Im Museum eröffnet jetzt mit „sein & haben“ eine bewegende Ausstellung, die von Bürgerinnen und Bürgern der Stadt konzipiert wurde.
Museum MorsbroichZehn Leverkusener stellen die Schau „haben & sein“ zusammen
Man kann davon ausgehen, dass die bei weitem meisten Leverkusenerinnen und Leverkusener von der Existenz des Museums in Morsbroich wissen. Womöglich ist einigen von ihnen sogar bewusst, dass das Haus vor der eigenen Türe das erste seiner Art in Deutschland war, in dem nach dem Zweiten Weltkrieg zeitgenössische Kunst gezeigt wurde. Eine Revolution. Ein mehr als wichtiger Fingerzeig in eine Zukunft, die besser werden sollte und besser werden musste.
Thekla Zell indes ist das noch nicht genug. Die Kuratorin in Morsbroich betont: „Auch wenn viele Menschen in dieser Stadt das Museum kennen, ist es ihnen wahrscheinlich gar nicht klar, dass es ihnen auch gehört.“ Sie besäßen es. Es sei schließlich Eigentum der Stadt Leverkusen.
Und somit Eigentum „nicht des Museumsdirektors oder des Oberbürgermeisters, sondern ihr Eigentum.“ Das zu verinnerlichen sei indes gerade in Zeiten, in denen rund um Morsbroich der ewige Geist des Elitären und der ausschließenden Hochkultur vertrieben und von Teilhabe ersetzt werden soll, umso wichtiger. Weshalb auch diese neue Ausstellung „haben & sein“ extrem von Belang sei.
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Die Kuratorin und ihre Mitspielenden
Die wurde nämlich nicht nur von Thekla Zell, sondern zehn Bürgerinnen und Bürgern oder zumindest Menschen mit einem besonderen Bezug zu Leverkusen und dem Museum zusammengestellt. Sie war die Kuratorin, die alles initiierte und anleitete. Die anderen waren Thekla Zells Mitspielerinnen und Mitspieler. „Für diese Bezeichnung haben wir uns bewusst entschieden“, sagt sie. Weil sie zeige, dass all das, was nun bis zum 25. Februar im Hause zu sehen sein wird, gemeinsam entstanden sei.
Der Plan: Thekla Zell sprach Menschen, Institutionen, Vereine Leverkusens an. Fragte, ob sie Lust und Zeit hätten, einen eigenen Raum im Museum zu gestalten. Und setzte sich dann mit ihnen jeweils hin, schaute die Sammlung durch – ungefähr 600 Arbeiten aller Art aus den Depots kamen in Frage dafür. Zell ließ ihre Mitspielenden auswählen. Und am Ende steht nun eben „haben & sein“. Inspiriert vom gleichnamigen Buch des Philosophen und Sozialpsychologen Erich Fromm, der darin der Frage nachgeht, was uns als Menschen ausmacht: Das, was wir besitzen? Oder das, was wir sind und wie wir agieren?
Beteiligt war sogar Bayer-04-Kicker Jonas Hofmann – auch wenn der, erst zu dieser Saison aus Mönchengladbach gekommen – höchstwahrscheinlich noch gar nicht allzu lange im Bilde ist über Morsbroich. Er sei mit Begeisterung bei der Sache gewesen, sagt Zell. Und: „Mit ihm habe ich mich einen Tag lang im Museum unterhalten und unsere Sammlung gesichtet – und dabei haben wir nicht einmal über Fußball gesprochen.“ Jonas Hofmann habe ihr gegenüber betont, dass er es liebe, sein Leben „mit schönen Momenten zu füllen“, von denen er die meisten in der Natur finde. Entsprechend wählte er für seinen Raum unter anderem ein riesiges Acrylgemälde Rob Schultes aus, das das Matterhorn zeigt. Zudem das „Skizzenbuch mit Krähe“, welches Fluxuskünstler Wolf Vostell 1974 unter dem schönen Titel „Leben gleich Kunst“ gefertigt hatte.
Ein ehemaliger Bayer-Betriebsrat wünscht sich Ausgeglichenheit
Ein Ur-Leverkusener ist Museums-„Mitspieler“ Rolf Nietzard, der 30 Jahre lang Betriebsratsvorsitzender und Aufsichtsratsmitglied der Bayer AG war. Er hat Ende der 70er, Anfang der 80er Jahr auch den Diskussionen des Künstlers Max Imdahl mit Mitarbeitenden des Bayer-Werkes beigewohnt – und entschied sich für ein Bild des Leverkusener Künstlers Peter Lorenz, „weil er aus der Stadt kommt und sein Vater Kurt zu den bedeutendsten Porträt-Künstlern überhaupt zählte“. Er wählte auch ein Ölgemälde von Dieter Krieg mit dem Titel „Fischkopf“ als Symbol für die „auf uns einprasselnde Flut an Eindrücken in unserem Alltag“, die zur Komplexität der Welt gehörten und in ihm den Wunsch nach Ausgeglichenheit weckten.
