Zwei Jahre nach der Flutkatastrophe geht es in Bad Münstereifel-Arloff endlich voran, wie sich beim Rundgang mit der Bürgermeisterin zeigt.
Zwei Jahre nach der FlutSabine Preiser-Marian kann Angst der Bad Münstereifeler verstehen
14. Juli 2021. Der erste Urlaubstag. Endlich! Entspannen am Mittelmeer. Die Amtsgeschäfte einfach mal ruhen lassen. Abschalten vom stressigen Alltag in einer immer kleiner werdenden Verwaltung. Kraft tanken ein Jahr nach dem Sommer des Kommunalwahlkampfes, der im September mit der Wiederwahl als Bürgermeisterin endete. Mal nicht an neue Corona-Schutzverordnungen und deren Umsetzung denken. Hoffen, dass es bald besser wird. Dann nämlich, wenn das Haushaltssicherungskonzept im Jahr 2023 endet.
So dürfte sich Sabine Preiser-Marian, seit 2015 Bürgermeisterin von Bad Münstereifel, ihren Sommerurlaub 2021 in etwa vorgestellt haben. Doch wie wir alle wissen, kam es ganz anders. Der Mittelmeerurlaub mit der Familie wurde gestrichen. Eine Reiserücktrittsversicherung gab es nicht. Entspannung auch nicht. Im Gegenteil: Die Bürgermeisterin war gefordert wie nie. Und das über Monate, eigentlich bis zum heutigen Tag.
Deutscher Wetterdienst warnt vor 160 Litern pro Quadratmeter
14. Juli 2021. Es regnet unaufhörlich. Und das war nur der Anfang. Der Deutsche Wetterdienst warnt am Mittag vor extremen Niederschlägen, lokal bis 160 Liter pro Quadratmeter bis Donnerstag. Eng begrenzt könnte es zu Überflutungen kommen. Doch was heißt das für Bad Münstereifel? Übertreibt der Wetterdienst wieder einmal, wie so oft, wenn Unwetter angekündigt werden? Oder ist diesmal etwas dran an den unheimlichen Prognosen?
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Dass es wohl anders ist als sonst, wird der Bürgermeisterin am Nachmittag klar. Weil sie Urlaub hat, ist sie zu Hause in Kirspenich. Gegen 15.30 Uhr wird ihr Mann, der bei der Freiwilligen Feuerwehr ist, alarmiert. Eine halbe Stunde später ruft Kurt Reidenbach an, ihr Allgemeiner Vertreter, und berichtet, dass das Wasser steige und sie benötigt werde. Sie macht sich auf Richtung Feuerwache in Bad Münstereifel. „Um halb fünf bin ich auf dem Gutenbergweg in Arloff schon durch eine Wasserlache gefahren“, erinnert sie sich.
Sabine Preiser-Marian war dauerpräsent in den Medien
Den Rest hat die 52-Jährige schon x-fach erzählt. Im Fernsehen. Im Radio. Zeitungen in ganz Deutschland. Dass die Stadt die Feuerwache, die unmittelbar an der Erft liegt, aufgeben musste. Dass die Koordinierungsstelle nach Nöthen verlegt werden musste. Und dass sie ab da nur noch funktionierte. Alle kamen sie. Alle wollten etwas von ihr. Helfer. Medien. Politiker. Und natürlich: Bürger.
Arloff besucht sie am 15. Juli zum ersten Mal. Das Hinkommen ist das erste Problem. Von Bad Münstereifel wie bisher über die Landesstraße 194, die frühere Bundesstraße 51, zu fahren, ist nicht möglich. Die ist zerstört. Also fährt sie über Nöthen und Satzvey.
