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HochwasserschutzIm Kreis Euskirchen werden die Bäche vermessen

Lesezeit 6 Minuten
Der Wolferter Bach ist über die Ufer getreten, das Wasser steht bis n führt Hochwasser.

Im Sommer sind viele Bäche kleine Rinnsale, hier der Wolferter Bach im Bereich Hescheld. Bei der Flut 2021 wurde auch er zu einem reißenden Strom. Zuletzt führte er Anfang 2024 Hochwasser.

Beim Hochwasserschutz arbeiten Kommunen und Wasserverband zusammen. Jetzt werden auch die kleinen Bäche vermessen.

So spektakulär wie die Vermessung der Welt in Daniel Kehlmanns Roman über die Genies Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß ist die Vermessung der Bäche in der Eifel nicht. Doch dieser Baustein des Hochwasserschutzes ist kaum weniger komplex. Und an diesem Beispiel zeigt sich, wie aufwendig die Planung ist und wie viel Geduld sie allen Beteiligten abverlangt.

Gigantische Schäden hat die Flutkatastrophe im Juli 2021 angerichtet. Gerade die kleinen, manchmal sogar namenlosen Bächlein sind zu reißenden Flüssen geworden, sind auf die größeren Gewässer getroffen und haben sich zu immer größeren Flutwellen aufgetürmt. Danach sind zwei Dinge schnell klar. Erstens: Der Hochwasserschutz muss verbessert werden.

Zweitens: Es macht keinen Sinn, wenn eine Kommune oder eine Institution das alleine in Angriff nimmt. Es gibt zwar Projekte, die einzeln betrachtet und umgesetzt werden können. Aber bei den größeren Maßnahmen müssen die Auswirkungen genau betrachtet werden. Wenig sinnvoll wäre es, wenn eine Schutzmaßnahme von Gemeinde A im weiteren Verlauf eines Flusses Gemeinde B vor große Probleme stellt.

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Bis die Platißbach-Talsperre gebaut wird, vergehen Jahre

Also haben sich die Kommunen Blankenheim, Dahlem, Hellenthal, Kall, Nettersheim und Schleiden sowie der Kreis Euskirchen und der Wasserverband Eifel-Rur (WVER) zu einer Kooperation zusammengeschlossen, um den Hochwasserschutz rund um Urft und Olef anzugehen. Gut ein Jahr nach der Flut hat man die entsprechende Vereinbarung unterzeichnet.

Unter anderem ist die Machbarkeitsstudie für das potenziell größte Projekt, die neue Platißbach-Talsperre bei Hellenthal, in Arbeit und soll in diesem Jahr fertig werden. Doch bis möglicherweise gebaut wird, werden noch Jahre vergehen. Schneller könnte es in zahlreichen anderen Fällen gehen. Die Kommunen entwickeln lokale Maßnahmen. Teils sind die schon umgesetzt, etwa in Nettersheim ein Damm, eine Rechenanlage und Fluttore gebaut.

Eine Brücke über den Reifferscheider Bach weist schwere Schäden auf.

Massive Schäden richtete die Flut auch an zahlreichen Brücken an, hier eines der Bauwerk über den Reifferscheider Bach.

Das Bild zeigt einen Ausschnitt aus einem 3-D-Modell eines Bachlaufs.

3D-Modelle werden von den Bachläufen erstellt. In der Simulation können die Auswirkungen verschiedener Wassermengen betrachtet werden.

Im Zuge der interkommunalen Kooperation wurden bis zum Sommer insgesamt 140 Ideen entwickelt. Im nächsten Schritt gilt es, diese zu prüfen. Bevor irgendetwas gebaut wird, werden umfangreiche Computer-Simulationen durchgeführt, wie sich ein Damm, ein Becken oder eine andere Schutzmaßnahme bei einem Hochwasser auswirkt. Und für diese Simulationen müssen möglichst genaue Daten der Gewässer vorliegen.

„Mit den digitalen Zwillingen können wir überprüfen, ob Maßnahmen wirksam sein werden“, sagt Dr. Torsten Rose, Leiter der Grundlagenplanung beim WVER. Begonnen haben die Vermessungen im Februar 2023: Mit Hubschraubern wurden an Urft und Olef sogenannte Bathymetrie-Flüge durchgeführt, um mithilfe von Lasertechnik ein dreidimensionales, digitales Geländemodell zu erstellen. Diese Modelle sind laut Rose bereits fertig.

Und nun sind die kleineren Bäche an der Reihe. Hier ist eine Vermessung aus der Luft in der Form nicht möglich, es werden klassische Vermessungsteams eingesetzt. Anhand ihrer Daten werden laut Rose Querprofile der Gewässer senkrecht zur Fließrichtung erstellt. Diese werden zudem mit Befliegungsdaten der Uferbereiche in Einklang gebracht, um schließlich komplexe digitale Modelle zur Verfügung zu haben.

Am Computer werden Szenarien durchgespielt

Diese umfangreiche Methode ist laut Rose erforderlich, da die Luftbilder bei wichtigen Punkten wie der Gewässersohle oder Bauwerken wie Brücken oder Verrohrungen nicht exakt genug seien. Sowohl ein hydrologisches als auch ein hydraulisches Modell werden erstellt. Ersteres dient der wasserwirtschaftlichen Berechnung, wie sich Niederschläge in den Gewässern auswirken, zweiteres zeigt unter anderem die Abflüsse und überschwemmten Flächen bei einem Hochwasser.

