Der Angeklagte plädierte auf Notwehr. Doch das Landgericht Köln sieht die Schuld des Kiosk-Mitarbeiters als erwiesen an.
Landgericht KölnAngeklagter nach Kiosk-Totschlag in Leverkusen zu langer Haft verurteilt
Als der dritte und vorerst letzte Verhandlungstag am Montagmittag (14. November) im Prozess um den Totschlag in einem Kiosk in Leverkusen von der Richterin für beendet erklärt wird, stürmen mehrere Personen wutentbrannt aus dem Saal 27 im Landgericht Köln. Wiederholt werfen sie dem Angeklagten Duygu I. Beleidigungen an den Kopf. Unter anderem „Hurensohn“ und andere Phrasen, auch offenbar in türkischer Sprache.
Duygu I. bekommt davon nur Bruchstücke zu hören, weil er von den Justizwachtmeistern wieder abgeführt wird. Der 58-Jährige ist soeben zu einer achtjährigen Freiheitsstrafe in der 20. Großen Strafkammer verurteilt worden. Für das Gericht ist der Vorwurf des Totschlags erwiesen.
Der Verteidiger von Duygu I. wird selbst zum Ziel der Beleidigungen, auch wieder „Hurensohn“, als sein Mandant bereits nicht mehr im Saal 27 ist. Der Anwalt, inzwischen selbst aufgebracht, will, dass die Menschen, die ihn angegangen sind, entsprechend geahndet werden. Mehrere Justizwachtmeister müssen gerufen werden. Als sie zum Saal kommen, sind die Verantwortlichen für die Beleidigungen bereits verschwunden.
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Angeklagter in Leverkusener Kiosk-Totschlag plädiert auf Notwehr
Es waren Angehörige von Viktor D., für dessen Tod Duygu I. verantwortlich gemacht wird: Der 35-Jährige starb in der Nacht zum 30. April nach zwei Messerstichen, die der Mitarbeiter des Leverkusener Kioskes ihm dort im Zuge eines Streits zugefügt haben soll. Einer ging rund 17 Zentimeter tief ins Herz. Die Gerichtsmedizin nannte das beim vorherigen Verhandlungstag eine „unrettbare Verletzung“, die nicht zu überleben sei.
Der Anwalt von Duygu I. plädierte auf Notwehr. Schon als Viktor D. gegen 3.10 Uhr den Kiosk an der Lützenkirchener Straße in Quettingen betrat, sei dieser auffällig gewesen. Respektlos, drohend, beleidigend. Duygu I. musste ihn und weitere Gäste, darunter Freunde von Viktor D., unter anderem ermahnen. Sie standen vor dem Kiosk und seien zu laut gewesen.
Daraufhin soll Viktor D. dem Kioskmitarbeiter mehrmals das Wort „Hurensohn“ an den Kopf geworfen haben. Eine besonders schlimme Beleidigung für den türkeistämmigen Duygu I., betont sein Verteidiger. Viktor D. habe zudem gedroht, den Laden auseinanderzunehmen. Das 20 Zentimeter lange, einseitig geschliffene Küchenmesser, mit dem Viktor D. nachweislich der tödliche Stich in den Brustkorb zugefügt wurde, habe er nur aus Angst in die Hand genommen, sagte der Angeklagte. Aber niemals, um damit aktiv Schaden zuzufügen.
Vielmehr sei die Situation erst eskaliert, als zwei Kunden versuchten, Viktor D. mit Ohrfeigen zu besänftigen. Dieser rastete deshalb aus, schlug wild um sich. Dabei traf er auch Duygu I. am Kopf, dem Schwarz vor Augen wurde. In diesem Tumult sei es dann „unglücklich“ zu dem tödlichen Messerstich gekommen.
Überwachungskameras widersprechen für Landgericht Notwehr
Für das Gericht ist es jedoch eindeutig Totschlag. Ohne Tötungsabsicht, aber sehr wohl mit der Absicht zu verletzen. Dazu wird sich auf die Zeugenaussagen des vorherigen Verhandlungstages berufen, das gerichtsmedizinische Gutachten und vor allem auch auf Überwachungskameras. Das Geschehen wurde gefilmt, aus mehreren Perspektiven, teilweise auch mit Ton. Die Aufzeichnungen wurden am ersten Verhandlungstag Ende Oktober im Gerichtssaal gezeigt.
In den Aufnahmen ist ein Angeklagter zu sehen, der selbst mehrfach Beleidigendes sagt. „Fick dich, Bastardo“, auf Deutsch und Türkisch, sagte Duygu I. etwa zu dem Verstorbenen. Während er in den Schubladen hinter der Verkaufstheke nach dem Küchenmesser wühlt, ruft er „ich ficke deine Mutter“ in dessen Richtung.
Sie zeigen auch, wie sich Duygu I. aktiv mit dem Messer in der linken Hand auf den Tumult zubewegt. Obwohl er mehrere Meter entfernt steht, zunächst gar nicht Ziel der Schläge von Viktor D. ist. Und wie er sich dazu aktiv an Freunden des Verstorbenen vorbeischiebt, die versuchen, ihn zurückzuhalten.
Stichwunden können laut Gerichtsmedizin nicht „unglücklich“ geschehen sein
Es sei laut Gericht und Staatsanwaltschaft davon auszugehen, dass der tödliche Stich ins Herz in diesem Tumult erfolgte. Die Kameras zeichneten den zwar nicht auf, jedoch sind deutlich Stichbewegungen von Duygu I. in Richtung Viktor D. zu erkennen, auch als dieser schon im Eingangsbereich des Kiosks zusammengebrochen war. Der Angeklagte, selbst nüchtern, habe bewusst gehandelt.
Dafür spreche unter anderem, dass er im Anschluss ruhig das Messer reinigte und wegräumte. Und einem anderen Kioskmitarbeiter am Telefon erzählte, einen „verdammten Bastard“ abgestochen zu haben. Der Polizei gegenüber habe er wiederum ebenfalls einen ruhigen Eindruck gemacht und vermittelt, nichts mit der Tat zu tun zu haben.
„Unglücklich“, wie es der Verteidiger bezeichnete, seien die Stiche laut Gerichtsmedizin nicht gewesen. Um das Herz durch den Brustkorb zu treffen und eine 17 Zentimeter tiefe Wunde zu hinterlassen, muss bewusst und wuchtig zugestochen werden. Beim zweiten 10 Zentimeter tiefen Stich in die Hüfte von Viktor D. ist es ähnlich.
Duygu I., der bereits seit dem 30. April in Untersuchungshaft ist, bleibt damit weiterhin inhaftiert. Voraussichtlich acht Jahre, sofern er nicht mit seinem Verteidiger Einspruch gegen das Urteil einlegt. Dazu haben sie eine Woche lang Zeit.