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Hochwasser in Rhein-ErftFlutopfer verzweifeln beim Beantragen der Wiederaufbauhilfe

Lesezeit 4 Minuten
Zerstörtes Haus Flut Erftstadt-Blessem

Zahlreiche Häuser wurden durch die Flut zerstört.

Rhein-Erft-Kreis – Zu umfangreich, zu kompliziert – Bürger, die Wiederaufbauhilfe beantragen wollen, klagen über das Formular, das sie ausfüllen müssen. Sofern sie es kennen. Denn wer keinen Internetzugang hat, der schaut ohnehin in die Röhre.

Wer also beim Hochwasser Mitte Juli unter anderem auch seinen Laptop verloren hat, steht jetzt vor einem neuen Problem. Und für Menschen, die wenig oder gar keine Erfahrung mit dem Internet haben, sind die Hürden schier unüberwindbar – das dürfte vor allem ältere Menschen betreffen. Aber auch interneterfahrenen Nutzern treibt das Ausfüllen den Schweiß auf die Stirn.

Frank Rock und Carolin Weitzel schreiben Brief an Ministerium

„So ein Verfahren für die Auszahlung von viel Geld an die Bürger braucht eine klare Struktur. Wenn die nicht da ist, müssen Formular und Verfahren verbessert werden“, sagt Landrat Frank Rock (CDU). In einem Brief an die zuständige Ministerin in Düsseldorf, Ina Scharrenbach (CDU), bitten Rock und die Erftstädter Bürgermeisterin Carolin Weitzel, das Antragsverfahren zu überarbeiten. Rock appelliert an die Bürgerinnen und Bürger, Verständnis aufzubringen für das ein oder andere „Ruckeln“ bei der Abwicklung der notwendigen Bürokratie.

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Er sagt aber auch: „Ich kritisiere, dass der Antrag für Geld zum Wiederaufbau nur online gestellt werden kann. Es gibt Leute, die haben keinen Computer. Also muss das auch anders gehen.“

In Erftstadt und in Hürth können sich Antragsteller vor Ort beraten lassen

In Erftstadt und in Hürth können sich Antragsteller vor Ort beraten lassen, außerdem gibt es Hotlines für telefonische Unterstützung beim Ausfüllen der Online-Seiten. Und wieso kann ein Antrag nicht gemeinsam mit einer Beraterin oder einem Berater ausgefüllt und gesendet werden? Der Datenschutz, so heißt es, stehe dem im Wege. „Auch das muss möglich sein: Beraten, Ausfüllen und Senden“, sagt Landrat Rock. Die Antragsteller, die nicht klar kämen, dürften nicht allein gelassen werden.

Auch die Beraterin unter der Hotline-Nummer konnte nicht immer weiterhelfen. Sekretariats-Mitarbeiter Frank Kreidler (l.) und Bernd Rupprecht beim Selbsttest.

Rock will sich bei Ministerin Scharrenbach auch dafür einsetzen, dass sie geschulte Berater und Beraterinnen in die von der Flut besonders betroffenen Gebiete entsendet. „Es reicht nicht, Personal online in einem Schnellkursus zu schulen. Wir brauchen die Experten für die Antragstellung vor Ort.“ Immerhin gehe es ja oft um Zehntausende oder gar Hunderttausende Euro Steuergeld, die ausgezahlt werden sollten. Rund 12,3 Milliarden Euro stehen in Nordrhein-Westfalen für den Wiederaufbau zur Verfügung.

Blessemer: „Der Mitarbeiter konnte mir keine einzige Frage beantworten“

Jürgen Köllen hat sein Glück bei der Hotline der Landesregierung schon am Mittwoch vergangener Woche versucht. „Der Mitarbeiter konnte mir keine einzige Frage beantworten. Er hatte das Formular noch gar nicht gesehen“, berichtet der Blessemer. Das sei am Freitag besser gewesen, allerdings habe es da Probleme mit der Telefonanlage gegeben.

Manche Fragen kann aber vermutlich kein noch so gut geschulter Berater beantworten. Köllen besaß eine Zither, auf der schon seine Urgroßmutter gespielt hatte. „Das Instrument hat zwei Weltkriege überstanden, aber die Flutkatastrophe nicht.“ Der ideelle Wert sei gar nicht zu bemessen: „Was schreibe ich denn da hin?“

Erftstadt: Gutachter wusste nicht, dass er auf Liste steht

Für vieles, was das Wasser zerstört habe, gebe es längst keine Kaufbelege mehr. Da müsse er schätzen. Manche Fragen seien in schwer verständlichem Juristendeutsch gestellt, manche könne man einfach überspringen. 15 Dokumente könne man hochladen, allerdings dürften sie keine zu hohe Datenmenge haben. „Wer da nicht viel Routine am PC hat, kann schon verzweifeln, weil es nicht klappt.“

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Die Suche nach einem Gutachter, der die Schäden am Haus beziffert, ist noch einmal eine Herausforderung. Auf der Liste, die beim Antragsformular ist, stünden drei unter der Erftstädter Postleitzahl, sagt Köllen. Einer sei erst gar nicht ans Telefon gegangen, einer habe einen Termin im November angeboten, der dritte habe gesagt, dass er jetzt erstmal in Urlaub fahre. Der sei auch bass erstaunt gewesen, warum plötzlich so viele Leute anriefen – der Gutachter habe gar nicht gewusst, dass er auf der Liste steht.

Flutkatastrophe: Gutachter monatelang ausgebucht

Zwar gebe es die Möglichkeit, das Gutachten nachzureichen, aber: „Ich glaube nicht, dass irgend ein Sachbearbeiter meinen Antrag auch nur anfasst, solange das Gutachten fehlt.“ „Amateurhaft“ findet es der Blessemer, dass da einfach eine Liste mit Gutachtern aus der ganzen Bundesrepublik eingestellt worden sei.

Wer einen Schaden unter 50.000 Euro hat, muss drei Angebote von entsprechenden Fachfirmen vorlegen. Spätestens da wird es richtig schwierig: Manche Unternehmen weisen schon auf der Startseite ihrer Homepage darauf hin, dass sie in absehbarer Zeit keine Termine mehr freihaben.

Rhein-Erft-Kreis: Hier bekommen Flutopfer Hilfe

Die Landesregierung hat ein Servicetelefon eingerichtet. Die Mitarbeiter beantworten grundsätzliche Fragen zum Verfahren beim Beantragen der Hilfen für den Wiederaufbau. Das Servicetelefon ist montags bis freitags, 8 bis 18 Uhr, und samstags und sonntags, 10 bis 16 Uhr, unter 0211/46844994 zu erreichen.

Beratungsstellen gibt es im Rathaus in Erftstadt-Liblar, Holzdamm 10 und im Impfzentrum im Hürth-Park, Theresienhöhe 142. Wer Unterstützung beim Ausfüllen des Antrags braucht, muss einen Termin vereinbaren, die Hotline ist von montags bis freitags, 8 bis 18 Uhr, unter 02271/8322222 zu erreichen.