- Die kriminalistische Auswertung von kinderpornografischem Material ist nur schwer erträglich.
- Wie ist diese Belastung auszuhalten?
- Zwei Kölner Ermittlerinnen sprechen über ihren Alltag.
Düsseldorf/Köln – Als Sabrina Stein an diesem Morgen zum Interview im Besucherraum des Düsseldorfer Landeskriminalamts (LKA) erscheint, hat sie schon vier Stunden Arbeit hinter sich. Vier Stunden, die viele Menschen nicht ertragen könnten. Wenn sie am Schreibtisch sitzt, blickt sie in menschliche Abgründe. Die 38-Jährige gehört zu den Ermittlern, die Kinderpornos (besser: Missbrauchsdarstellungen) auswerten. Zu Beginn habe sie das extrem belastet, erzählt die Polizistin aus dem Ruhrgebiet: „Die Bilder verfolgten mich bis in den Schlaf.“
Das ist jetzt drei Jahre her. Bis 2017 war Stein Ausbilderin beim Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei (LAFP) in Selm. Der Job war anspruchsvoll, aber der Polizistin fehlten die kriminalistischen Herausforderungen. Damals beschäftigten sich beim LKA nur eine Handvoll Ermittler mit dem Thema Kinderpornografie. „Mir war klar, was auf mich zukommen würde“, sagt Stein. „Aber wenn man dann zum ersten Mal so einen Film sieht, haut es einen um.“
„Ich schaffe 500 bis 800 Bilder am Tag“
Dann, im Frühjahr 2019, erschüttert der Skandal um den Kindesmissbrauch in Lügde die Republik. Die Bilder von dem verwahrlosten Wohnwagen auf dem Campingplatz in Ostwestfalen werden zum Symbol des Versagens von Polizei und Jugendhilfe. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) räumt schwere Fehler ein und erklärte den Kampf gegen die Pädokriminellenringe zur Chefsache. Im LKA kümmert sich ein eigenes Dezernat um die Auswertung von sichergestellten Computern, Handys und Speicherkarten. Je intensiver ermittelt wird, desto mehr Tatverdächtige werden entdeckt. Darauf folgen weitere Verfahren, neue Durchsuchungen, noch mehr Tatverdächtige – ein Schneeballeffekt.
Der Arbeitstag der Ermittlerin beginnt morgens um sechs Uhr und endet am Nachmittag. „Ich schaffe 500 bis 800 Bilder am Tag, wenn viele Videos dazwischen sind, weniger“, sagt Stein. Die Ermittlerin muss entscheiden, welche Straftatbestände auf den Beweismitteln erfüllt werden und ob sich noch laufende Missbrauchshandlungen dahinter verbergen. „Die Perversionen kennen keine Grenzen. Am schlimmsten ist es, wenn der Ton zu hören ist.“
Hinweise durch akribische Sichtung des Materials
Sich täglich den sexuellen Missbrauch von Kindern ansehen zu müssen, ist für die meisten Menschen eine Horrorvorstellung. Die frühere Handballspielerin hatte wohl schon immer ein dickeres Fell als ihre Kollegen und kommt damit mittlerweile klar. „Meine Strategie ist, mich auf mögliche Spuren zu konzentrieren, die auf den Täter hindeuten. Die müssen wir kriegen. Das ist für mich eine ganz starke Motivation.“ Vor ihrem Wechsel zum LKA habe sie sich ein völlig falsches Bild von den Tätern gemacht. „Ich habe immer an den Schauspieler Gerd Fröbe aus dem Film »Es geschah am helllichten Tag« gedacht“, sagt die Polizistin. „Aber die Täter sehen oft überhaupt nicht so fies aus. Da sind auch Studenten und der Typ Traumschwiegersohn dabei. Wir sehen die ganze Bandbreite der Gesellschaft.“
Die Täter sind auf den Filmen meist nicht vollständig zu erkennen oder verhüllen ihr Gesicht. Aber durch die akribische Sichtung des Materials ergeben sich Hinweise, die die Fahnder auf die Spur der Pädokriminellen führen. Viele wiegen sich in Sicherheit und werden leichtfertig. Durch kleinste Details, die im Bild auftauchen, können Tatorte räumlich eingegrenzt werden. Dann schicken die Ermittler unverfängliche Bilder der Opfer an die Schulen der Region. „Das führt immer wieder zum Erfolg. Die Lehrer erkennen die Kinder wieder und informieren die Polizei“, sagt Stein.
