Bettina Heinrichs-Müller im Interview„Ich fordere ein Umdenken von Kardinal Woelki“
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Rhein-Sieg-Kreis – Der Kreiskatholikenrat wendet sich offen gegen Kardinal Rainer Maria Woelki und zieht sich aus dem Projekt Pastoraler Zukunftsweg einstweilen zurück: Die Vorsitzende des Gremiums Bettina Heinrichs-Müller fordert im Gespräch mit Andreas Helfer Ehrlichkeit und plädiert für einen neuen Umgang miteinander.Dem Bonner Stadtdechant Picken zufolge war die Stimmung an der katholischen Basis noch nie so schlecht. Teilen Sie die Meinung?Heinrichs-Müller: Ich sehe da unterschiedliche Schwingungen. Der Umgang mit den Missbrauchsfällen und dem Betroffenenbeirat hat alle in eine Anspannung versetzt, es gibt eine Vertrauens- und Kommunikationskrise. Das zeigt auch ein aktueller Beschluss des Kreiskatholikenrats vom Montagabend: Die Mitarbeit am Pastoralen Zukunftsweg des Erzbistums soll ausgesetzt werden, weil aufgrund der ungeklärten Missbrauchsaufarbeitung im Erzbistum Köln keine hinreichende Akzeptanz vorhanden ist. Auf der Ebene der Gemeinde gab es aber auch viele Anstrengungen, trotz Corona ein schönes Weihnachtsfest zu bereiten. Bei allem war da auch eine Freude des Glaubens festzustellen.
Was erwarten Sie von Woelki?
Der Diözesanrat hat sich dazu eindeutig positioniert. Alle Fakten müssen auf den Tisch gelegt werden, ohne Wenn und Aber. Das Zaudern um das Gutachten, die Versuche, Rechtssicherheit herzustellen, viel Geld für Kommunikationsberater auszugeben, das sind nicht die Maßnahmen, die ein neues Vertrauen und einen neuen Umgang herstellen. Ich erwarte Ehrlichkeit und das Versprechen einzulösen, die Fälle sexualisierter Gewalt und Missbrauch komplett zu untersuchen und den Betroffenen zugänglich zu machen. Darüber müssen auch Basis und Erzbistum neu miteinander ins Gespräch kommen. Ich fordere keinen Rücktritt von Kardinal Woelki, aber ein Umdenken. Ein neuer Stil und eine neue Ehrlichkeit sind wichtig. Wer hat den Mut, den Hebel umzulegen? Das ist die entscheidende Frage.
Bettina Heinrichs-Müller ist 53 Jahre alt und studierte Diplom-Theologin. Seit 2010 gehört sie dem Pfarrgemeinderat Sankt Servatius Siegburg und dort seit 2017 dem Vorstand an. Seit 2018 ist sie Vorsitzende des Kreiskatholikenrats und stellvertretende Vorsitzende des Diözesanrats. Von 1999 bis 2002 absolvierte sie den Diakonatskurs I des Netzwerks „Diakonat der Frau in der katholischen Kirche“ und ist Wortgottesdienstleiterin. Hauptberuflich arbeitet sie als Verwaltungsangestellte in der Pressestelle des Rhein-Sieg-Kreises, ist zudem Familienmediatorin und sachkundige Bürgerin im Siegburger Rat. Heinrichs-Müller ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern. (ah)
Warum fällt Aufklärung so schwer, werden Kritiker gemaßregelt?Ich glaube, dazu muss man weit zurückblicken. 1989 wurde die Kölner Erklärung wider die Entmündigung für eine neue Katholizität veröffentlicht, daran kann ich mich gut erinnern, weil ich damals Studentin war und die Professoren uns Studierende zu einer Diskussion eingeladen hatten. Aber es gab in der Kirchenhierarchie auch die Angst, die Grundlagen des Zweiten Vatikanischen Konzils umzusetzen, die Öffnung zur Welt und einen neuen Dialog. Stattdessen wurde der Glaubens- und Treueeid für Kardinäle, Bischöfe, Pfarrer und Theologieprofessoren eingeführt. Über das Glaubensbekenntnis hinaus wurde ein Bekenntnis zum Kirchenrecht verlangt, nicht aber zum Evangelium, zur Nachfolge Christi und zur Verpflichtung gegenüber dem Glaubensvolk. Strukturen und Konservatismus wurden gefestigt, ein blinder Kadavergehorsam gefordert.
