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ProzessLeverkusener hat keine Angst vor der Klinik, aber vor dem Gefängnis

Lesezeit 3 Minuten
Blick auf das Landgericht Köln.

Vor der 12. Großen Strafkammer des Kölner Landgerichts muss sich ein Leverkusener verantworten, der an Schizophrenie leidet.

Der 48 Jahre alte Mann erklärt seine fortgesetzten Attacken mit paranoider Schizophrenie. Die Ärzte sind sich nicht so sicher.

Als Gutachter Oliver Greif sein Gutachten erstattet, kann der Angeklagte nicht mehr. Jussuf L. (Name geändert) braucht am Nachmittag eine Pause. Bisher hat der psychisch kranke Mann den Prozess gegen ihn ganz gut durchgehalten. Allerdings hat er an diesem Donnerstag im Kölner Landgericht auch nur Leute gehört, die ihm wohlgesonnen sind.

Bei Greif ist das womöglich anders. Der Oberarzt an der LVR-Klinik in Düren ist nicht davon überzeugt, dass für den Leverkusener nur ein Aufenthalt in einem forensischen Krankenhaus infrage kommt. Danach aber sehnt sich der 48 Jahre alte Mann, der nach der Trennung von seiner Frau und den beiden kleinen Kindern ziemlich den Boden unter den Füßen verloren hat. Und das ist schon viele Jahre her. Allein zehn Jahre war L. schon in einer geschlossenen Psychiatrie. Später kamen diverse Aufenthalte in Gefängnissen dazu.

Auch jetzt ist L. in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm unter anderem besonders schwere räuberische Erpressung vor. Als solche gilt ein Vorfall am Bahnhof in Hilden im vorigen Februar. Dort hatte er sich auf einen flüchtigen Bekannten gestürzt und ihm – so dessen Aussage – ein Messer an den Hals gehalten.

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Tritt in den Rücken am Opladener Bahnhof

Im Vergleich dazu wirkt ein Vorfall am Opladener Bahnhof harmlos. Auf einem Video ist zu sehen, wie Jussuf L. über den Bahnsteig 1 geht, plötzlich kehrt macht und einer Frau von hinten in den Rücken tritt. Danach geht er weiter, als sei nichts geschehen.

Die 55 Jahre alte Wermelskirchenerin kann sich bis heute keinen Reim auf das Geschehen machen. Am Donnerstag berichtet von einem unbestimmten Stoß in den Rücken, der eine Zeitlang weh getan habe. Und von einem Fußabdruck. Sie sei an jenem Vormittag abgelenkt gewesen, weil sie auf die Anzeigetafel schaute und ihr Telefon in der Hand hatte. Dass es ein Tritt von Jussuf L. war, habe sie zunächst gar nicht mitbekommen. Aber: Schon auf dem Weg vom Bus aufs Gleis „hatte ich das Gefühl, dass mich jemand verfolgt“, sagt sie. Und in ihrem Kopf habe die schmerzhafte Begegnung mit dem Mann noch rund vier Monate nachgewirkt: „Ich konnte es nicht haben, wenn jemand hinter mir steht.“

Stimmen sollen ihm Befehle gegeben haben

Jussuf L. erklärt seine Attacke auf dem Opladener Bahnhof so: „Ich dachte, Sie telefonieren mit der Polizei.“ Was ihm wohl Angst machte. Erklären will er auch diese Tat mit Stimmen, die ihm etwas vorgeben, also mit typischen Symptomen einer paranoiden Schizophrenie. „Ich entschuldige mich bei Ihnen“, setzt der Angeklagte noch hinzu.

Die Diagnose allerdings ist ganz und gar nicht eindeutig. Das betont eine Betreuerin, die ihm mehr als zwei Jahrzehnte begleitet hat. „Die Ärzte waren sich da nicht einig.“ Deshalb sei er auch mit sehr unterschiedlichen Medikamenten behandelt worden. Ihre Beobachtung: Mit der Trennung von seiner Familie ist Jussuf L. „nicht gut zurechtgekommen“. Klar sei, dass er eine feste Struktur braucht, um sein Leben im Griff zu halten. Eine Wohnung hat er schon lange nicht mehr, immer wieder nimmt er harte Drogen. „Er hat Probleme, was durchzuhalten“, sagt die Betreuerin. Zu einer Empfehlung an das Gericht versteigt sich die erfahrene Frau freilich nicht.

Klinik ohne Zeitlimit oder Gefängnis mit Ablaufdatum? Zwischen diesen Lösungen wird sich die 12. Große Strafkammer entscheiden müssen. Und Jussuf L. befürchtet, dass er in den Knast gesteckt wird. Und dass ihn Gutachter Greif dem näher bringt.