Rhein-Erft-Kreis – „Mein erstes Semester war eindeutig das beste. Da habe ich viele neue Leute kennengelernt und in unserer Clique entwickelte sich schnell ein motivierendes Miteinander. Wir haben uns gegenseitig beim Lernen unterstützt und hatten auch außerhalb der Uni viel Spaß. Genau so hatte ich mir das Studieren vorgestellt“, erzählt Jan Cibura. Doch in der Stimme des jungen Brühlers schwingt Wehmut mit. Denn die guten Erinnerungen beschränken sich auf das Wintersemester 2019/20.
„Als im April 2020 dann das Sommersemester begann, war nichts mehr wie vorher. Corona hatte fast über Nacht alles verändert. Wir sind zwangsweise zu Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfern geworden, die zu Hause wochenlang allein an ihren Schreibtischen saßen und sich irgendwie durchschlagen mussten.“ Daran habe sich bis heute nicht allzu viel geändert. Die Situation sei zeitweise ganz schön frustrierend gewesen, gibt der 23-Jährige zu. „Inzwischen bin ich froh, dass ich meinen Bachelor bald in der Tasche habe werde und dann ein neues Kapitel aufschlagen kann. Ein Studium in dieser Form muss ich wirklich nicht mehr haben.“
Brühler studiert an der Uni Köln
Diesen Monat muss Cibura, der an der Kölner Uni im fünften Semester Betriebswirtschaftslehre studiert, noch einige Klausuren schreiben. Sein sechstes und letztes Semester ist weitgehend für die Abschlussprüfungen und das Schreiben der Bachelor-Abschlussarbeit reserviert.
Trotz allem muss Cibura ein wenig schmunzeln, wenn er an die erste Phase seines Lockdown-Studiums zurückdenkt, in der Hals über Kopf fast alles auf digitale Lernformate umgestellt wurde. Das funktionierte nicht ohne Tücken. Einige Dozentinnen und Dozenten hätten zur Belustigung der Studierenden zuweilen verzweifelt mit den Einstellungen ihrer Kameras und Mikrofone zu kämpfen gehabt.
Uni Köln hatte nicht genug Videolizenzen
„Anfangs hatte die Uni auch noch nicht genügend Zugangslizenzen für die Videokonferenzen. Da war plötzlich Schluss, sobald sich der hundertste Teilnehmer in eine Online-Vorlesung eingewählt hatte Das hat sich aber schnell gebessert“, berichtet Jan Cibura.
Zuerst seien die Vorlesungen und Seminare vor dem heimischen PC auch noch ganz spannend gewesen. Doch die Neulust verflog schnell. „Wenn du nacheinander vier Vorlesungen hast und zu Hause stundenlang auf den Bildschirm starren musst, ist es schwer, die Konzentration hochzuhalten.“
Verlust der sozialen Kontakte wiegt schwer
Mindestens ebenso schwer wog bei Jan Cibura der Verlust der sozialen Kontakte, denn zeitweise waren neben den Hörsälen ja auch die Mensen, Kneipen, Kinos und Sportstätten dicht. „Manche stecken das besser, andere schlechter weg. Aber insgesamt leidet die Motivation fürs Studium nach meinem Eindruck schon sehr, wenn über so lange Zeit Gemeinschaft und Austausch fehlen.“ Cibura hat versucht, das Beste aus der Situation zu machen, indem er viele Praktika in der freien Wirtschaft absolvierte und als Werksstudent arbeitete. So lernte er Unternehmenskommunikation beim 1. FC Köln kennen. Demnächst geht es in die Düsseldorfer Deutschland-Zentrale des Kosmetik-Riesen L’Oreal. „Ich bin sicher, dass mir diese Praxiserfahrungen mindestens ebenso nützlich sind wie die Theorie“, meint Jan Cibura, „das Master-Studium habe ich deshalb erstmal auf Eis gelegt. Ich möchte jetzt raus aus der Uni und rein ins richtige Leben.“
Dabei wir ihm die Einschätzung von Rainer Imkamp sicherlich Mut machen. Der Geschäftsführungsvorsitzende der Arbeitsagentur in Brühl betont, dass viele Unternehmen auch in der Pandemie händeringend nach qualifizierten Fachkräften suchen. Das gelte auch für Akademikerinnen und Akademiker: „Die Pandemie hat Transformation der Wirtschaft deutlich beschleunigt. Dass die Studierenden bereits Erfahrung mit digitalem Lernen und Arbeiten gesammelt haben, wird ihnen in der Arbeitswelt von morgen sicherlich sehr nützlich sein.“
Kerpener Dozent: Umstellung ein echter Kraftakt
Einer, für den die Hochschule auch in Corona-Zeiten das richtige Leben ist und bleibt, ist Christian Pohlmann. Der FDP-Kreispolitiker aus Kerpen ist hauptberuflich Politikwissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen und Experte für Außenpolitik. Auch er hat miterlebt, wie das Virus den Hochschulalltag verändert hat. „Die plötzliche Umstellung auf digitale Lehrformate war anfangs schon ein echter Kraftakt.
Zum Glück ist es zumindest an unserer Uni ganz gut gelungen, die Serverkapazitäten zügig zu erweitern und technischen Voraussetzungen zu schaffen. Doch nicht wenige Dozentinnen und Dozenten mussten den optimalen Umgang damit selber erst einmal mühsam erlernen“, so Pohlmann. Speziell die Belastungen für die Studierenden möchte ich aber nicht kleinreden, zumal viele ja auch ihre Nebenjobs verloren haben.“
Dass nach der Pandemie alles wieder wird wie früher, kann sich Pohlmann nicht vorstellen, und er wünscht es sich auch nicht. „Digitales Lernen und Arbeiten bietet ja auch Chancen. Aufzuhalten ist die digitale Transformation ohnehin nicht; die Pandemie hat den Wandel nur beschleunigt.“ Trotzdem sehnt der Politikwissenschaftler auch die Zeit herbei, wo wieder mehr Präsenz-Veranstaltungen möglich werden: „Denn Forschung und Lehre leben eben auch von der direkten Kommunikation, vom persönlichen Austausch, von der lebendigen Diskussion. Und da kann die Videokonferenz die Begegnungen von Mensch zu Mensch nicht ersetzen.“