Rhein-Sieg-Kreis – Innehalten, gerade an hektischen Orten, das Erlebte Revue passieren lassen – dafür gibt es Räume der Stille. Und zuweilen wurden sie auch dort eingerichtet, wo man sie nicht auf Anhieb vermuten würde.
Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Campus Sankt Augustin
Im Raum B153 auf dem Sankt Augustiner Hochschulcampus wird nicht gelehrt; geforscht wird höchstens im eigenen Inneren. Hier liegt der „Raum der Stille“, im Jahr 2017 auf Initiative von Professor Jürgen Bode, Vizepräsident Internationalisierung und Diversität der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, eingerichtet.
„Als Rückzugsort, als Ort der Ruhe und Besinnung“, berichtet Projektleiterin Sarah Friedrichs vom Hintergrund. „Was man braucht, um runterzukommen“, sollen Studierende ebenso wie Beschäftigte hier finden – im Bedarfsfall aber auch mitbringen: Wer zum Beten ein Kreuz oder anderes Symbol braucht, kann es mitbringen
Genauso gern gesehen sind aber auch Menschen, die hier meditieren, einfach die Stille genießen oder ihre Yogamatte ausrollen. „Das ist aber nicht Teil des Raums“, betont Sarah Friedrichs. Vor der Rückgabe des Zugangstransponders am Empfang muss man das Mitgebrachte wieder mitnehmen.
Für die Studierenden ein Raum, den man kennen muss
Großen Wert legen die Initiatoren darauf, dass es sich um ein weltanschaulich offenes Angebot handelt. Für Sarah Friedrichs „passt es, dass der Raum bei uns angesiedelt ist“: Weltanschaulich offen, leicht erreichbar auch für Menschen mit Behinderungen und ihre Bedürfnisse. Über die Nutzerzahlen führt die Hochschule keine Statistik.
Dass der Raum auf einen Bedarf trifft, das glaubt Sarah Friedrichs auf jeden Fall. Als die Hochschule aus dem Lockdown in den Präsenzbetrieb zurückkehrte, wurde sie danach gefragt, ob auch der „Raum der Stille“ wieder geöffnet sei. Und bei einer Umfrage unter den Studierenden gehörte er unlängst zu den fünf Orten an der Hochschule, die man kennen müsse.
Gesamtschule St. Josef, Bad Honnef
Mittendrin, das bauliche Herzstück der Schule und doch ein Rückzugsort – das soll der Josefsraum an der Gesamtschule St. Josef in Bad Honnef sein. Nach Profanierung und Abriss der alten Schulkapelle, so berichtet Schulseelsorger Pfarrer Tobias Kürbig, habe man nach einem adäquaten Ersatz gesucht. Das Ergebnis ist der hölzerne Quader inmitten einer von Sichtbeton geprägten Architektur.
„Die Idee des Raums ist eine Werkstatt, denn Josef war Tischler“, erklärt Kürbig die Überlegungen. An den Vater Jesu erinnert auch der „Josefswinkel“, ein schon zu biblischen Zeiten genutztes Werkzeug, als wiederkehrendes Raster in einer halb-transparenten Wand. In doppelter Ausführung prägt er eine Außenwand, wo der Name des Heiligen in vielen Sprachen geschrieben steht.
Gleichermaßen religionsübergreifend ist das Zitat auf einer weiteren Außenwand zu verstehen. „Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut auch ihnen“, lautet der Satz aus der Bergpredigt.
Aber eben nicht nur die Bibel kennt diesen Appell, wie der Geistliche weiß. „Das gibt es in allen Religionen, fast wortgleich sogar in einer Sure des Korans.“ Immerhin machen die muslimischen Schülerinnen und Schüler nach den christlich getauften und den konfessionslosen die drittgrößte Gruppe unter den 650 jungen Menschen an der Schule aus.
Raum für Stillepausen
Zu Schulzeiten ist der Raum stets geöffnet, in der Adventszeit gab es regelmäßig frühmorgendliche kleine Gottesdienste oder „Stillepausen“ mit und ohne Musik. Hier trifft sich aber auch die Arbeitsgemeinschaft „Relaxing“, hier halten Lehrerinnen und Lehrer Unterrichtsstunden ab.