Ermittlungen auch im Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach
Auch die moderne Kriminaltechnik macht Erfolge möglich. Ein Vater, der seine Kinder missbrauchte, hatte einen Rucksack mit einer Kamera verloren. Darauf erblickten die Finder Missbrauchsdarstellungen und verständigten die Polizei. Der Rucksack-Eigentümer stritt es ab, der Täter auf den Fotos zu sein. Doch dank einer biometrischen Untersuchung eindeutiger Körpermerkmale wurde er überführt. „Ich versuche, mich über den Fortgang bestimmter Ermittlungen auf dem Laufenden zu halten“, sagt Stein. „Verhaftungen sind für alle, die hier arbeiten, eine große Genugtuung.“
Im Kölner Polizeipräsidium wurde vor acht Wochen das Kriminalkommissariat 13 (KK13) eingerichtet, das sich ausschließlich mit der Bekämpfung der Herstellung und Verbreitung von Missbrauchsabbildungen befasst. Manuela Fischer leitet die Auswertungen im Einsatzabschnitt Köln, in dessen Zuständigkeit auch die Aufarbeitung des Kinderpornorings um den Koch Jörg L. aus Bergisch Gladbach fällt. Der Mann soll seine Tochter schon als Baby missbraucht und die Bilder in der Pädo-Community geteilt haben. Fischer ist im KK 13 auch für die Auswertung von Chat-Nachrichten zuständig. „Die Dinge, die dort ausgetauscht werden, sind für mich mitunter schlimmer als die Betrachtung der Fotos, weil die Nachrichten Bilder im eigenen Kopf erzeugen“, sagt die 35-Jährige. Durch ihre Tätigkeit habe sie eine andere Sicht auf die Welt bekommen. „Es hört sich hart an, aber ich würde für keinen Bekannten die Hand ins Feuer legen, dass er nicht vielleicht zu den Tätern gehört“, sagt Fischer. „Viele Männer, die Kinder missbrauchen, wirken unauffällig. Sie pflegen den Garten und grillen mit den Nachbarn.“ Der Blick auf eine dunkle Seite verändert auch den Blick auf den Alltag: „In bestimmten Situation gucke ich drei Mal hin. Ich bin sensibilisiert.“
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Im August hatten CDU und FDP im Landtag die Einführung einer Zulage von 300 Euro für Polizisten eingeführt, die bei der Bekämpfung sexuellen Missbrauchs von Kindern helfen. „Wir müssen auf die Männer und Frauen, die diesen Job machen, aufpassen und sie mit allem, was uns möglich ist, bei dieser immens wichtigen Arbeit unterstützen“, sagte NRW-Innenminister Reul. Der Zuschlag sei eine Anerkennung. „Er ersetzt aber nicht die Möglichkeit, über diese menschlichen Abgründe, in die sie jeden Tag schauen, auch mit Psychologen zu sprechen“, so der CDU-Politiker. Fischer hat selbst keine Kinder. „Vielleicht würde ich den Job sonst nicht schaffen“, sagt sie. „Man muss einen dicken Panzer haben, um das auszuhalten. Aber auch die dickste Schutzschicht kann mal brechen. Dann ist es wichtig, dass man Hilfe bekommt. Der Ausgang muss stets in Sicht bleiben.“
In regelmäßigen Supervisionen und Gesprächen mit Psychologen überprüfen die Ermittler, ob sie noch stark genug sind, um ihre Aufgabe auszuhalten. Die Alarmzeichen kommen laut Fischer aus dem Nichts: „Ein Kollege, den ich bei einer Fortbildung traf, konnte plötzlich nicht mehr mit seinen Kindern in die Badewanne gehen, weil ihn die Bilder von der Arbeit einholten. Wenn man nicht mehr abschalten kann, muss man sofort Schluss machen.“