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„Das Wasser bedankt sich“Experten für Gewässer in Bergisch Gladbach im Interview

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Auto im Garten 180821

Schwer von der Überflutung getroffen wurden die Anwohner der Odenthaler Straße. Der aus seinem Bett gekommene Hebborner Bach hatte am Hochwassertag sogar Autos mitgerissen.

Bergisch Gladbach – Durch das Hochwasser wurden auch in Bergisch Gladbach Keller und Erdgeschosswohnungen überflutet, Gebäude beschädigt. Claus Boelen-Theile und Matthias Niewels sprachen mit den bei der Stadtverwaltung für Abwasser und Gewässer Verantwortlichen Harald Flügge und Martin Wagner.

Mit dem Wissen von heute: Hätte die Stadt besser auf die Regenmassen vom 14./15. Juli reagieren können?

Wagner: Ganz ehrlich: Nein. Wir haben im Vorfeld die Rechen sehr genau im Blick gehabt, haben an die Anwohner der Gewässer appelliert, nichts Bewegliches stehen zu lassen. Das ist aus meiner Sicht auch alles gut gelaufen. Aber dann kamen die Regenmassen über einen Zeitraum, wie ich das noch nie erlebt habe.

Flügge: Wir reden hier statistisch betrachtet über ein Jahrtausendereignis. Das macht die Dimension klar, was hier passiert ist.

Wagner: Wir haben immer noch wie vor 20 Jahren 900 Millimeter Regen im Jahr pro Quadratmeter. Nur die Verteilung hat sich deutlich verändert. Wir müssen uns auf punktuelle, zeitlich sehr begrenzte Regenereignisse einstellen.

Die Gesprächspartner

Harald Flügge ist Erster Beigeordneter der Stadt Bergisch Gladbach und Leiter des Dezernats II. Dazu zählen die Fachbereiche Umwelt und Technik (FB 7) sowie Recht, Sicherheit und Ordnung (Fachbereich 3).

Martin Wagner ist seit vielen Jahren der Leiter des Abwasserwerks der Stadt Bergisch Gladbach. Dieser Aufgabenbereich ist dem Fachbereich Umwelt und Technik zugeordnet . Wagner ist auch Geschäftsführer des Strundeverbands. (cbt)

Aber inzwischen sind in Gladbach doch Millionen investiert worden.

Wagner: Da müssen wir mit einem Missverständnis aufräumen. Wir investieren viele Millionen Euro vor allem in unsere Regenrückhaltesysteme. Da geht es nicht um Hochwasser, da geht es um Ökologie. Wir installieren vor der Einleitung in die Gewässer Auffangbecken, die dafür sorgen, dass das Wasser relativ gleichmäßig fließt. In der Natur leisten das die Retensionsflächen und der mäandernde Gewässerverlauf. Aber es ist richtig, wir haben auch Hochwasserrückhaltebecken gebaut. Die Becken Hebborner Hof oder Kieppemühle, auch die Saaler Mühle, sind Hochwasserrückhaltebecken. Da haben wir aber nicht viele von.

Martin Wagner 180821

Martin Wagner, Leiter des Abwasserwerks der Stadt Bergisch Gladbach

Und dann funktionieren sie nicht richtig. Das Becken Hebborner Hof ist gar nicht vollgelaufen, weil vorher ein Damm gebrochen war.

Wagner: Das ist richtig. Aber hätte der Damm gehalten, wäre das Hochwasser mit der gleichen Wucht fünf Minuten später in die Innenstadt gelaufen. Für diese Mengen Wasser ist kein Becken der Stadt gebaut.

Wie hat sich denn das Hochwasserschutzprogramm „Strunde hoch vier“, also der Ausbau der Strunde bis zum Kölner Randkanal, ausgewirkt?

Wagner: Bis jetzt noch nicht sehr viel. Eine höhere Hochwassersicherheit, durch den rund 15  000 Kubikmeter fassenden Hochwassersammler, haben wir erst, wenn der zweite Teil von „Strunde hoch vier“ gebaut ist. Das ist die Strecke von dem Auslauf beim Klärwerk Zanders bis zum Kölner Randkanal. Derzeit ist hinter dem Auslauf von Zanders der Flaschenhals.

Harald Flügge 180821

Harald Flügge, Erster Beigeordneter der Stadt Bergisch Gladbach

Erklären Sie uns doch, welchen Durchmesser die neuen Rohre haben.

Wagner: Die alten Rohre hatten etwa einen Durchmesser von 1,20 Meter mal 1,20 Meter. Die neuen drei Meter mal drei Meter. Da kann ein kleiner Transporter durchfahren. Aber um das nochmal klar zu machen: Wir reden hier über die Teile der Strunde, die verrohrt sind. Das hat nichts mit dem Kanalnetz zu tun.

Flügge: Das sind rund neun Kubikmeter Wasser pro Sekunde, die durch die großen Rohre abfließen können. Wenn diese Leistung bis zum Randkanal abgerufen werden kann, ist das eine erhebliche Verbesserung des Hochwasserschutzes.

Wenn wir das richtig verstehen, dann hat das Klärwerk nichts mit dem Hochwasserkanal zu tun. Warum ist es trotzdem übergelaufen?