Angst ist kein guter Berater. Wie hat sie sich ausgewirkt?
Ich habe immer wieder erlebt, wie Menschen unter Druck gesetzt oder ausgebremst wurden. Wer sich für das Frauendiakonat einsetzte, wurde zum Schweigen gebracht. Jetzt erlebten wir das mit Pfarrer Klaus Koltermann, dem Illoyalität zur Kirche vorgeworfen wurde, als er Woelki kritisierte. Doch es gab auch eine große Welle der Solidarität durch andere Pfarrer und Gläubige. Die Personalabteilung hat die Vorwürfe zum Glück fallen gelassen, vielleicht gibt es da ja sogar einen Sinneswandel.
Zeigt sich die Kommunikationskrise auch andernorts?
Beim Pastoralen Zukunftsweg zum Beispiel wurden die Menschen zur Mitarbeit eingeladen. Jetzt aber vermissen sie, dass sich das auch im Ergebnis widerspiegelt. Man hätte das in den Gemeinden diskutieren müssen. Mittlerweile reden wir nur noch über Strukturen, die Zusammenlegung von Pfarreien etwa. Aber nicht über das, was Gemeindearbeit ausmachen kann. Es gibt die Tendenz, den Ausgang von Prozessen kontrollieren zu wollen.
Was kommt dabei zu kurz?
Ganz allgemein die Gestaltung eines guten, aktiven Glaubenslebens. Man beschäftigt sich nur mit Strukturen und Abläufen. Eine aktive Jugendseelsorge wäre sehr wichtig, aber das bleibt auf der Strecke. Oder eine Diakonie, die in der Gemeinde verankert ist und nach außen geht, den Kontakt zu Menschen hält, die zum Beispiel jetzt ihr Zuhause nicht verlassen können. Dafür bin ich eigentlich angetreten. Die Kirche muss eine starke Stimme zu den großen gesellschaftlichen Themen behalten, zu künstlicher Intelligenz, Flüchtlingsfrage oder Klimakrise. Dazu kommt man nicht, weil man ständig mit anderem befasst ist, sei es die Missbrauchsfrage oder der Pastorale Zukunftsweg. Das ist schon traurig.
Wenn die Kirche Stimme und gesellschaftliches Gewicht haben möchte, ist es unumgänglich, die Frauen voll einzubinden. Da wird viel zu wenig getan. Junge Frauen fragen sich, was soll ich da, ich habe da doch keine Macht. Doch die Kirche ist auf junge, kluge Frauen angewiesen, die Dinge nach vorne tragen. Stattdessen wird die Kirche zu einer Parallelwelt mit einer Art absolutistischen Monarchie. Menschen müssen an Entscheidungsprozessen teilhaben, sie wollen wissen, wofür sie sich einsetzen. Im Erzbistum sollte man die Angst hinter sich lassen, Mut haben und Vertrauen schöpfen. Gerade die globale katholische Kirche hat alle Voraussetzungen, den Menschen Heimat zu geben, sie intellektuell, mit dem Herzen und sinnlich anzusprechen. Wer in anderen Ländern Frauenrechte einfordert, muss selber Vorbild sein.
Immer weniger junge Männer wollen Pfarrer werden. Steht die Seelsorge vor dem Aus?
Eine spannende Frage, auch da muss über Frauen und Dienste in der Kirche gesprochen werden wie auch über die Priesterausbildung. Vor dem Aus sehe ich die Seelsorgearbeit in der Region zumindest nicht. Der Kreiskatholikenrat arbeitet sehr gut mit Kreisdechant Hans-Josef Lahr zusammen, in Siegburg zum Beispiel ist dies, wenn ich das als Siegburgerin sagen darf, Pfarrer Karl-Heinz Wahlen. Beide sind gute, gestandene Seelsorger, die ein aktives Gemeindeleben erhalten und vorantreiben wollen.
Pfarrerin zu sein, wäre das für sie als Theologin eine Option?
Ja natürlich, was gibt es Schöneres, als mit Menschen so zu arbeiten? Mich prägt auch die Diakonatsausbildung, die ich gemacht habe. Kirchliche Gremien habe ich früher eigentlich immer gemieden, da hatte ich Angst, den Glauben zu verlieren. Das ist nicht passiert, aber ich habe viele Einblicke gewonnen.