„Extinction Rebellion“Wieso sich eine Niederkasselerin der Protestbewegung anschloss
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Müll vermeiden, regional einkaufen, weniger Fleisch essen, aufs Fliegen verzichten – viele kleine Schritte sind nötig, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu drosseln.
In unserer Serie „Prima Klima“ stellen wir Menschen und Initiativen vor, die sich um einen nachhaltigen Lebensstil bemühen.
In dieser Folge: Die Heilpraktikerin Heike Prassel will dem Klimawandel nicht untätig zuschauen.
Niederkassel – Auf dem Küchentisch liegt ein Buch mit einem Cover in Pink. Es ist die Farbe des Protests. „Wann wenn nicht wir?“ heißt das Handbuch zu „Extinction Rebellion“ (XR), zu deutsch: Aufstand gegen das Aussterben). Ihm hat sich Heike Prassel angeschlossen. „Als erwachsene Schwester von ,Fridays for Future’“ bezeichnet die 52-Jährige diese noch junge Protestbewegung, die sich Ende 2018 in Großbritannien gründete.
Die Mutter von zwei Söhnen (14 und 23 Jahre) wird in der Bundeshauptstadt dabei sein. „Es wird Umleitungen geben, die Leute sollen ja weiter zur Arbeit kommen. Wir wollen keinen Ausnahmezustand. Es geht darum, das System zu stören, keineswegs darf man aber Menschen gefährden“, sagt Heike Prassel, die diese Aktionen gleichwohl als Gratwanderung bezeichnet.
Die begann in diesem Sommer, als die Niederkasselerin, die als Lern- und Verhaltenstherapeutin an einem Institut in Bonn sowie als Integrationshelferin an einer Grundschule arbeitet, von ihrem Chef in ein Gespräch über die brennende Arktis und tauenden Permafrostböden in Sibirien verwickelt wurde. Neugierig beobachtete sie die Besetzung der Deutzer Brücke durch „Extinction Rebellion“. Und machte bald selbst mit, etwa auf dem Siegburger Stadtfest, als die Aktivisten der Bonner Ortsgruppe sich in der Fußgängerzone plötzlich auf den Boden legten, um bei einem „Die-in“ auf das Artensterben und das drohende Ende der Menschheit hinzuweisen.
Keine Schuld zuweisen, niemanden beleidigen
„Anfangs habe ich bei solchen Aktionen noch etwas gefremdelt“, gibt Heike Prassel zu. Inzwischen komme ihr es aber selbstverständlich vor, das T-Shirt mit dem Logo der Bewegung überzustreifen (eine Sanduhr in einem Kreis), in der Gruppe lautstark zu trommeln, auf dem Bonner Münsterplatz bei einer „Klimawache“ eine Ansprache zu halten oder einen Fußgängerüberweg für drei Ampelphasen zu blockieren. In dieser Zeit werden Flyer an die Autofahrer verteilt.
Dass dabei auch Abwehrreflexe hervorgerufen werden können, räumt die Heilpraktikerin für Psychotherapie ein. Dabei will „Extinction Rebellion“ maximale Aufmerksamkeit erreichen, aber nicht auf Konfrontation setzen. „Ganz wichtig ist uns, keine Schuld zuzuweisen und niemanden zu beschimpfen oder zu beleidigen. Ich kenne doch nicht die Motive, aus denen heraus jemand einen SUV fährt. Vielleicht ist er Rollstuhlfahrer und darauf angewiesen.“
Verdrängen, wie ein Todkranker
Klar ist dagegen die persönliche Grenze, die Heike Prassel für sich zieht: „Ich würde mich nicht an eine Brücke anketten. Das ist keine Ordnungswidrigkeit, sondern eine Straftat.“ Derart unangenehm ist ihre Bonner Gruppe allerdings nicht aufgefallen. Beim Klimastreik am 20. September haben Prassel und ihre Mitstreiter im Hofgarten ein Transparent entrollt mit der Aufschrift „Tell the truth“ – die Wahrheit erzählen.
„Wir fordern, dass die Politiker offener mit dem Thema umgehen“, sagt Prassel. „Das ist aber zurzeit nicht der Fall, was sogar verständlich ist. Ich glaube, der Klimawandels ist so bedrohlich, dass Verdrängen einfacher erscheint. Das ist vergleichbar mit einem Todkranken, der sein Leiden nicht wahrhaben will und den Ärzten nicht glaubt.“
Ortsgruppe im Rhein-Sieg-Kreis geplant
Prassel hat dieses Phänomen der Abwehr auch an sich selbst beobachtet. „Ich lebe seit drei Jahren vegetarisch, Kreuzfahrten habe ich immer abgelehnt. Aber insgesamt war mein ökologisches Verhalten eher Durchschnitt.“ Für 2019 hat sie sich totale Kaufabstinenz für Kleidung verordnet und das bislang auch problemlos durchgehalten. „Ich hatte mir bis dahin nicht klar gemacht, wie sehr andere Menschen, also die Textilarbeiterinnen in Asien, und die Umwelt für meinen Konsum leiden müssen.“
Dass man bei „Extinction Rebellion“ nicht nur an kreativen Protestaktionen bastelt, sondern auch das eigene Sozial- und Konsumverhalten reflektiert, macht diese Bewegung für Heike Prassel zusätzlich sympathisch. Gern würde sie eine Ortsgruppe im Rhein-Sieg-Kreis gründen, denn der ist für XR noch ein weißer Fleck.