Ihr Revier ist in DattenfeldFörsterin Bärbel Zingsem will den Wald wiederbeleben
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Dattenfeld – Bärbel Zingsem hat den nahenden Tod gerochen. Frisch-herb mit einer würzig-scharfen Note drang er mitten in ihr Herz. „Ekelhaft“, sagt die Försterin. Fichten und Borkenkäfer lieferten sich in ihrem Wald im Sauerland im vergangenen Jahr ein erbittertes Duell. Die Bäume sonderten Baumharz ab so viel sie konnten, um das Getier aus den Gängen in ihrer Rinde zu spülen. Die Käfer verströmten ihr Paarungspheromon, einen Botenstoff, der den Artgenossen signalisierte: „Kommt her, hier gibt’s genug für alle.“
Um Pfingsten herum sei das gewesen, erzählt Zingsem, eine junge Frau mit locker zum Zopf gebundenem Haar und waldtauglichem Outfit. Es war heiß und trocken, seit vielen Tagen, wie so oft in den letzten drei Jahren. „Man konnte sehen, wie der Ostwind die Käfer in die Wälder wehte. Alles war noch grün, aber ich wusste, der Wald ist tot.“
Zur Serie
Als man im März die Ergebnisse der Waldzustandserhebung 2020 vorstellte, wurde deutlich, dass der Wald schwer krank ist. In einer Serie beleuchtet der „Kölner Stadt-Anzeiger“ verschiedene Aspekte des Natur-, Wirtschafts- und Erlebnisraums Wald .
Dunkelbrauner Bohrstaub lag am Fuße der Bäume, als hätte jemand Kaffeesatz ausgestreut. Wenn Zingsem ein Ohr an einen Fichtenstamm legte, konnte sie die Käfer bohren hören. Sie fraßen sich hinein in das Gewebe zwischen Rinde und Holz, in dem Wasser und Nährstoffe transportiert werden. Ein halbes Jahr später sah auch der Laie: Die Käfer haben gesiegt.
In den Wäldern im Rhein-Sieg-Kreis Traumberuf gefunden
Seit dem 1. April ist die 29 Jahre alte Försterin und Jägerin nun als Leiterin des Forstbetriebsbezirkes Dattenfeld zurück in der Heimat an der Sieg. In dem Privatwald, den sie im Sauerland betreute, werden noch immer abgestorbene Fichten gefällt. Zingsem ist froh, nicht mehr dabei sein zu müssen. Das Rheinland sei zwei Jahre weiter. Die toten Bäume wurden hier größtenteils schon herausgeholt aus den Wäldern. Das Holz, für das es in Hochzeiten 100 Euro pro Meter gab, brachte auf dem restlos überschwemmten Markt zuletzt nur noch 30 bis 40 Euro.
Zingsem wuchs in Hennef-Adscheid auf. Als Kind stromerte sie mit dem Hund der Nachbarn durch die umliegenden Wälder. Dann erwachte ihr Interesse für das Ökosystem Wald: „Da hatte ich ein Rettet-den-Planeten-Feeling, hätte es damals die Fridays for Future schon gegeben, wäre ich voll mit dabei gewesen.“
In den Wäldern des Rhein-Sieg-Kreises lernte sie im Rahmen eines Bundesfreiwilligendienstes auch ihren Traumberuf kennen. Und bei der Gräflich Nesselrodschen Forstverwaltung absolvierte sie am Ende ihres Studiums der Forstwirtschaft ihr Praxis-Semester.
Sie hängte sich rein in ihr Studium, sog alles auf, was ihr an Konzepten vermittelt wurde: Sie schwärmt von „Waldbaukonzepten für die Überführung nicht standortgerechter Fichtenbestände in einen gesunden Mischwald“. Sie hatte große Pläne, wollte sich den langsamen Umbau unserer Wälder zur Lebensaufgabe machen.