Wer mag, kann hier eine Auszeit nehmen und ganz für sich sein. Und wird es lebhafter gewünscht, so ist der Josefsraum ebenfalls vorbereitet: mit Musikanlage, Großbildschirm und Smart-TV, installiert hinter großen Holztüren.
Huma-Einkaufszentrum, Sankt Augustin
Wo denn das Kreuz sei, fragte jemand bei der Eröffnung im November 2018. „Wir verstecken es nicht“, stellt Pastoralreferent Marcus Tannebaum klar. Wer das christliche Symbol im „Lebensraum Kirche“ im Huma-Einkaufszentrum aber sucht, muss sich ein bisschen umsehen.
In der kleinen Ecke der Stille hängt es, an einem Ort des Rückzugs und der Chance zum Gebet. Jeder könne hereinkommen, das ist den Machern wichtig. Auch wenn der Verein von der evangelischen und der katholischen Kirche getragen wird.
„Es ist mehr Lebensraum als Kirche“, sagt Tannebaum. 90 Quadratmeter Raum mit vielen Angeboten, die der ökumenische Trägerverein mit Hilfe ehrenamtlicher Unterstützer unterbreitet.
Still ist es nicht, aber innehalten ist möglich
„Im Ganzen kann es kein Raum der Stille sein“, betont Pastoralreferent Marcus Tannebaum: mit Fenstern zur Bahnlinie, direkt neben der Toilettenanlage mit lautstarken Händetrocknern, mit Musikbeschallung aus den Gängen der Mall. Vom Gedanken an den Bau eines Kapellenraums haben sich die Initiatoren daher schnell verabschiedet.
Wer reden will, hat hier die Chance zum Gespräch; zugleich verstehen die Träger den Raum auch als „Ort für neue Ideen“: Wechselnde Installationen – aktuell geht es um Dank und Dankbarkeit – stellen Fragen und schicken die Besucherinnen und Besucher mit neuen Impulsen auf den Weg. Und wer einfach einen Augenblick der Ruhe braucht, der findet ihn ebenfalls. „Man kann wählen, wie man den Raum für sich nutzt“, sagt Tannebaum.
Aktuell steht der Lebensraum nur am Samstag von 13 bis 15 Uhr offen, Veranstaltungen wie „Talk in der Huma“ sind derzeit ausgesetzt. Gleiches gilt für die anderen Veranstaltungen oder Kurse, die vor Corona etwa die Hälfte der Besucherinnen und Besucher ausmachten.
Flughafen Köln/Bonn
Das schnelle Reisen mit dem Flugzeug, von dem manche sagen, dass die Seele nicht mitkommt, und ein Andachtsraum: Für viele Reisende, die am Flughafen Köln/Bonn abfliegen oder ankommen, ist das kein Widerspruch. „Der Raum wird von unseren Fluggästen gut angenommen und regelmäßig genutzt“, berichtet Alexander Weise, der Sprecher des Airports. Auch jetzt, in den Zeiten der Pandemie.
Seit Juni 2013 gibt es den Gebetsraum auf der Basisebene im neuen Terminal 2 des Flughafens, ein Ort der Ruhe für Fluggäste, Besucher, aber auch die Beschäftigten. „An unserem Flughafen kommen Menschen aller Kulturen und Religionen zusammen“, sagte zur Eröffnung der damalige Flughafenchef Michael Garvens.
Entwickelt in enger Zusammenarbeit mit dem Kölner „Rat der Religionen“, einem Verbund zahlreicher Glaubensgemeinschaften, soll das Angebot Besucher aller Glaubensrichtungen und Religionen ansprechen. Auf religiöse Symbolik wurde daher bewusst verzichtet, auf Glas gedruckte Religionen machen den Gebetsraum aber deutlich auch von außen erkennbar.
Drinnen haben die Gestalter Baumstämme in verschiedenen Höhen verteilt – eine Reminiszenz an den Flughafenstandort in der Wahner Heide, die so nicht nur bei Start und Landung zu erleben ist.