Ihr erster Eindruck von Arloff: „Das war ein Zustand wie im Krieg“, sagt sie heute, zwei Jahre später. Auch, weil die Bundeswehr im Einsatz war. Häuser sind zerstört. Brücken. Straßen. Nur die Brücke über die Erft, die von der Bahnhofstraße in die Holzgasse übergeht, hat gehalten. Damals war das hilfreich, damit man in Arloff überhaupt noch irgendwo die Erft überqueren konnte. Heute nicht
„Aus Hochwasserschutzgründen wäre es gut gewesen, wenn diese Brücke auch kaputt gegangen wäre“, sagt Ingenieur Christian Lorenz aus Nitterscheid. So gab es Bestandsschutz für die Brücke. Sie wurde repariert, wie sie vorher war – und nicht nach den neuen Standards für 100-jährliche Hochwasser.
Christian Lorenz war einer der Retter der Steinbachtalsperre
Lorenz hat erst Anfang des Monats in Düsseldorf die Rettungsmedaille des Landes NRW verliehen bekommen. Seit der Flut ist er vor allen Dingen als Planer für den Wiederaufbau in Bad Münstereifel bekannt. Doch er war es auch, der als Ingenieur in der Flutnacht und an den Tagen danach die Steinbachtalsperre betreute und mit dafür sorgte, dass diese nicht brach. Lorenz ist seit der Flut ein Stammgast in den politischen Gremien der Stadt. Zumindest in denen, in denen es um die Themen Bauen und Stadtentwicklung geht. Er ist nah dran an der Bürgermeisterin, wie so viele Menschen in den vergangenen zwei Jahren.
Das gilt auch für den Gang mit der Redaktion an einen Ort ihrer Wahl, den sie besonders mit der Flut verbindet. Persönlich soll er sein. Nur ein Redakteur und die Bürgermeisterin. Doch Preiser-Marian gibt es nicht mehr alleine, höchstens noch für Mann und Tochter. Irgendjemand ist immer mit dabei. Meist Experten aus der Verwaltung, die Informationen beisteuern können, es aber in den seltensten Fällen müssen, weil Sabine Preiser-Marian nicht sehr oft ihre Hilfe braucht.
Einen Todesfall gab es in Arloff, ein weiterer Toter wurde angespült
Am Treffpunkt nahe der Hubertuskapelle in Arloff warten neben Christian Lorenz auch Ralf Wassong, technischer Betriebsleiter der Stadtwerke, Reiner Jansen, Stadtverordneter aus Arloff, der mit Martin Mehrens nach der Flut Ansprechpartner für die Bürger im Dorf war, sowie Christiane Vogel von der Pressestelle. Die Bürgermeisterin muss zunächst eine Entscheidung treffen: Lorenz hat Abdeckplatten für die Mauern auslegen lassen. „Die hier, aber heller“, bestimmt sie und fragt nach: „Gibt es die auch in Braun?“ Die Anfrage gibt Christian Lorenz umgehend weiter.
Arloff war der letzte Ort im Stadtgebiet, der von der Flut getroffen wurde. Das Wasser breitete sich nach Norden aus. Den Rhein-Erft-Kreis erreichte es ja erst am Tag danach, als man in Bad Münstereifel nach dem ersten Schock schon mit dem Aufräumen begonnen hatte. Einen Todesfall gab es in Arloff. Ein zweiter Toter wurde aus Iversheim angespült.
Dass die Menschen in Arloff heute bei jedem stärkeren Regen Angst haben, kann Sabine Preiser-Marian verstehen. „Wenn ich hier wohnen würde, hätte ich auch Angst“, sagt sie. Sie musste, wie die gesamte Verwaltung und Politik, bei allem Lob dafür, dass es in der Kernstadt von Bad Münstereifel sehr schnell voranging, besonders aus den Dörfern auch Kritik einstecken. Sie seien vergessen worden. Es gehe nur um wirtschaftliche Interessen.
Dem widerspricht die Bürgermeisterin. In Arloff habe man als erstes Versorgungsleitungen verlegt und die Straßen gepflastert. Erftmauern wurden zum Teil durch Sandsäcke ersetzt. Allerdings – und das gibt sie zu – sei das alles provisorisch gewesen.
