Anträge für Ratsgremien bedürfen künftig vorab einer Mindestunterstützung.
Geschäftsordnung geändertEinzelkämpfer im Leverkusener Stadtrat haben jetzt weniger Rechte
Es ist also beschlossene Sache: Der Stadtrat hat in seiner Sitzung am Montag seine Geschäftsordnung dahingehend verändert, dass Anträge künftig nur noch von Fraktionen im Rat oder von mindestens einem Fünftel der Ratsmitglieder gestellt werden dürfen. Dies wurde mit einer Mehrheit von 32 gegen neun Stimmen von FDP, Bürgerliste, Linke, Klimaliste, Aufbruch und der Einzelvertreterin Kronenberg beschlossen. Einzelvertreter oder Ratsgruppen mit weniger als drei Mitgliedern im Rat müssen zukünftig im Vorfeld um Unterstützung werben, wenn sie einen Beschlussvorschlag einbringen wollen.
Diese Entscheidung ging im Rat nicht ohne Drama und aufgeregte Debatte über die Bühne. Vor allem Einzelvertreter Benedikt Rees von der Klimaliste, der es bei der Kommunalwahl im September 2020 mit nur 823 Stimmen (1,4 Prozent) in den Rat geschafft hatte und seither mit überaus engagierten und teils provokativen Auftritten in den Gremien agiert, wollte es nicht hinnehmen, dass diese eindeutig auf ihn gemünzte Änderung der Spielregeln beschlossen würde.
Im „Alle Dörfer bleiben“-T-Shirt und mit matschverschmierter Hose, laut Rees Spuren vom Zwist mit übergriffigen Polizisten in Lützerath, beanspruchte Rees am Rednerpult die Einhaltung seiner zuvor gewährten demokratischen Rechte. „Pacta sunt servanda“ habe schon zur Römerzeit gegolten und gelte weiterhin als Grundsatz von Treu und Glauben. Oberbürgermeister Uwe Richrath liege da ganz falsch, belehrte ihn Rees vom Rednerpult herab.
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Gemeindeordnung ist die Basis
Der Verwaltungschef hatte zu Beginn der Debatte die Bestimmungen der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung dargelegt, wonach einem Fünftel der Ratsmitglieder oder einer wenigstens dreiköpfigen Fraktion das Antragsrecht vorbehalten ist. Die bisher in Leverkusen praktizierte Regelung, die darüber deutlich hinausging, könne vom Stadtrat mit Mehrheitsbeschluss jederzeit auf das gesetzliche Minimum reduziert werden, eine Bestandsgarantie gebe es dafür nicht. Der Minderheitenschutz sei weiterhin gewährleistet, da Anträge mit erforderlicher Unterstützerzahl weiterhin möglich seien und das Rederecht nicht eingeschränkt werde.
„Wir haben das jetzt eine ganze Weile ausprobiert, aber so geht es nicht“, resümierte CDU-Fraktionsvorsitzender Stefan Hebbel. „Wenn das großzügig gewährte Antragsrecht gezielt dafür eingesetzt wird, die große Mehrheit zu lähmen und Sitzungen in die Länge zu ziehen, ist das kontraproduktiv.“
Kaum eine Kommune in NRW sei so entgegenkommend wie Leverkusen es bisher war, befand seine SPD-Kollegin Milanie Kreutz bei einem Blick in die Nachbarschaft. Allein Köln, Krefeld und Gelsenkirchen verführen so wie Leverkusen bisher. In Leverkusen sei dies von einem Ratsmitglied ausgenutzt worden, nicht zuletzt zum Schaden der Beschäftigten der Stadtverwaltung, denen unzumutbare Sitzungslängen und Mehrarbeit aufgezwängt würden. Im Interesse der Handlungsfähigkeit des Rates müsse dies daher begrenzt werden. „Aber wir beschneiden keine Demokratie.“ Im Gegenteil, pflichtete ihr der altgediente Ratsherr Hans Klose bei: „Ein Demokrat muss auch Rücksicht nehmen. Hier überdehnt jemand seine Rechte. Dann lassen wir eben die Gerichte entscheiden.“
Dass speziell Benedikt Rees „die kommunalpolitische Bühne missbraucht“, bescheinigte ihm Marcus Pott von Opladen plus. Roswitha Arnold (Grüne) stimmte dem Beschlussvorschlag des Oberbürgermeisters zu, um den Rat arbeits- und beschlussfähig zu halten. Es gehe um ein Stück Selbstschutz des Rates, ergänzte ihr Fraktionskollege Gerhard Wölwer. „Wir können nicht zulassen, dass Rat und Verwaltung sabotiert werden.“
Unterstützung erhielt Rees erwartungsgemäß von den anderen Einzelvertretern im Rat, die von der Neuregelung ebenfalls betroffen sind, sowie von der FDP und Bürgerliste. Deren Sprecher Karl Schweiger forderte die Ratsmitglieder auf, die langen Debatten geduldiger zu ertragen. Wer das nicht erdulde, solle sein Mandat abgeben und nach Hause gehen.
Für die FDP lehnte deren Fraktionsvorsitzende Monika Ballin-Meyer-Ahrens eine Änderung der Geschäftsordnung kategorisch ab. Nur weil einer seine Rechte überstrapaziere, würden alle Einzelvertreter bestraft. „Dies ist ein Armutszeugnis demokratischer Grundhaltung.“ Kenneth Dietrich nannte das Vorgehen des Oberbürgermeisters „unwürdig, dumm und falsch“. Mehr Demokratie zu wagen, sehe anders aus. Rees werde so in eine Opferrolle gedrängt, die ihm sicher ganz besonders gefallen werde, warnte die parteilose Gisela Kronenberg.
Und Markus Beisicht vom rechtsextremen Aufbruch Leverkusen, mit dem Rees sich am Rande der Sitzungen neuerdings demonstrativ gut versteht, kündigte an, gegen einen solchen Ratsbeschluss ebenfalls vor dem Verwaltungsgericht klagen zu wollen. Diese Abstrafung Andersdenkender sei ein Beispiel für eine ungehemmte Arroganz der Macht. So werde der Stadtrat zur „Volkskammer 2.0“.
Wenn sich einzelne Ratsmitglieder jeder Zusammenarbeit verweigerten und sich aus Prinzip querstellten, müsse dem ein Riegel vorgeschoben werden, um handlungsfähig zu bleiben, riet Stadtkämmerer Michael Molitor den Ratsmitgliedern. „Eine Demokratie ist immer auch wehrhaft.“ Wofür es Beifall gab.
Nach seiner Abstimmungsniederlage beklagte Rees in einer persönlichen Erklärung vom Rednerpult aus, eine permanente Aggressivität, Hetze und persönliche Verunglimpfung im Rat zu erleben. Er werde es daher nicht bei einer Klage beim Verwaltungsgericht belassen, sondern den Oberbürgermeister, den er später in der Sitzung persönlich als Oberhaupt eines Clans bezeichnete, auch wegen fortgesetzten Mobbings und systematischer Anfeindung anzeigen. Er sorge sich, diese dauerhafte Konfrontation körperlich und seelisch unbeschadet zu überstehen.