Leverkusen – „Die Glocken läuten heute um 18 Uhr in ganz Deutschland länger als sonst, um an die Flut vor einem Jahr, alle Opfer und das Leiden zu erinnern.“ So beginnt Stadtdechant Heinz-Peter Teller am Donnerstagabend den Gottesdienst in der Remigiuskirche in Opladen. Bilder von der überschwemmten Stadt, von Bergen an Müll, beschädigten Häusern und verlorenem Hab und Gut werden an die Steinmauern der Kirche projiziert.
Heute sitzen in den Reihen nicht nur Betroffene und Mitleidende, sondern auch viele Helfer von vor einem Jahr. So sind die Malteser, die Notfallseelsorge und die DLRG gekommen, um sich an die gemeinsam überstandene Katastrophe zu erinnern.
Ein Satz fasst alles zusammen
„…und dann kam die Flut.“ Diesen Satz habe Pfarrerin Karolin Eckstein im vergangenen Jahr oft gehört. „Menschen verwenden ihn, wenn sie davon reden, was sie sich vor der Katastrophe aufgebaut hatten. Was sie geplant hatten und was durch die Flut nicht stattfinden konnte oder was sie verloren haben“, sagt Eckstein. Die Erinnerungen, die man heute vor sein inneres Auge rufe, die Geräusche, Gerüche und Dinge lösten viel in den Menschen, und doch seien sie heute zusammengekommen, um dies zu tun: Um sich zu erinnern und das Erlebte zu teilen. Denn gemeinsam ertrage es sich leichter, spricht Eckstein zu den versammelten Menschen am Donnerstagabend. „Wir haben den heutigen Tag bewusst ein Flutfest genannt. Aus Trotz. Wir wollen nicht nur unsere Wut, sondern vor allem unseren Mut sammeln.“
Einfach nur zusammensein
Gemeinsam wolle die Gemeinde nach dem Gottesdienst draußen essen, erzählen und beisammen sein, so die evangelische Pfarrerin.Auch Heinz-Peter Teller erinnert sich an die schrecklichen Bilder vom 14. Juli 2021. „Das Wasser lief die Fürstenbergstraße hinunter, Richtung Berliner Platz.“ Niemals hätte er sich ausmalen können, wie Opladen am nächsten Morgen aussah: „Vor dem Rewe sind Boote gefahren. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.“ Er erinnere sich, wie viele Menschen weinend vor den Trümmern ihrer Häuser standen und zuschauen mussten, wie ihr Hab und Gut davon geschwommen sei.
„Ende der sechziger Jahre glaubten wir noch an einen technischen Fortschritt und dass wir alles im Griff hätten. In Wahrheit sind wir jedoch machtlos und ohnmächtig gegenüber den Gewalten der Natur.“ Viele Menschen spürten, dass sich heute in der Welt etwas verändere, sagt Teller. „Durch Corona, die Flut, die Explosion ein paar Tage danach und den Krieg hat man den Eindruck, dass alles in Bewegung gerät. Doch wo ist Gott dabei?“
Die große Hifsbereitschaft
Doch leider gebe es Fragen, auf die es keine Antworten gebe. Aber eines habe ihn in den Tagen und Wochen nach der Flut bewegt: „Noch nie habe ich so viele freundliche, hilfsbereite und liebe Menschen erlebt. Aus allen Ländern wurde geholfen.“ Eine Familie aus den Niederlanden sei mit einem ganzen Auto voller Kinderkleidung angereist, um sie bei einer Kleiderbörse zu spenden, erinnert sich Teller. „Alle haben mit angepackt. Die Diakonie, das Rote Kreuz, die Bundeswehr, die Malteser und sogar die Ultras Leverkusen. Ist das nicht ein Zeichen der Hoffnung?“
Die Schrammen und Erinnerungen blieben zwar - doch hätten viele auch mutmachende Erfahrungen in diesen schwierigen Zeiten gemacht, so Teller. „Opladen sieht heute zum größten Teil wieder so aus wie es einmal aussah.“ Mit dem Abschluss seiner Rede, fängt eine Frau laut an zu klatschen. Und bald ertönt in der ganzen Kirche ein gemeinsames Gefühl von Zusammenhalt durch das bloße Klatschen von Händen.
Richrath zeigt sich tief bewegt
Auch Oberbürgermeister Uwe Richrath erinnert sich an die Flutkatastrophe. „Unendlich viele Frauen und Männer haben gekämpft, um die Wassermassen zurückzuhalten. Alle haben zusammengearbeitet.“ Er erwähnt die Evakuierung des Klinikums, der Pflegeheime, Schulen und Häuser. Zu oft habe er von der Feuerwehr diesen Satz gehört: „Wir konnten das Haus nicht halten.“ Auch ein Jahr später seien die Bilder einer veränderten Stadt „in unseren Köpfen eingebrannt. Was man jedoch durch das Ereignis gesehen hat, ist, wie die Gesellschaft zusammenhält. Und das hat mich unglaublich stolz gemacht.“
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Die Katastrophe sei jedoch nicht aus heiterem Himmel gekommen, so der OB. „Wir wollen eine bessere Zukunft für unsere Kinder gestalten. Das ist eine große Herausforderung, der wir uns stellen müssen.“ Man müsse alles tun, um die Stadt zu schützen und dabei an einem Strang ziehen. Deshalb werde überlegt, wie man die Städte konstruktiv verändern und sich Klimaherausforderungen besser stellen könne. „Ich bin sehr stolz heute hier sein zu dürfen“, beendet Richrath eine emotionale Rede.
Nach dem Gottesdienst sorgen die Malteser für Speisen und Getränke. Es wird gelacht, erzählt, gegessen. Und einen Moment lang sind die Flut und ihre Folgen ganz weit weg.