Beim Wiederaufbau gilt es viele Aspekte zu beachten
Danach ging es schleppend voran. Aus mehreren Gründen. Zum einen spielten beim Wiederaufbau viele Aspekte eine Rolle. Einfach irgendwo anfangen war nicht möglich. Das musste koordiniert ablaufen. Es mussten viele Fragen beantwortet werden. Dürfen die Erftmauern an der gleichen Stelle wie vorher wieder aufgebaut werden? Dazu bedurfte es hydraulischer Berechnungen des Erftverbandes.
Und man wollte die Bürger mit ins Boot holen. Wie wünschen sie sich die Verkehrsführung entlang der Erft? Wie sieht es mit den Brücken aus? Dies erarbeitete man in Workshops. „Wir wollten eine gemeinsame Grundlage: Wie bauen wir wieder auf?“, fasst Preiser-Marian den Prozess zusammen. Immer wieder betonen die Anwesenden, dass man diese Katastrophe auch als Chance sehen muss.
Erftmauern werden an einigen Stellen fast doppelt so hoch wie vorher
Die Erftmauern werden gerade errichtet. Überall müssen sie 90 Zentimeter hoch werden. Das ist an einigen Stellen fast doppelt so hoch wie vorher. Insgesamt erstrecken sie sich, addiert man beide Seiten zusammen, auf einer Länge von 1,26 Kilometern. „Ich bin froh, dass es so gut läuft. Die Arbeiter sind freundlich, den Bürgern zugewandt und fleißig. Sie arbeiten rund um die Uhr“, sagt Preiser-Marian. Doch besonders eines freut sie: Die Arloffer sind glücklich, dass es endlich weitergeht. „Das nimmt die Angst“, stimmt Reiner Jansen ihr zu.
Überhaupt hatte man auch direkt nach der Flut das Gefühl: Arloff organisiert sich selbst. Dass Outlet-Geschäftsführer Marc Brucherseifer seine Thonwerke öffnete, damit dort ein Hilfszentrum eingerichtet werden konnte, erleichterte alles. Es gab einen Ort, an dem man Hilfe bekam, aber auch einfach nur reden konnte. „Das war hier einfach“, sagt die Bürgermeisterin rückblickend.
Erst die Mauern, dann die Brücken, dann die Straßen
Natürlich sind immer noch Fragen zu klären. An der Kurve Richtung Mozartweg, also auf der anderen Uferseite der Mühle, soll die Mauer fortgeführt werden, ein Wall ist geplant, damit die Wucht des Wassers bei einem Hochwasser zuerst auf die Böschung trifft und nicht auf die Häuser. Eines hat an der Stelle abgerissen werden müssen. Aber wie genau diese Mauern-Wall-Kombination umgesetzt wird, ist noch offen.
Bis Weihnachten sollen die Mauern auf der Seite zwischen Brücke und Kapelle fertig sein. Danach, bis Sommer 2024, ist die Seite Richtung Grundschule dran. Dort, wo es keine Mauern gab, sollen Hochwasserschutzpflanzwände entstehen. Dann geht es mit den Brücken weiter. Diese sollen so gestaltet werden, dass sie sogar von Betriebsfahrzeugen, etwa der Müllabfuhr, befahren werden könnten. Erst zum Schluss folgen die Straßen.
Sind denn jetzt, zwei Jahre nach der Flut, alle Anwesenden Experten in Sachen Hochwasserschutz? Mit dem Thema habe sich vor der Flut ein Rathausmitarbeiter befasst. Das Wissen gab es also schon, denn Hochwasser gibt es in Bad Münstereifel immer wieder, zuletzt im Sieben-Jahres-Takt. Ralf Wassong erklärt aber: „Für Hochwasserschutz fehlten oft die Mittel. Jetzt bekommen wir das alles im Rahmen des Wiederaufbaus.“