Gülüzar Büyrü-Yildirim wiederum betreibt den „Antalya-Markt“ in Manfort, wurde dort von Thekla Zell einmal aufs Mitmachen angesprochen, war sofort dabei – und sorgte für einen von vielen magischen und besonderen Momenten, den die Kuratorin Morsbroichs bei diesem Projekt erlebte: „Im Gespräch erfuhr ich, dass Frau Büyrü-Yildirim früher selbst Kunststudentin in Istanbul und Düsseldorf war“, ehe sie dann aus familiären Gründen ihren Lebensmittelladen übernahm und sich anderen Dingen widmete.
Sie erinnerte sich bei der Konzeption ihres Raumes an einen Wunschbaum, der in ihrem türkischen Heimatdorf zahlreiche Menschen anlockte: Sie banden Stoffschleifen – jede stand für einen Wunsch – an einen alten Baum und kamen regelmäßig zurück, um die Wünsche zu erneuern.
Stoffschleifen für den Wunschbaum
In ihrem Raum können Besucherinnen und Besucher nun ebenfalls, neben einer Fotografie des angesprochenen Baumes, Wunsch-Schleifen abgeben. Zudem hängt – symbolisch für den Originalbaum – eine Plastik aus Draht, Textilien, Öl und Holz von Bernard Schultze an der Wand. Und: Zwei Acrylarbeiten Joseph Beuys'. Denn: Der habe sich immer für eine bessere Welt, für gesellschaftliche Veränderungen, für mehr Gerechtigkeit und gegen die Diskriminierung von Minderheiten eingesetzt, was Gülüzar Büyrü-Yildirim seit jeher imponiert habe. Und was auch ihre Maxime sei.
Weitere Beteiligte an „sein & haben“ ist Olive, eine 19 Jahre junge Studierende der Archäologie und Musikvermittlung, die kürzlich im Museum ein Praktikum absolvierte und zudem den Jugendclub „Klub M“ der dortigen Kunstvermittlung mitgründete.
Mit dabei auch: der Leverkusener Postbote Peter Reich, OB Uwe Richrath, der mit der Auswahl in seinem Raum zeigt, wie wichtig ihm Toleranz und Miteinander in einer immer weiter auseinanderdriftenden Gesellschaft ist – etwa mit einer in viele unterschiedliche Richtungen verweisenden Skulptur Norbert Krickes.
Der autistische Dennis Dawid gibt Einblicke in sein Empfinden
Oder der autistische Dennis Dawid (22), der mit der Gestaltung seines Raumes möglicherweise am meisten von allen Beteiligten berührt und aufwühlt: Die von ihm ausgesuchten Bilder zeigen allesamt verschwommene, undeutliche, mitunter chaotische und wild durcheinander wirbelnde Strukturen – und sollen, so sagt Thekla Zell, zeigen, „wie er die Welt um sich herum wahrnimmt“. Mit Dennis Dawid zusammenzuarbeiten sei eine wundervolle Erfahrung gewesen, denn: „Er zeigte Teilhabe.“
Er habe vermittelt, dass er Zwischenmenschlichkeit wolle, benötige und auch einfordere – auch wenn er sich zwischendurch, wenn es zuviel wurde, immer mal wieder rausgezogen habe. Symbolisch dafür steht eine kleine Tür in seinem Raum angelehnt offen. Eine Zuflucht, wenn das Drumherum zu viel und herausfordernd wird. Dennis Dawids abschließender Satz auf dem von ihm selbst zu seinem Raum verfassten Informationstext: „Ich finde euch ALLE toll!“ Das ist ein großes, von viel Menschlichkeit, Zuneigung und Empathie zeugendes Bekenntnis zu Miteinander. Und irgendwie auch ein wunderbares Lob für eine der am meisten anrührenden und spannendsten Ausstellungen, die es im Museum zuletzt zu sehen gab.
Vernissage am 19. November
Die Ausstellung „sein & haben“ wird am Sonntag, 19. November, um 14 Uhr unter Beisein der meisten beteiligten „Mitspieler“ und „Mitspielerinnen“, die allesamt eigene Texte zu ihrer jeweiligen Auswahl an Kunstwerken verfassten, eröffnet. Sie ist bis zum 25. Februar 2024 zu sehen. Weitere Informationen im Internet.
www.museum-morsbroich.de