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Paddeln für JesusRheinischer Präses Thorsten Latzel auf Kanutour

Lesezeit 5 Minuten
Präses Thorsten Latzel 1

Präses Thorsten Latzel auf der Erft

Bedburg – Thorsten Latzel hat eigens trainiert. Paddeln gehört für den Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) ganz bestimmt nicht zum Kerngeschäft. Eher schon stellt man sich den leitenden Geistlichen als Steuermann auf einem immer noch gewaltigen Passagierdampfer vor. Aber genau diesem Image will der 51 Jahre alte Theologe wehren, der 2021 das Ruder der zweitgrößten EKD-Landeskirche übernahm: Runter von der Brücke, ran an die Menschen, rein ins Leben.

Latzels „Tour der Hoffnung“ einmal längs durch die rheinische Kirche ist deshalb betont bodenständig, basisnah konzipiert und dazu ausgesprochen sportlich. Da verbindet sich für Latzel das Angenehme mit dem Nützlichen. Nachdem er im vorigen Jahr mehr als 600 Kilometer auf dem Rad von Saarbrücken bis Wesel am Niederrhein unterwegs war, hat er sich diesmal für das Kanu entschieden: Sechs Flüsse in sieben Tagen, so lautet ein Claim, mit dem die Landeskirche Latzels Tour auf den Social-Media-Kanälen promotet.

Von Bergheim nach Wevelinghoven

Am zweiten Tag paddelt Latzel auf der Erft von Bergheim bis Wevelinghoven. Mit gleichmäßigen, kräftigen Schlägen treibt er sein grünes Einer-Kanu voran. Der Spaß an der Bewegung und – wenn es sein muss – auch der körperlichen Anstrengung ist ihm anzumerken. Mit kurzer Sporthose, Funktionsshirt, schwarzer Basecap und Neopren-Schuhen ist er passend ausstaffiert. Selbstverständlich packt er mit an, wenn die Kanus zum Einbooten vom Anhänger des Begleitfahrzeugs gehievt oder an einem Wehre vorbei getragen werden müssen.

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Präses Thorsten Latzel 2

Präses Thorsten Latzel 

Von einer wohltuenden Entschleunigung spricht er. „Auf diese Art unterwegs zu sein, das macht etwas mit einem.“ Klar, wer gerade etliche Kilometer auf einem renaturierten, idyllischen Flussabschnitt hinter sich hat, begleitet von einem Reiher mit schwerem Schwingenschlag und Eisvögeln, die in der Sonne smaragdgrün leuchtend von einem Ufer zum anderen fliegen – dem kommen solche Gedanken. Aber Latzel achtet sorgsam darauf, dass sein Unternehmen kein bloßer Activity-Trip zur besten Jahreszeit ist.

Gebet für tödlich verunglückten Kölner Schüler

Direkt an dem Wehr der Erft in der Bedburger Innenstadt, an dem Ende Mai ein 16 Jahre alter Schüler aus Köln mit einem Dreier-Kajak tödlich verunglückt war, hält Latzel ein Gebetsgedenken. „Gott, sei du bei allen Menschen, die um ihn trauern. Wir sehen, wie schön das Wasser sein kann, aber auch, welche Gewalt es hat.“ Er schließt auch den Toten eines Bootsunfalls auf dem Tegernsee Anfang der Woche ein – und alle, „die gerade im letzten Jahr unter der Flutkatastrophe haben leiden müssen und auch da ihr Leben gelassen haben. Wir wissen dann oft nicht, was wir sagen sollen, und können nur hoffen, dass du, Gott, diese Menschen weiter in deinen Händen hältst.“

Immer wieder erinnert Latzel an die Juli-Flut von 2021, die auch die Menschen an der Erft so schwer getroffen hatte. „Die Flüsse prägen uns als rheinische Kirche. Wir müssen lernen, anders mit dem Wasser zu leben.“ Er suche „bewusst Orte mit schrecklichen Fluterfahrungen“ auf, um „für das Leben der Menschen zu sensibilisieren, die an den Flüssen wohnen“.

