Leverkusen – Seit dem 2. Mai ist im Museum Morsbroich die Ausstellung „Der Katalysator: Joseph Beuys und Demokratie heute“ aufgebaut. Und einer der Beteiligten an der Schau ist der Kölner Fotograf Dietmar Schneider (81). Beteiligt nicht etwa in dem Sinne, dass er selber Akteur wäre. Sondern beteiligt, weil er große Teile der im Museum gezeigten und den unbestrittenen Mittelpunkt von „Der Katalysator“ bildenden Beuys-Arbeit „Straßenaktion“ aus dem Jahre 1971 beisteuerte.
Demokratie am Straßenrand
Seinerzeit diskutierte Joseph Beuys, der in diesem Jahr 100 geworden wäre und dessen Werke aus diesem Grund derzeit ja landauf und landab in zig Museen gezeigt werden, in der Kölner City mit zufällig vorbeikommenden Menschen über Demokratie. Und es war eben Dietmar Schneider, der diese viel Aufsehen erregende Aktion überhaupt erst initiiert hatte: „Straßenaktion“ war Bestandteil der von ihm erdachten Veranstaltungsreihe „Aktuelle Kunst Hohe Straße“ gewesen – 1969 ins Leben gerufen, um zeitgenössische Kunst in die Öffentlichkeit zu tragen und später ergänzt durch sein populäres Kunstmagazin „Kölner Skizzen“. Dietmar Schneider begleitete Joseph Beuys’ Gespräche dokumentarisch mit seiner Kamera, mit der er über Jahrzehnte auch zahllose andere Künstlerinnen und Künstlerinnen und Künstler von internationaler Relevanz wie Blinky Palermo, Rosemarie Trockel oder Tony Cragg ablichtete. Die entsprechenden Bilder – Joseph Beuys mit seinem bekannten Hut und in Weste redet energisch mit den Menschen – hängen nun in Morsbroich.
Siezen als Auszeichnung
Daheim in seiner Wohnung im Kölner Agnesviertel sitzend erinnert sich Dietmar Schneider ein halbes Jahrhundert später sehr gerne und bereitwillig an damals. An Joseph Beuys. „Ich hatte ein sehr enges Verhältnis zu ihm“, sagt er. Das habe er seltsamerweise ausgerechnet daran erkannt, dass der gebürtige Krefelder und Wahl-Düsseldorfer ihn gesiezt habe. „Beuys hat Gott und die Welt geduzt. Das war der Normalfall. Wenn er einen aber mit „Sie“ anredete, dann war das etwas Besonderes.“ Es war eine Auszeichnung, die Dietmar Schneider Einblicke ins Schaffen des Künstlers gewährte, die andere nicht hatten. Zeugnis davon legen übrigens auch jene Bilder ab, die er einst von einem Beuys-Vortrag im Morsbroicher Spiegelsaal machen durfte, als er den Meister, vom Balkon des Raumes aus fotografierte. Der Blick von oben herab auf den wie einen Dozenten dort stehenden, redenden und erklärenden Künstler fasziniert auch heute noch.
Was Dietmar Schneider so besonders an Joseph Beuys findet, was ihn am 1986 verstorbenen Kunstschaffenden am dringlichsten imponierte? „Ganz einfach“, sagt er. „Er war für mich erst der Türöffner zur Kunst.“ Joseph Beuys habe ihm damals gesagt: „Ich sehe nicht ein, dass ich arbeite wie früher. Ich lebe im Heute und möchte mit heutigen Materialien arbeiten.“ Und: „Mode und Technik darf sich ändern – aber Kunst nicht?“ Und das, betont Dietmar Schneider, habe alles verändert.
Enger Bezug zu Leverkusen
Der Kölner blieb von Beginn der 70er Jahre an, als er Joseph Beuys im Vorfeld der „Straßenaktion“ traf und fortan begleitete, bis zu dessen Tode ein enger Vertrauter des Künstlers. Und er hatte durch Rolf Wedewer, den damaligen, noch heute legendären Direktor des Museums Morsbroich, einen engen Bezug zu Leverkusen. „Mit Rolf Wedewer war ich befreundet“, sagt er. Und unter dessen Museumsleitung war Dietmar Schneider auch an Ausstellungen wie etwa „Fetisch. Jugend. Tabu. Tod“ (1972) oder „Kunst-Szene“ (1987) beteiligt. Insofern – das kann man festhalten – war es beinahe zwangsläufig klar, dass das Museum auch in Bezug zu „Der Katalysator“ auf ihn zurückkommen würde.
Dietmar Schneiders Wohnung ist ohnehin eine Fundgrube für Kunstbegeisterte: Die langen Gänge beherbergen in einer Art privater Galerie Original-Bilder zahlloser Künstlerinnen und Künstler. In bis unter die hohe Decke reichenden Regalen stapeln sich seine eigenen Fotografien - und Ausstellungskataloge natürlich. Darunter auch jener zur „Straßenaktion“, der ein besonderes Kleinod der Sammlung darstellt: Ein dicker Schuber aus Pappe, in dem Dokumente zur Planung und Skizzierung des Projektes ebenso enthalten sind wie offizielle Papiere, bei denen es sich um Genehmigungen seitens der Stadt Köln und um Korrespondenz mit deren Ämtern handelt. Dazu eine Kassette mit Tonbandaufnahmen der Diskussionen zwischen Joseph Beuys und den Passantinnen und Passanten sowie ein von ihm gestempeltes und signiertes Deckblatt.
Dieses wertvolle Stück ist zwar nicht zu sehen in Leverkusen. Aber Dietmar Schneider weiß auch so, dass die dortige Ausstellung „absolut sehenswert ist“. Seine Ankündigung klingt wie ein Versprechen: „Sobald es erlaubt und möglich ist, werde ich nach Morsbroich fahren und mir „Der Katalysator“ anschauen.“
Weitere Ausstellung
Wer neben der Ausstellung in Morsbroich mehr sehen möchte von Dietmar Schneider – vor allem dessen eigene Fotokunst – der kann das in der Kölner „artothek“, Am Hof 50, tun: Dort sind noch bis zum 5. Juni unter dem Titel „Return To Sender“ seine Künstlerporträts zu sehen.