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„An uns führt kein Weg vorbei“Kölner Aktivisten gehen selbstsicher ins Protestcamp

Lesezeit 4 Minuten
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Jana Boltersdorf (17) bei den „Fridays for Future“-Protesten in Köln.

  1. Seit mehr als einem halben Jahr gehen junge Menschen jeden Freitag für ihre Zukunft auf die Straße.
  2. Am Freitag findet der erste internationale Streiktag im Rheinischen Revier statt, wo viele Tausend Menschen aus 16 Ländern erwartet werden.
  3. Drei Aktivisten aus Köln und Bonn organisierten die Demo mit.

Köln/Viersen – Die erste Frage, die das Plenum beschäftigt, ist: Draußen oder drinnen? Etwa 35 Aktivisten der Kölner Ortsgruppe von „Fridays for Future“ haben sich im Autonomen Zentrum versammelt, um eine der größten Aktionen ihrer noch jungen Geschichte vorzubereiten. Die Sonne knallt heiß, trotzdem fällt die basisdemokratische Entscheidung für draußen.

Am Freitag werden sie nach Aachen reisen, um gegen die Kohleverstromung im Rheinischen Revier aufzubegehren. Wenn alles nach Plan läuft, wird die Ortsgruppe 2000 Menschen mitbringen. Damit wären sie der stärkste Block bei dem Sternmarsch, der sich auf den Aachener Tivoli zubewegen wird. Erwartet werden viele Tausend Teilnehmer aus 16 Ländern. Es wird der erste internationale Streiktag von FFF. Zwei Sonderzüge sind gebucht, mehrere Reisebusse rollen in die ehemalige Kaiserstadt, wo ein paar Kilometer entfernt die größte CO2-Quelle Europas sprudelt. Drei Tagebaue und vier Kraftwerke betreibt der Energiekonzern RWE im Rheinischen Revier.

„Für uns wird das eine sehr große Sache. Und natürlich hoffen wir, dass wir an diesem Tag so viele Menschen wie möglich erreichen“, sagt Jana Boltersdorf, FFF-Sprecherin, 17 Jahre, elfte Klasse, kurz vor dem G8-Abi: „Wir haben klein angefangen und jetzt sind wir groß. An uns führt kein Weg mehr vorbei.“ Mehrere Stunden tagt das Plenum. Die Diskussionskultur verblüfft. Wer einem Argument zustimmt, streckt die Arme hoch, wackelt mit den Händen. Wer dagegen ist, nimmt die Arme runter und wackelt.

Aktionstage im Revier

Am Freitag wollen die Schüler in Aachen streiken.

Am Samstag soll es zu weiteren Klima-Demos in Garzweiler kommen.

„Ende Gelände“ hat fürs Wochenende die Blockade im Tagebau angekündigt.

RWE warnte vor lebensgefährlichen Risiken und will Straftaten anzeigen.

Die Polizei ist nach eigenen Angaben mit Kräften aus NRW und der Bundespolizei auf einen Großeinsatz vorbereitet.

FFF hat das Leben vieler Schüler radikal verändert. Neben Jana sitzt Pauline Brünger. Auch sie ist 17 Jahre alt und besucht die elfte Klasse eines Kölner Gymnasiums. „Ich habe gemerkt, dass die Klimafrage und der Kampf für die Zukunft des Planeten für mich wichtig sind. Ich lerne hier oft mehr als in der Schule.“

Für Organisatoren wie Jana und Pauline ist FFF ein Fulltime-Job, der neben der Schule läuft. Mehr als 500 Ortsgruppen sind bundesweit gemeldet. Die Strukturen haben sich professionalisiert. Jede Ortsgruppe besteht aus mehreren Arbeitsgruppen. Entschieden wird basisdemokratisch und nach Konsensprinzip. „Wer behauptet, wir seien ahnungslose Schulschwänzer, die sonst nichts zu tun haben, hat keine Ahnung, wer wir eigentlich sind“, sagt Pauline.

Pauline Brünger (17)

Die Zeit des Belächelns scheint aber auch vorbei. Jüngst bekannte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, der „Dringlichkeit des Problems“ zu lange zu wenig Beachtung geschenkt zu haben. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet sagt zu den Protesten: „Es ist gut, dass gerade in Aachen die europäische Bedeutung des Klimaschutzes durch Fridays for Future sichtbar wird.“

SPD und Grüne seien schon an die Kölner Ortsgruppe herangetreten, um Gespräche zu führen, erzählt Pauline. FFF lehnt die Nähe zu Parteien nach eigenen Aussagen indes ab: „Wir begreifen uns als Sprachrohr der Wissenschaft.“ Ziel sei die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens und die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad.

Das Aachener Polizeipräsidium sorgte vor einigen Wochen für Irritationen. Es hatte einen Brief an die Schulen verschicken lassen. Darin lobte die Behörde das friedliche Verhalten der FFF-Bewegung. Gleichzeitig warnte sie die Schüler, sich mit Ende Gelände zusammenzutun. Bei den Behörden genießt Ende Gelände einen miserablen Ruf.

In der Vergangenheit kam es bei den Aktionen immer wieder zu Zusammenstößen mit der Polizei. Die Schüler sollten nicht in die „Strafbarkeitsfalle“ tappen. Es würden millionenschwere Zivilrechtsklagen drohen. Die angeführten Urteile aber gibt es gar nicht, wie die Polizei später einräumen musste.

FFF wies das Schreiben als „gezielten Spaltungsversuch“ zurück und erklärte sich solidarisch mit dem Aktionsbündnis. Jana, die seit kurzem auch Sprecherin von Ende Gelände ist, will an den Blockaden teilnehmen. Pauline wird aus Angst vor Auseinandersetzungen mit der Polizei davon absehen.

Protestcamp in Viersen

Der Bonner Student Daniel Hofinger sitzt auf einer Bierbank auf einer Wiese in Viersen, wo Ende Gelände sein Protestcamp aufgebaut hat. Jüngst erhielt er von RWE eine Zahlungsaufforderung in Höhe von 50.000 Euro. Der Konzern wirft ihm vor, durch Protestaufrufe gegen eine Unterlassung verstoßen zu haben.

Daniel Hofinger (25)

„Das Rheinische Revier ist ein gesellschaftliches Brennglas, ein Kristallisationsort“, sagt Hofinger. Es gehe längst nicht mehr nur um den Klimakampf. „Wir wollen mehr Demokratie. Die Grundausrichtung der Politik muss sein, auch den Schwächsten eine Stimme zu geben.“ Er ist sich sicher, dieses Wochenende werde zeigen, dass der Kampf fürs Klima „kein Strohfeuer“ ist.

Nach eigenen Angaben will Ende Gelände am Freitag und Samstag die Kohle-Infrastruktur rund um den Tagebau Garzweiler II durch Blockaden lahmlegen. Das Bündnis versichert: Man werde gewaltfrei bleiben. Um keinen weiteren Ärger mit RWE zu riskieren, werde er am Wochenende nicht in die Grube, beteuert Hofinger. Dann stellt er sich in die Warteschlange an der Essensausgabe. Es gibt russisches Soljanka. Mit Tofu.