Naturerlebnis als „Schöpfungserfahrung“

Zusätzlich führt er den religiösen Begriff der „Schöpfungserfahrung“ ein für das, was andere vielleicht prosaischer als „Naturerlebnis“ bezeichnen würden. „Pilgern auf dem Wasser“ nennt Latzel seine Kanutour. „Wenn ich so unterwegs bin, dann kann ich gut verstehen, dass Jesus mit seinen Jüngern umhergewandert ist. Wir sind als Kirche nicht nur Glaubens- und Erzählgemeinschaft, sondern auch Weggemeinschaft.“

Vier Prozent Mitgliederschwund pro Jahr

In der Bedburger Friedenskirche lässt Latzel sich von Erfahrungen des Wandels berichten und von Zukunftsaussichten, die alles andere als rosig sind. Mit vier Prozent Mitgliederschwund jährlich kalkuliere die Gemeinde, erklärt Pfarrer Martin Trautner und erwähnt im selben Atemzug, dass damit auch „derbe Verluste an Kirchensteuern“ einhergingen, die unter anderem zur Personalreduzierung zwängen.

In gut zehn Jahren, rechnet Trautner vor, sei von derzeit vier Pfarrerinnen und Pfarrern nur mehr eine übrig. Und das für eine Gemeinde, die durch Fusionen 2024 auf ein Gebiet von 142 Quadratkilometer komme. Das ist ein Fünftel der Gesamtfläche des Rhein-Erft-Kreises oder ein Drittel der Fläche Kölns. „Nur um mal die Dimensionen zu veranschaulichen.“

Von der Kirchensteuer unabhängig werden

Trautners Wunsch an den Präses: Das Landeskirchenamt in Düsseldorf möge den Faktor Fläche bei der Einrichtung der Planstellen berücksichtigen und das Bemühen der Gemeinden, sich durch Vermarktung von Immobilien schon heute „ein Stück weit unabhängig von der Kirchensteuer zu machen“, nicht durch allzu hohe bürokratische Hürden behindern. Die Zeit warte nicht auf die Zaghaften, zitiert Trautner aus einem modernen Gedicht.

„Ich merke die Leidenschaft“, erwidert Latzel. „Schicken Sie uns das nochmal im Einzelnen.“ Insgesamt sei – auch mit Blick auf etwaige weitere Gemeindefusionen und Strukturreformen – gewiss, dass die Kirche vor großen Herausforderungen stehe. „Wir müssen Gemeinde ganz neu denken und uns auch fragen, was wird ein Pfarrer, eine Pfarrerin künftig tun?“

Umstrittener Braunkohletagebau

Aus den Schilderungen des Bedburger Pfarrers bekommt Latzel mit, wie umstritten auch in den Kirchengemeinden der Region der Braunkohletagebau ist. „Wir stehen an der Seite der Bergleute“, sagt Trautner und wendet sich aufgebracht gegen das „ungeheure Gewaltpotenzial der Aktivisten“, die im Kampf gegen den Energiekonzern RWE die Abholzung des Hambacher Forsts verhindern wollten. Ein falsches Wort dazu von der Kirchenleitung aus Düsseldorf – und schon träten Gemeindemitglieder aus der Kirche aus.

„Ein schwieriges Thema“, befindet Latzel diplomatisch, zu dem es „verschiedene Positionen auch in unserer Kirche“ gebe. „Wir wissen, dass der Kohleabbau keine Zukunft hat, und dass wir im Einklang mit der Schöpfung leben müssen.“ Da ist Latzel ganz klar. Menschen trotz aller Kontroversen zusammenzubringen und miteinander im Gespräch zu halten, das sei die Aufgabe von Kirche.

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Er lerne sehr viel auf so einer Tour, resümiert Latzel in einer Etappenpause. „Ich kriege mit, was die Menschen umtreibt, und sie kommen anders mit mir in Kontakt, als wenn ich im Dienstwagen vorfahre“. Er wolle Gott nicht, wie es sonst in der Aufgabenbeschreibung für christliche Glaubensboten gern heißt, zu den Menschen bringen, sondern ihn „bei den Menschen entdecken“.

Nächstes Jahr dann auf der dritten „Tour der Hoffnung“ – und womöglich mit einer neuen Sportart. Drachenfliegen käme in Frage: nach Straße und Fluss mal hoch in die Lüfte. Oder Reiten, auf einem Esel vielleicht. Das wäre dann schon fast wieder jesuanisch.