Geflüchtete aus der Ukraine müssen zudem eine Antwort auf die Frage finden, ob die Zukunft in der Heimat oder doch in Deutschland liegt.
Ukraine-KriegAuch in Oberberg ist der Weg ins Arbeitsleben sehr beschwerlich
Auch in Oberberg spüren Geflüchtete aus der Ukraine den wachsenden Druck, eine Arbeit aufzunehmen – spätestens seit der entsprechenden Aufforderung durch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Doch das ist, trotz des Fachkräftemangels, komplizierter als es auf den ersten Blick erscheint. Zwei Ukrainerinnen und zwei Ukrainer aus Gummersbach, vier von 1,6 Millionen in Deutschland, alle mit qualifizierten Bildungsabschlüssen, schildern im Gespräch mit dieser Zeitung ihre Erfahrungen, Probleme und Hoffnungen.
Daria Poliakova ist müde. Hinter ihr liegt ein langer Arbeitstag in einer Catering-Firma, zu Hause warten ihr Mann und die drei Kinder aufs Abendessen. Eigentlich hat sie einen Universitätsabschluss in Wirtschaftswissenschaft, genau wie ihr Mann. In der Ukraine waren sie selbstständig, hatten eine eigene Firma, die unter anderem Kindermöbel produzierte. Es ist nicht nur die körperliche Erschöpfung, sondern auch die Frustration, die Daria Poliakova zu schaffen macht.
Die 44-Jährige sucht nach Worten. „Sie erlebt es als eine Abwärtsentwicklung“, springt ihr Mykola Skopych bei. Er ist von Beruf Elektroingenieur und betreut als Pastor eine ukrainische Gemeinde mit 300 Gläubigen und weiß, dass es auch anderen so geht wie eben Daria. Anders als die meisten ihrer Landleute aber haben Daria Poliakova und ihr Mann auf das Bürgergeld und einen Sprachkurs verzichtet. Bereits nach einem Monat in Deutschland hat das Paar angefangen zu arbeiten – der diplomierte Ökonom als Arbeiter in einer Hydraulikfirma, sie zunächst in einem Hotel, jetzt im Catering.
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Besonders für die Kinder und Jugendlichen aus der Ukraine ist Oberberg längst das Zuhause
„Wir dachten ja, der Krieg dauert nicht lange und wollten so schnell wie möglich wieder nach Hause“, erklärt Daria Poliakova auf Englisch. Aber der Krieg dauert an – und ihr Mann, der auf keinen Fall tatenlos zu Hause sitzen wollte, hat inzwischen Karriere im Betrieb gemacht und könnte sich vorstellen, hier zu bleiben. Für die Kinder – 17, 14 und neun Jahre alt – ist es überhaupt keine Frage, dass Oberberg bereits ihr Zuhause geworden ist.
„Viele Familien sind zerrissen, erleben zurzeit eine schwere Krise“, weiß Pastor Skopych. „Ein Drittel der Geflüchteten, die vor zwei Jahren kamen, ist entschlossen, zurückzugehen oder ist bereits zurückgekehrt, ein Drittel will in Deutschland bleiben, und ein weiteres Drittel möchte eigentlich zurück, sieht die schlechte wirtschaftliche und politische Situation in der Ukraine, integriert sich inzwischen täglich mehr.“ Und so blieben auch diese Menschen – auch wegen der Kinder – am Ende doch. Es sei eine große Unsicherheit, eine Zerrissenheit, die der Zukunftsplanung im Wege stünde.
Geflüchtete leiden unter vielen Brüchen in ihrem Lebenslauf
Aber nicht nur. Anders als andere Länder hat Deutschland entschieden: erst Sprachkurs, dann Arbeit. Mykola Skopych selbst wird im Laufe des Jahres seinen Sprachkurs mit Niveau B2 beenden und dann versuchen, Arbeit aufzunehmen, so wie – laut Bundesagentur für Arbeit – drei Viertel der Geflüchteten. Einer von ihnen ist der Mechaniker Vitalii Tyschenko. „Aber hier funktioniert das System ganz anders“, sorgt sich Ingenieur Skopych. „Es wäre gut, zwischen Sprachkurs und Arbeitsaufnahme ein Seminar zu besuchen und Informationen auszutauschen.“
Erst recht gelte das für Wirtschaftswissenschaftler wie Daria Poliakova und ihren Mann. „Wir wurden plötzlich aus unserem ganz normalen Leben herausgerissen. Für uns hat sich durch diese Brüche alle zwei Monate die Welt verändert“, gibt Skopych zu bedenken. „Wir müssen erst mal lernen, das Leben hier, auch das Berufsleben zu verstehen.“ Er wirbt um Verständnis: „Keiner soll glauben, dass wir nicht arbeiten wollen“, versichert er vehement. Im Gegenteil, die meisten wollten gern arbeiten.
Ukrainer in Oberberg kritisieren den komplizierten Zugang zum Arbeitsmarkt
Das zeigten auch die hohen Zahlen in anderen Ländern: In Dänemark arbeiten 78 Prozent, in Großbritannien ist es die Hälfte der ukrainischen Geflüchteten, in Polen sind es zwei Drittel, in Deutschland dagegen nur 25 Prozent. Der Zugang zum Arbeitsmarkt werde ihnen in Deutschland besonders schwer gemacht, findet Skopych. „Tatsächlich sind hohe bürokratische Hürden im Weg, in anderen Ländern ist es leichter.“ Die Anerkennung von Studien- und Berufsabschlüssen sei ebenfalls einfacher und daher – auch für die Behörden – schneller.
Fünf Monate dauerte es, bis Lehrerin Oleksandra Tyschenko und ihr Mann Vitalii die Übersetzung ihrer Diplome erhielten, seit weiteren fünf Monaten warten sie nun auf deren Anerkennung. Inzwischen hat die 35-Jährige ein halbes Jahr lang am Gummersbacher Lindengymnasium im Rahmen eines Projekts eine Integrationsklasse unterrichtet. Gerade verbessert sie ihre Sprachkenntnisse, hofft, im Sommer wieder eine Stelle als Lehrerin zu bekommen, vielleicht an einer Grundschule. Denn: „Meine Fächer sind leider Ukrainische Sprache und Literatur“, sagt sie und seufzt.
Die Zukunft? Daria Poliakova, als eine der 113.000 in Deutschland erwerbstätigen Geflüchteten noch eine Ausnahme und die einzige in der Runde, die im Berufsleben steht, fühlt sich in einer Sackgasse gefangen. „Weil mein Mann und ich von Anfang an arbeiten, müssten wir die Sprachkurse selbst bezahlen und alles andere auch. Ich hätte sehr gern eine qualifiziertere Arbeit - aber wie soll das gehen?“ Andere sähen in ihr ein Vorbild, suchten ihren Rat, will Mykola Skopych Mut machen. Sie selbst ist noch im Zwiespalt: „Mein Herz möchte nach Hause in die Ukraine zurückkehren. Mein Verstand sagt, dass es notwendig ist, hier ein Leben aufzubauen. Es ist ein Kampf zwischen Herz und Verstand.“