Beide werden bei den Simulationen angewendet, wenn unterschiedlichste Szenarien, Wassermengen und Auswirkungen von Schutzmaßnahmen „durchgespielt“ werden. Jede der 140 potenziellen Maßnahmen wird laut Rose der Simulation unterzogen – vor allem Rückhaltebecken, Renaturierungen, Deiche oder Schutzmauern. Doch es wird weiteres geben. Rose nennt ein Beispiel: „Treibgutfänger werden nicht modelliert, sind aber sehr wichtig, um die Querschnitte der Gewässer freizuhalten.“

Vielen Bürgern dauert es zu lange, bis die Bagger anrollen

Gleiches gelte für vergleichsweise simple Maßnahmen: etwa, dass kein Holz an Gewässern gelagert werden soll, das im Falle einer Überschwemmung in Richtung von Brücken gespült werden und diese verstopfen kann. Rose fasst zusammen: „Die Maßnahmen entfalten gemeinsam ihre Wirkung. Und die Wirkung muss optimiert werden.“

Dreieinhalb Jahre sind nach der Flut vergangen. Und scheinbar tut sich nichts in Sachen Hochwasserschutz. Es dauert vielen viel zu lange, bis Bagger anrollen. Doch einfach mal irgendwo etwas rumbaggern, so formulieren es die Experten plakativ, gehe nun mal auch nicht. „Ich kann den Frust der Leute nachvollziehen. Aber wir setzen alle Hebel in Bewegung, um so schnell wie möglich voranzukommen“, sagt WVER-Projektleiter Johannes Thelen.

Auch für uns ist das oft unbefriedigend. Aber die Ingenieurbüros sind bis über beide Ohren zu mit Arbeit.
Torsten Rose, Leiter der Grundlagenplanung beim WVER

Der WVER hat mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen wie alle anderen – nicht nur beim Wiederaufbau: Hoher Verwaltungsaufwand, komplexe Genehmigungsverfahren, Fristen, Förderprogramme, teils europaweite Ausschreibungen, der allgegenwärtige Fachkräftemangel. „Auch für uns ist das oft unbefriedigend“, sagt Rose: „Aber die Ingenieurbüros sind bis über beide Ohren zu mit Arbeit.“

Gerade für die Vermessung der Gewässer und die Erstellung der digitalen Zwillinge sind hoch spezialisierte Fachkräfte erforderlich. Bei den Ausschreibungen seien dem WVER daher nicht gerade die Türen eingerannt worden. „Es gibt in Deutschland keine Strukturen, die bereitstehen, wenn solche Hochwasser passieren – und keine in Reserve gehaltenen Spezialkräfte“, ergänzt WVER-Sprecher Marcus Seiler.

Von einem Jahrzehnt-Projekt sprechen die Beteiligten. Rose rechnet damit, dass die Modelle Ende dieses Jahres fertig sein werden, das Hochwasserschutzkonzept bis zum Ende des kommenden Jahres. Danach geht es an die Detailplanung, weitere Berechnungen werden durchgeführt, der Grunderwerb steht an. „Schneller wäre nicht realistisch“, sagt auch Seiler: „Es sitzt ja keiner herum, der sagt: Machen wir mal was langsam.“

Und er sagt auch ganz klar, dass die Menschen in der Region nicht aller Sorgen ledig sind, wenn denn mal die Schutzmaßnahmen alle gebaut sind. Zur Resilienz gehören zahlreiche weitere Komponenten wie Informationen oder Alarmierungsketten. Für viele „normale“ Hochwasser werden die Effekte deutlich sein. Doch Seiler sagt auch: „Ein Hochwasser wie 2021 werden wir nie schadlos ableiten können.“


Nicht alle Bäche werden komplett erfasst

81,05 Kilometer Gewässer werden insgesamt vermessen. Dabei werden nicht alle Flüsse und Bäche komplett erfasst. Die Risikogewässer werden vollständig vermessen und finden Eingang in die Hochwassergefahrenkarten der Bezirksregierung. Dazu zählen die Urft mit 35,5 Kilometern, die Olef mit 13,9 Kilometern sowie Genfbach (1,8 Kilometer), Kallbach (2,5 Kilometer), Reifferscheider Bach (6,4 Kilometer) und Platißbach (2,3 Kilometer).

Deutlich kleinere Gewässer werden ebenfalls betrachtet, jedoch hier die Mündungsbereiche zu den ausgewiesenen Risikogewässern. In der Stadt Schleiden sind es der Selbach auf 350 Metern, der Holgenbach auf 900 Metern und der Rinkenbach auf 800 Metern und in der Gemeinde Hellenthal Leiderbach und Schmalebach auf jeweils 1,1 Kilometern.

Fünf Bäche gehören zum interkommunalen Hochwasserschutzkonzept, sind aber außerhalb der Ausweisung der Hochwassergefahrenkarten. Vermessen werden in diesem Rahmen in der Gemeinde Hellenthal der Prether Bach (5,2 Kilometer) und Wolferter Bach (1,5 Kilometer), in der Gemeinde Kall der Golbach (2 Kilometer) und Gillesbach (2,4 Kilometer) sowie in der Stadt Schleiden der Dieffenbach und Schafbach auf 3,3 Kilometern.