Es ist die Todesangst in den letzten Minuten vor ihrer Rettung, dieses Gefühl, das Susanne Eich nie vergessen wird. Heute zählt der Blick nach vorne.
Hochwasseropfer aus BlessemZwei Jahre sind vergangen, seit ihr Haus verschluckt wurde
Der Kampf ums Überleben, der Gedanke, verdammt, wir schaffen es nicht, hier kommen wir nicht mehr lebend raus. Oder der Hubschrauber, der wie aus dem Nichts auftauchte, um sie vom Dach ihres Hauses zu bergen. Und letztlich all die Sachen, die sie an jenem Tag verloren haben.
„Nein, daran denke ich nicht mehr, ich versuche es zumindest“, sagt Holger Eich. „Um in die Zukunft blicken zu können“, ergänzt er mit entschlossenem Blick. Seine Frau, die neben ihm am Wohnzimmertisch sitzt, schaut ernst. „Ich würde sagen, man ist nicht mehr so unbeschwert wie vorher“, sagt sie wenig später. „Anfangs hätte ich das nicht gedacht, aber da gibt es etwas, das bleibt.“
Die Grube wurde zum weltweiten Symbol für die Katastrophe
Das Ehepaar aus Erftstadt hat bei der Flutkatastrophe im Juli 2021 sein ganzes Hab und Gut verloren. Den beiden gehörte das Haus im Stadtteil Blessem, das samt Grundstück in dem Hochwasser-Krater versunken ist. Die Fotos der Grube sind um die Welt gegangen. Sie wurden zum Symbol des Unglücks. Außer einer kleinen blauen Tasche mit Schlüsseln und einem Handy konnten die Eichs nur retten, was sie am Leib trugen. Und ihr Leben. Im letzten Moment.
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In den zwei Jahren, die seitdem vergangenen sind, haben sie sich eine neue Existenz aufgebaut. Sie sind in eine Mietwohnung in Hürth bei Köln gezogen – mit nichts. „Von der Unterhose über Ausweispapiere bis zum Sofa, alles mussten wir neu besorgen“, sagt Susanne Eich. „Was mir immer aber fehlen wird, sind die persönlichen Dinge: Familienfotos, die Kette meiner Oma, die zahlreichen Tagebücher, die ich früher geschrieben habe, und die ich im Alter noch einmal lesen wollte.“
Finanzamt will Grundsteuer für untergegangenes Grundstück neu berechnen
Auch die gebrochenen Versprechen, etwa die angeblich unbürokratische Wiederaufbauhilfe des Landes NRW, hätten den Neuanfang erschwert. Wochenlang mussten die Eichs den verloren gegangenen Hausrat auflisten und nach Zeitwert bewerten, um dann doch nur eine Pauschale zu erhalten. Eine Einzelfallbewertung sei nicht möglich, habe es geheißen, nachdem sie die Listen schließlich eingereicht hatten.
„Wir haben keinen Widerspruch eingelegt, weil einem irgendwann sonst die Kraft ausgeht“, sagt Susanne Eich. Zuletzt etwa habe das Finanzamt sogar Angaben für die Neuberechnung der Grundsteuer B des untergegangenen und nicht mehr nutzbaren Grundstücks verlangt. „Wieder waren wir gezwungen, alles zu erklären, mussten dann aber trotzdem die Angaben zur Neuberechnung liefern, damit endlich Ruhe war.“
„Es hat mich berührt, wie sehr an uns gedacht wurde“
Was Holger Eich vor allem empört, ist die schleppende juristische Aufarbeitung der Schlampereien und Fehler bei der mit Flutwasser vollgelaufenen Kiesgrube, durch die der Einsturz ihres Hauses verursacht wurde. „Da bekommt man die kalte Wut, dass da jetzt keiner schuld sein will“, sagt er. Gegen all diese Negativerfahrungen stünden aber auch zahlreiche positive Erlebnisse. Etwa die Hilfsbereitschaft im Freundes-, Bekannten- und Kollegenkreis. „Es hat mich berührt, wie sehr an uns gedacht wurde“, betont Susanne Eich. Eine Freundin aus Studienzeiten beispielsweise kam aus Süddeutschland angefahren. Mit einem Anhänger voller Dinge, die beim Neustart helfen sollten.
„Dass man nicht vergessen wird, das entfacht solch‘ eine emotionale Wucht, die kann ich nicht in Worte fassen“, sagt Holger Eich. Die Hilfsaktionen der kleinen privaten Organisationen beispielsweise. Oder die Mitarbeitenden der Stadtverwaltung in Erftstadt, die immer wieder mal nachfragten, ob sie noch etwas tun könnten. Die Bürgermeisterin habe sogar bei der Suche nach einem Grundstück geholfen, auf dem das Ehepaar mit dem Geld aus der Hausversicherung neu bauen möchte.
Im Februar kommenden Jahres soll die Bodenplatte des Fertighauses gelegt werden, das mit 140 Quadratmetern Wohnfläche geplant wurde. Weihnachten 2024 wieder im eigenen Haus, wie könnte sich das anfühlen? „Erst mal abwarten, ob alles klappt“, sagt Susanne Eich. Ihr Mann schaut zu ihr rüber, die Augen weit aufgerissen vor Glück strahlt er sie an: „Das wird toll, ganz bestimmt.“