahr 2020/2021 vier bewegliche Ferientage zur Verfügung“, heißt es in einer Antwort des Referats 221 Schulgesetzgebung, Staatskirchenrecht, Rechtsangelegenheiten der sonderpädagogischen Förderung, Ferienordnung.
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Dann folgt der entscheidende Satz: „Die Schulkonferenz entscheidet über die Terminierung der beweglichen Ferientage im Einvernehmen mit dem Schulträger.“ Die Schulkonferenz ist das Gremium, in dem Eltern, Lehrer und Schüler gemeinsam Beschlüsse fassen wie den, wann die Brauchtumstage genommen werden. „Die Schulkonferenz entscheidet in der Regel vor Beginn eines Schuljahres über die Festlegung der beweglichen Ferientage“, heißt es auf Anfrage dieser Zeitung bei der Bezirksregierung Köln. „Aufgrund der jetzigen Situation kann es dazu kommen, dass einzelne Schulen Änderungen vornehmen, da Karneval in diesem Jahr nicht stattfindet.
Da eine Änderung der beweglichen Ferientage an einen Schulkonferenzbeschluss gebunden sind, sind Eltern über die Elternvertreter in diesem Gremium an der Entscheidung beteiligt.“ Auch Maike Finnern, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, verweist darauf, dass die Entscheidung in den meisten Schulen schon lange steht – die Tage seien „langfristig individuell geplant, in der Regel in Absprache mit den Kommunen als Schulträger und den anderen Schulen vor Ort.“
Erlass aus dem Jahr 2014
Dass sich das Schulministerium auf einen Erlass des Jahres 2014 beruft, will Zuzana Blazek partout nicht in den Kopf – schließlich herrsche gerade eine Pandemie: „Wir müssten jetzt mal mutig sein“, sagt sie, „und nicht Dienst nach Vorschrift machen.“ Die SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag hält an den unterrichtsfreien Tagen über Karneval fest, die in Köln an den meisten Schulen den Karnevalsfreitag, den Rosenmontag und den Karnevalsdienstag betreffen. In der Kürze der Zeit lasse sich das nicht ändern und wäre mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden. „Eine Woche vorher das Ding zu drehen, wird nur zu einer weiteren Verärgerung führen. Jetzt trifft man entweder die Eltern oder die Lehrer“, sagt Schulexperte Jochen Ott auf Anfrage. „Das hätte das Schulministerium zuvor mit den Gewerkschaften und den Lehrerverbänden klären müssen. Das ist leider nicht geschehen.“
Elternverein NRW: Falsches Signal
Regine Schwarzhoff vom Elternverein NRW wertet den Unterrichtsausfall an Karneval unterdessen nicht nur deshalb als „falsches Signal“, weil sich dadurch die Lücken im Schuljahr 2020/21 noch weiter vergrößern. Für sie spielen auch die Abstands- und Hygieneregeln eine Rolle, die sich in der Schule gut umsetzen ließen: „Indirekt heißt es doch jetzt: Feiert die Party zu Hause!“ In vielen Schulen sei es Praxis, nach einigen Stunden Unterrichts zu einem karnevalistischen Teil überzugehen, der sich in den Schulen besser coronakonform kontrollieren lasse.
Der Rosenmontag sei in den Karnevalshochburgen wie Köln immer schon frei gewesen: „ Das ist quasi ein Gewohnheitsrecht. In Westfalen interessiert das keinen Menschen“, sagt Ott. Insofern sei der Rosenmontag ein Sonderfall, weil der Unterrichtsausfall für diesen Tag nicht kompensiert werden muss. An vielen Schulen im Rheinland seien aber der Dienstag und auch der Freitag schon im Dezember an Samstagen vorgearbeitet worden, zum Beispiel durch die Vorbereitung des digitalen Unterrichts. Eine landesweite Übersicht dazu gebe es aber nicht. Die Schulministerin habe sich schon sehr früh festgelegt, dass die beweglichen Ferientage auch in Corona-Zeiten nicht zur Disposition stehen.
An ihrer Schule läuft es gut – oder etwas gewaltig schief? Schreiben Sie uns!
Sie unterrichten an einer Schule und wollen, dass wir über Missstände oder ein besonders gut laufendes Projekt berichten? An der Schule ihres Kindes passiert seit einer Ewigkeit nichts in Sachen Fortschritt?
Für alle Fragen, Themenanregungen und Kritik rund um das Thema Schule jeglicher Schulform haben wir ein offenes Ohr! Schreiben Sie uns an schule@dumont.de und wir prüfen, ob und wie wir darüber berichten. Auf Wunsch selbstverständlich anonym.
Im Übrigen müsse man die Lage an den Schulen im Lockdown sehr differenziert betrachten. „Es gibt Schulen mit vorbildlichem Digitalunterricht und andere, da holen die Kinder morgens die Lernpakete ab und bringen sie am Ende der Woche wieder zurück.“ Das sei ein Dilemma. Man dürfe die Lehrer, die ihren Job in der Corona-Krise sehr gut machen und neben dem Unterricht noch das digitale Lernen organisieren, durch ein kurzfristiges Streichen der freien Tage „nicht vor den Kopf stoßen“. Viele Eltern jedoch seien verärgert, „weil sie vielleicht selbst arbeiten müssen und Probleme haben, ihre Kinder an den Tagen zu betreuen.“
Vier Videochats pro Woche
Das entspricht wohl der Realität in diesem Corona-Schuljahr. In einer Mail einer Mutter zweier Grundschulkinder an die Bezirksregierung Köln und das Bildungsministerium in Düsseldorf heißt es: „Es gibt, anders als im Frühjahr zwei, beziehungsweise vier Videochats pro Woche (jeweils 40 beziehungsweise 20 Minuten!!!) . Diese dienen jedoch lediglich der sozialen Kontaktaufnahme und haben mit Distanzunterricht rein gar nichts zu tun. Wie sollte dies auch in der kurzen Zeitdauer, etwa 15 Minuten am Tag im Durchschnitt!! funktionieren. Zudem gibt u.E. keine verbindliche Unterrichtsstruktur, und die gesamte Vermittlung der Lerninhalte wird auf die Eltern übertragen.“
Auch wieder so ein Hilferuf.