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HaushaltNie gekannter Gewerbesteuer-Einbruch in Leverkusen

Lesezeit 4 Minuten
Schriftzüge von Lanxess und Bayer im Chempark

Lanxess leidet unter der schwachen Konjunktur, Bayer immer noch an Monsanto: Die Gewerbesteuer sprudelt dieses Jahr nicht wie geplant und bringt die Stadt in Not.

Statt 385 wird die Stadt in diesem Jahr nur 100 Millionen Euro von den Unternehmen bekommen.

Die Zahlen sind katastrophal. Am Montagnachmittag berichtete Stadtkämmerer Michael Molitor, wie viel weniger Geld in diesem und den kommenden Jahren in die Kasse fließen werden. In diesem Jahr sind die Zahlen gesichert: Nur 100 Millionen Euro Gewerbesteuer werden überwiesen – das ist Lichtjahre entfernt von den kalkulierten 385 Millionen. „Das fängt keine Haushaltssperre auf“, da ist Molitor ganz klar.

Dahinter stehen mehrere Probleme: Die Konjunktur und vor allem die chemische Industrie sind extrem unter Druck und zahlen viel weniger als geplant. Das liegt unter anderem an Gesetzesänderungen, mit denen die Bundesregierung die Unternehmen stärken will. Das bedeutet: Die Firmen können Rückstellungen für große Investitionen bilden. Das aber bedeutet, dass sie viel weniger Abgaben zu leisten haben, also auch Gewerbesteuer.

Eine geplante Großansiedlung in Leverkusen funktioniert nicht

Die nächste Ursache für das Finanzdesaster in nie gekannter Größenordnung ist eine Panne: Ein sehr großes Unternehmen hatte den Plan, sich in Leverkusen anzusiedeln. Aber das ist mindestens aufgeschoben. Und selbst wenn der Umzug in die Nähe des Bayer-Kreuzes noch klappen sollte – auf keinen Fall wird in diesem Jahr noch Gewerbesteuer fließen.

Dann berichtete Michael Molitor vom Fall eines großen Unternehmens, das „gerne“ Gewerbesteuer im zweistelligen Millionenbereich zahlen würde – wenn denn der Steuerbescheid des Finanzamtes ausgestellt wäre. Daran hapere es häufiger, so der Kämmerer.

Stadt musste zwei gigantische Steuerrückzahlungen stemmen

Andreas Sarasa, der das Ressort Finanzen verantwortet, berichtete ergänzend von zwei Gewerbesteuer-Rückzahlungen in jeweils „zweistelliger Millionenhöhe“. Ende April sei die erste Auszahlung an ein Unternehmen veranlasst worden, die zweite „im größeren zweistelligen Bereich“ am Dienstag, 6. August, habe dann „die Haushaltssperre ausgelöst“, so Sarasa.

Das geplante Defizit lag für dieses Jahr bei 18 Millionen Euro. Moderat für einen Haushalt mit 942 Millionen. Aber im Lauf des Juli ist dem Kämmerer klar geworden, dass diese Rechnung auf keinen Fall aufgehen kann. Am 2. August machten Molitor und Richrath eine Haushaltssperre publik. Sie soll für das gesamte restliche Jahr gelten. Auch das zeigt, wie dramatisch die Lage ist: Es ist durchaus vorgekommen, dass eine Sperre nach einigen Monaten vom Kämmerer wieder aufgehoben wurde. Damit ist nicht zu rechnen.

840 Millionen zu hohe Ausgaben bei 330 Millionen Eigenkapital

Vielmehr zeichnet sich ab, dass Leverkusen in den nächsten zehn Jahren finanziell nicht mehr handlungsfähig sein wird – wie in den vielen Jahren, in denen die Stadt von der Kölner Bezirksregierung kontrolliert wurde: mit Nothaushalten. Das galt zwölf Jahre; „diese Arbeit haben wir jetzt zunichtegemacht“, stellte ein konsternierter Stefan Hebbel fest. Der CDU-Fraktionschef fragte, wie die Spitze der Stadtverwaltung so überrascht werden konnte. Es sei doch klar gewesen, dass die Konjunktur nicht läuft, vor allem in der Leverkusen bestimmenden chemischen Industrie. Das Ergebnis sei „ein Systemzusammenbruch“, sagte Milanie Kreutz, die Vorsitzende der SPD-Fraktion.

Der Ausblick des Kämmerers bis 2028 fällt ebenfalls schlimm aus: Bis dahin würden 840 Millionen Euro mehr ausgegeben als eingenommen werden. Das Eigenkapital der Stadt beträgt gerade mal 330 Millionen Euro. Daraus folgt: Leverkusen muss völlig anders wirtschaften als bisher geplant. Und dabei wird die Bezirksregierung in Köln ein gehöriges Wörtchen mitreden.

Bei den Politikern herrscht pure Panik

Bei den Politikern aller großen Ratsfraktionen herrscht seit Montag Alarmstimmung. Angesichts riesiger anstehender Projekte verlangen sie von der Kämmerei Hinweise, was Vorrang haben soll – und was warten kann und muss. Aber dazu kam noch nichts. Auch nicht vom Oberbürgermeister. Uwe Richrath appellierte vielmehr, dass erreichte Standards nicht einfach über Bord geworfen werden sollten. Eine Stadt, die ihren Bürgern nichts biete und keine neuen anlocke, habe keine Zukunft. Auch keine wirtschaftliche.

Für Unmut bei den Gegnern der neuen Feuerwache Nord dürfte sorgen, dass die Stadt soeben weitere vorbereitende Planungen ausgeschrieben hat. Dieses Großprojekt kommt also erst einmal nicht auf die Warteliste.

Anders sieht es bei Dingen aus, die auf längere Sicht teuer werden könnten. Der Plan, die Stadtteilentwicklungsgesellschaft Wiesdorf/Manfort (SWM) ein weiteres Mal aufzubohren und ihr Tätigkeitsgebiet auf ganz Leverkusen auszudehnen, sollte auf Anraten der Kämmerei zurückgestellt werden: „Die Verwaltung schlägt vor, die Entscheidung über die Ausdehnung der SWM auf das gesamte Stadtgebiet in die Haushaltsplanberatungen zu verschieben, um diese Maßnahme – wie viele andere auch – im Lichte der aktuellen Haushaltslage bewerten zu können“, steht in einem Kommentar vom vorigen Montag. Das machte die Mehrheit aber nicht mit.

Klar ist trotzdem, dass die hundertprozentige Stadt-Tochter dafür weiteres Geld benötigen wird. Das kann Molitor mit Gewissheit sagen: Der Kämmerer ist neben Björn Krischick Geschäftsführer der SWM. Dabei muss es nicht mal der Ankauf einer großen Immobilie sein, wie es in Wiesdorf mit dem früheren und jetzt schon wieder leerstehenden Kaufhof geschehen ist. Den haben die Stadtentwickler über das Vehikel einer weiteren Tochterfirma übernommen und müssen sich jetzt etwas einfallen lassen für den Bau in den Luminaden. Stadtpolitik mit viel Geld – das wird Leverkusen ab sofort nicht mehr machen können.