Wagner: Wir haben immer noch viel zu viel Fremdwasser. Fremdwasser heißt: Alte Anschlüsse an das Schmutzwassernetz, die da nicht hingehören. Das sind vor allem die Drainagen, die das steigende Grundwasser ins Schmutzwassernetz leiten. Da haben wir noch viel zu tun, diese Anschlüsse zu finden und zu kappen.

Flügge: Das Finden dieser Anschlüsse ist da gar nicht mal das größte Problem. Aber ohne diese Drainagen müssten alte Häuser, deren Keller nicht durch eine weiße Wanne geschützt sind, möglicherweise abgerissen werden.

Wagner: Genau. Wenn es geht, dann leiten wir deshalb das Wasser dieser Drainagen an die Gewässer, an die Strunde weiter. Aber das geht technisch nicht überall. Wir denken darüber nach, ein eigenes System für diese Drainagen zu bauen. Das wird dann auch viel Geld kosten.

Zurück zum Hochwasserschutz. Sie sagen, mit „Strunde hoch vier“ wird sich die Situation verbessern. Reicht das dann, um ein Hochwasser wie am 14. Juli aufzufangen?

Wagner: Klare Antwort: Nein. Noch mal: Wir reden von einem Jahrtausendereignis. Auch nach Fertigstellung des Hochwasserkanals wird es bei dieser Regenmenge zu Überschwemmungen kommen. Wir können keine Kanäle und Becken bauen, die das auffangen. Rechtlich gesehen ist jeder einzelne Bürger, der in einem hochwassergefährdeten Bereich lebt, verpflichtet, sich zu schützen. Machen aber nicht viele. Wir arbeiten an einer Hochwasser-Defizit-Analyse und dann werden wir auf die Bürger zugehen müssen.

Sie wälzen die Verantwortung auf die Bürger ab?

Wagner: Natürlich nicht. Aber wir als Stadt haben keine rechtliche Verpflichtung zum Hochwasserschutz. Was wir haben, ist eine Verantwortung – und die nehmen wir auch wahr. Der Punkt ist, dass Hochwasserschutz nur zusammen funktioniert. Nehmen sie etwa eine schöne Tiefgarage. Der Klassiker. Da ist der Bordstein abgesenkt, damit das Auto ohne Hopser einfahren kann. Das Wasser bedankt sich auch.

Aber der von ihnen propagierte Schutz führt doch nur dazu, dass das Wasser weitergeleitet wird. Womöglich auf Grundstücke, die bislang noch gar nicht hochwassergefährdet waren.

Wagner: Sehen Sie, es geht nur gemeinsam. Das Wasser muss dann von der Straße auf ein Gelände geführt werden, wo es sich ohne Schaden ausbreiten kann. Auf eine große städtische Wiese, ein Bolz- oder Spielplatz. Das Weiterleiten des Wassers ist eine große Aufgabe. Ich meine (wendet sich an Harald Flügge), wir werden nicht daran vorbeikommen, hier Personal einzustellen für diese Bürgerberatung.

Flügge: Jeder Eigentümer, in Bergisch Gladbach haben wir 26 000 Grundstücke, muss sich die Frage stellen, was kann ich gegen Hochwasser machen? Und da werden wir Beratung bereitstellen.

Wagner: Wir sollten uns auch überlegen, ob wir nicht flächendeckend für alle Grundstücke größer als 800 Quadratmeter Überflutungsnachweise von den Grundstückseigentümern einfordern. Da wird durchgerechnet, wie und ob sie bei einem Starkregen geschützt sind. Da können sie schon jetzt den Artikel über den lauten Aufschrei der Eigentümer schreiben. Das kostet nämlich Geld.

Richtig ist sicher, dass so nah an dem Hochwasserereignis es einfacher ist, Gesetze und Regeln zum Hochwasserschutz durch die politischen Gremien zu bekommen. Das Thema steht jetzt auf der Tagesordnung von etlichen Ausschüssen.

Wagner: Ich sehe tatsächlich jetzt ein Zeitfenster, um gemeinschaftlich Lösungen für den Hochwasserschutz auf den Weg zu bringen.

Flügge: Bei neuen Bauplänen werden wir sicher ganz konkrete Vorgaben zum Hochwasserschutz machen können. Das gilt aber eben nur für die Neubauprojekte.

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In einigen Kommunen wird über eine Art Hochwasser-Moratorium nachgedacht. Alle Planungsprozesse werden erst einmal gestoppt und auf die Hochwasser-Thematik überprüft.

Flügge: Das kann ja nur für die Bereiche gelten, in denen wir als Stadt nicht verpflichtet sind, Baurecht auszusprechen. Das Wort Moratorium erweckt den Eindruck, es wird jetzt so eine Art Baustopp verhängt. Das kann ich mir rechtlich nicht vorstellen.

Wagner: Ich meine, da ist auch der Gesetzgeber gefragt. Wir brauchen eine Zugriffsmöglichkeit auf private Flächen rechts und links unserer Gewässer. Wenn wir als Strundeverband belegen können, dass die Wiese xy des Eigentümers xy sich hervorragend als Retentionsfläche eignet, dann haben wir im Augenblick null Chance, diese Fläche gegen den Willen des Eigentümers zu bekommen. Trotz Entschädigungs- und Ausgleichszahlung. Beim Hochwasserschutz müssen wir insgesamt an sehr vielen Stellschrauben drehen.