Doch nun steht Zingsem vor leeren Flächen. Die 60, 70 Jahre alten Fichten sind weg. Alle auf einmal, statt langsam nach und nach im Gleichklang mit der Aufzucht junger Bäume. „Im Sauerland war ich fassungslos“, sagt sie. „Da war richtig Trauerarbeit nötig, das war Katastrophenmanagement. Als der Harvester kam mit den Maschinen und die Bäume holte, tat das so weh.“ Sie klopft sich mit einer Hand auf ihr Herz. „Ich bin froh, dass ich diesen Wald hier nicht so genau gekannt habe, als die Fichten noch grün und gesund waren. Sonst könnte ich wahrscheinlich nicht so positiv über die anstehende Aufgabe sprechen.“ Mit den Fichten ist auch ihr Lebensplan gestorben. Statt „langfristiger Umbau des Waldes“ lautet er nun: „Wiederbewaldung der großflächigen Störungen.“
Den Hang, auf dem sie heute unterwegs ist, hat ihr Vorgänger bereits mit Kirschbaum-Setzlingen bepflanzt. Dazwischen wachsen ein paar junge Fichten, die Nachkommen der vom Borkenkäfer ausgerotteten Generation. Einige werden stehenbleiben dürfen. Vielleicht hat sich ihr Erbgut ja schon so verändert, dass sie besser klar kommen mit dem vom Menschen gewandelten Klima. „Lärche, Birke und Faulbaum, Holunder und Brombeere“, Zingsem zählt auf, was sich noch alles ausbreiten wird. „In fünf Jahren stehen wir hier vor einem Dschungel.“
Als Försterin hat sie die Männer im Wald im Griff
Ein bisschen unwegsam ist es schon jetzt auf dem Hang. Und irgendwo hat die Försterin ihre Spraydose zum Markieren der Bäume abgelegt. „Cara, such verloren“, sagt Zingsem. Und ihre dunkelbraune Deutsch-Drahthaar-Hündin rennt los. Es dauert nicht lange, dann kommt sie schwanzwedelnd wieder angesaust. Im Maul die vermisste Dose. Cara strotzt vor Kraft und Spielfreude. Hartnäckig platziert sie Stöckchen vor jedermanns Füßen, in der Hoffnung, einem Wurf nachjagen zu dürfen. Sie stürmt in einen Bach und lässt das Wasser spritzen, rennt voraus, munter und ausgelassen. Doch ein Wort von Zingsem, und sie hört, anstandslos. Cara ist ein ausgebildeter Jagdhund – und Zingsems Leibwächterin im Wald. „Sie beschützt mich, mit ihr fühle ich mich immer sicher.“
Die Herren im grünen Zwirn bei einer Jagd oder ihre Waldarbeiter hat Zingsem im Griff. „Wenn ein derber Spruch kommt, gibt es einen derben Spruch zurück“, sagt sie: „Ich weiß die Männerwelt zu nehmen, es ist nur wichtig, dass ich kompetent, transparent und verlässlich bin.“
In ihrem Revier trifft sie aber oft genug auf Menschen, die es mit den Waldgesetzen nicht so genau nehmen. Fahren, Feuer machen oder Rauchen im Wald muss sie besonders häufig untersagen. „Da ist es dann gut, wenn ein Begleithund dabei ist, der etwas her macht.“
Auf die Nachkriegsgeneration, die Fichten in rauen Mengen in unsere Wälder pflanzte, will Zingsem nicht schimpfen. Im Gegenteil: „Wir waren Kriegsverlierer. Wir mussten alles Holz abgeben. Die Menschen damals haben dann mit dem Wenigen, was sie hatten, so unglaublich viel Bauholz in den Boden gebracht. Davon profitieren wir heute, auch deshalb sind wir ein reiches Land geworden.“ An Klimawandel, Artenschutz und Borkenkäfer sei damals eben noch nicht gedacht worden.
Nun ist es an Bärbel Zingsem, der nächsten Generation auf ihren Flächen einen gesunden Mischwald zu hinterlassen. Einen Wald, der die Fehler des Menschen hoffentlich verzeihen kann und den Klimawandel aushält. „Ich sehe es auch als Chance. Das hat etwas mit Schöpfung zu tun.“